Aus der Versenkung geholt
Schloss Meßkirch richtet in einer neuen Ausstellung den Blick auf Künstlerinnen im Landkreis Sigmaringen
- Anfang des 20. Jahrhunderts galt es für das weibliche Geschlecht als unschicklich, sich künstlerisch zu betätigen. Frauen waren an den Akademien deshalb nicht zugelassen. Ihre einzige Alternative war der Unterricht in Privatklassen, wofür sie Gebühren bezahlen mussten. Und selbst dort durften Frauen nicht am Aktstudium teilnehmen, weil es die Eltern nicht erlaubten. Aktstudien sind für angehende Künstlerinnen aber unverzichtbar – besonders im Bereich Bildhauerei. Im Zuge der Gleichberechtigung hat sich da viel getan. Inzwischen bilden die weiblichen Studentinnen an den Kunstakademien die Mehrheit. Auch beim Lehrpersonal haben sich die Frauen längst durchgesetzt. Eine neue Ausstellung in Schloss Messkirch stellt jetzt rund 80 Werke von 27 Künstlerinnen aus dem Landkreis Sigmaringen vor, die im 20. Jahrhundert gewirkt haben und noch wirken. Am Anfang war es nur eine Hand voll Künstlerinnen. Doch je länger Kurator Uwe Degreif recherchierte, umso mehr hat er entdeckt. Eine Würdigung, die überfällig ist.
Um diese Ausstellung zu kuratieren, musste Degreif, der 2019 in einer Biberacher Schau bereits Künstlerinnen aus dem Raum Oberschwaben ins Licht gerückt hat, zuerst den Fokus ändern. Die meisten Ausstellungen beschränken sich auf klassische Genres wie Malerei, Skulptur oder Installationen. Die Nähe zum angewandten Bereich wurde fast immer vermieden. Allerdings wurde weibliche Kreativität bis weit ins 20. Jahrhundert hinein häufig auf das Gebiet des Kunsthandwerks abgedrängt. Mit diesem erweiterten Blick konnte der Kurator schließlich ambitionierte Grafikerinnen, Fotografinnen, Hinterglasmalerinnen, Weberinnen oder Keramikerinnen ausmachen. Manche von ihnen waren zu ihrer Zeit sehr erfolgreich, verschwanden aber später wieder in der Versenkung. Die meisten haben eine Ausbildung an einer
Hochschule absolviert – fast alle mit der Ausrichtung aufs Lehramt. Ihre künstlerische Tätigkeit konnten sie deshalb oft nur in der Freizeit verfolgen.
Frühestes Beispiel in der Ausstellung ist Luise Hoff (geb. 1874). Sie hat Malerei studiert und es als Porträtistin in Sigmaringen um 1910 herum weit gebracht. Auch ihre Landschaften und Blumenstücke zierten manches Haus. Später verschwand sie hinter ihrem Mann, dem Sigmaringer Musikdirektor Richard Hoff. Statt zu malen, zog sie drei Töchter auf, sang im Kirchenchor und gab Klavierunterricht. Als sie im September 1952 starb, stand in ihrem Nachruf so gut wie nichts über ihr malerisches Talent.
Erwähnenswert ist auch Leonie Frick (geb. 1926) – eine Fotografin und Bildjournalistin, die in ihren Aufnahmen das Besondere im Alltäglichen festhielt. Ihre köstlichen Schwarz-Weiß-Aufnahmen zeigen Bauern beim Verhandeln auf dem Viehmarkt oder Marktverkäufer umringt von kritischen Hausfrauen. Zugleich dokumentiert sie die schrittweisen Veränderungen an Häusern und im Stadtbild von Sigmaringen.
Viele Künstlerinnen haben sich in einer katholisch geprägten Region natürlich auch mit religiösen Themen auseinandergesetzt. Bekannt sind bis heute vor allem die farbenfrohen Hinterglasmalereien von Ilse Wolf (geb. 1938) oder die kontemplativen Installationen von Schwester Pietra Löbl (geb. 1965) aus dem Franziskanerinnenkloster Sießen. Von ihrer berühmten Vorgängerin Schwester Innocentia Hummel (geb. 1909) werden dagegen nicht die niedlichen Figürchen, sondern Szenen aus der Bibel gezeigt, die in ihrer Form stark reduziert sind. Das ist erstaunlich, denn man darf nicht vergessen, dass sich die Kunst im Landkreis mit deutlicher Verzögerung entwickelte. So setzte die Auseinandersetzung mit abstrakter Kunst erst spät ein.
Die Schau umfasst zudem Arbeiten von zahlreichen arrivierten Künstlerinnen unserer Zeit, wie etwa Angelika Frommherz (geb. 1961), die Malerei mit Stickerei verbindet, oder Karolin Bräg (geb. 1961), die sich mit philosophischen Fragen beschäftigt. In der Schau ist sie mit Konzeptkunst vertreten. In „Nimm Abschied“von 1999 beschreibt Bräg anschaulich auf 15 Texttafeln eine Beerdigung auf dem Land. Es beginnt mit: „Gesprochen wurde nicht. Beerdigt wurde ... Kaffee getrunken wurde ...“Sie bringt das Wesentliche der Rituale einer Bestattung ganz wunderbar auf den Punkt.
Eine Entdeckung in der Ausstellung ist Elisa Stützle-Siegsmund (geb. 1962). Inspiriert von Moosen und Flechten, Wasser und Buschland, Wüsten und Vulkanen lenkt die in den USA ausgebildete Keramikerin den Blick auf den Planeten Erde. Ihre dreiteilige Serie „Nachtbilder“besteht aus geschwärzten Schalen, die in ihren archaischen Formen an die Kunst der Naturvölker erinnern.
Dass es Künstlerinnen im Landkreis Sigmaringen früher nicht leicht hatten, zeigt ein Selbstporträt (1997) von Edith Kösel (geb. 1941), die im Brotberuf wie viele andere Kunsterzieherin war. Mit ernstem Blick und wirrem Schopf schaut sie am Eingang zur Ausstellung den Betrachter an. Was auffällt, sind die herrlich expressiven Farben.
Öffnungszeiten: Fr.-So. und Fei. 14-17 Uhr. Sonderführungen mit Kurator Uwe Degreif gibt es an den Sonntagen 24. April und 26. Juni um 15 Uhr. Mehr unter: