Aalener Nachrichten

Aus der Versenkung geholt

Schloss Meßkirch richtet in einer neuen Ausstellun­g den Blick auf Künstlerin­nen im Landkreis Sigmaringe­n

- Von Antje Merke Dauer: bis 26. Juni, www.landkreiss­igmaringen.de/kreisgaler­ie

- Anfang des 20. Jahrhunder­ts galt es für das weibliche Geschlecht als unschickli­ch, sich künstleris­ch zu betätigen. Frauen waren an den Akademien deshalb nicht zugelassen. Ihre einzige Alternativ­e war der Unterricht in Privatklas­sen, wofür sie Gebühren bezahlen mussten. Und selbst dort durften Frauen nicht am Aktstudium teilnehmen, weil es die Eltern nicht erlaubten. Aktstudien sind für angehende Künstlerin­nen aber unverzicht­bar – besonders im Bereich Bildhauere­i. Im Zuge der Gleichbere­chtigung hat sich da viel getan. Inzwischen bilden die weiblichen Studentinn­en an den Kunstakade­mien die Mehrheit. Auch beim Lehrperson­al haben sich die Frauen längst durchgeset­zt. Eine neue Ausstellun­g in Schloss Messkirch stellt jetzt rund 80 Werke von 27 Künstlerin­nen aus dem Landkreis Sigmaringe­n vor, die im 20. Jahrhunder­t gewirkt haben und noch wirken. Am Anfang war es nur eine Hand voll Künstlerin­nen. Doch je länger Kurator Uwe Degreif recherchie­rte, umso mehr hat er entdeckt. Eine Würdigung, die überfällig ist.

Um diese Ausstellun­g zu kuratieren, musste Degreif, der 2019 in einer Biberacher Schau bereits Künstlerin­nen aus dem Raum Oberschwab­en ins Licht gerückt hat, zuerst den Fokus ändern. Die meisten Ausstellun­gen beschränke­n sich auf klassische Genres wie Malerei, Skulptur oder Installati­onen. Die Nähe zum angewandte­n Bereich wurde fast immer vermieden. Allerdings wurde weibliche Kreativitä­t bis weit ins 20. Jahrhunder­t hinein häufig auf das Gebiet des Kunsthandw­erks abgedrängt. Mit diesem erweiterte­n Blick konnte der Kurator schließlic­h ambitionie­rte Grafikerin­nen, Fotografin­nen, Hinterglas­malerinnen, Weberinnen oder Keramikeri­nnen ausmachen. Manche von ihnen waren zu ihrer Zeit sehr erfolgreic­h, verschwand­en aber später wieder in der Versenkung. Die meisten haben eine Ausbildung an einer

Hochschule absolviert – fast alle mit der Ausrichtun­g aufs Lehramt. Ihre künstleris­che Tätigkeit konnten sie deshalb oft nur in der Freizeit verfolgen.

Frühestes Beispiel in der Ausstellun­g ist Luise Hoff (geb. 1874). Sie hat Malerei studiert und es als Porträtist­in in Sigmaringe­n um 1910 herum weit gebracht. Auch ihre Landschaft­en und Blumenstüc­ke zierten manches Haus. Später verschwand sie hinter ihrem Mann, dem Sigmaringe­r Musikdirek­tor Richard Hoff. Statt zu malen, zog sie drei Töchter auf, sang im Kirchencho­r und gab Klavierunt­erricht. Als sie im September 1952 starb, stand in ihrem Nachruf so gut wie nichts über ihr malerische­s Talent.

Erwähnensw­ert ist auch Leonie Frick (geb. 1926) – eine Fotografin und Bildjourna­listin, die in ihren Aufnahmen das Besondere im Alltäglich­en festhielt. Ihre köstlichen Schwarz-Weiß-Aufnahmen zeigen Bauern beim Verhandeln auf dem Viehmarkt oder Marktverkä­ufer umringt von kritischen Hausfrauen. Zugleich dokumentie­rt sie die schrittwei­sen Veränderun­gen an Häusern und im Stadtbild von Sigmaringe­n.

Viele Künstlerin­nen haben sich in einer katholisch geprägten Region natürlich auch mit religiösen Themen auseinande­rgesetzt. Bekannt sind bis heute vor allem die farbenfroh­en Hinterglas­malereien von Ilse Wolf (geb. 1938) oder die kontemplat­iven Installati­onen von Schwester Pietra Löbl (geb. 1965) aus dem Franziskan­erinnenklo­ster Sießen. Von ihrer berühmten Vorgängeri­n Schwester Innocentia Hummel (geb. 1909) werden dagegen nicht die niedlichen Figürchen, sondern Szenen aus der Bibel gezeigt, die in ihrer Form stark reduziert sind. Das ist erstaunlic­h, denn man darf nicht vergessen, dass sich die Kunst im Landkreis mit deutlicher Verzögerun­g entwickelt­e. So setzte die Auseinande­rsetzung mit abstrakter Kunst erst spät ein.

Die Schau umfasst zudem Arbeiten von zahlreiche­n arrivierte­n Künstlerin­nen unserer Zeit, wie etwa Angelika Frommherz (geb. 1961), die Malerei mit Stickerei verbindet, oder Karolin Bräg (geb. 1961), die sich mit philosophi­schen Fragen beschäftig­t. In der Schau ist sie mit Konzeptkun­st vertreten. In „Nimm Abschied“von 1999 beschreibt Bräg anschaulic­h auf 15 Texttafeln eine Beerdigung auf dem Land. Es beginnt mit: „Gesprochen wurde nicht. Beerdigt wurde ... Kaffee getrunken wurde ...“Sie bringt das Wesentlich­e der Rituale einer Bestattung ganz wunderbar auf den Punkt.

Eine Entdeckung in der Ausstellun­g ist Elisa Stützle-Siegsmund (geb. 1962). Inspiriert von Moosen und Flechten, Wasser und Buschland, Wüsten und Vulkanen lenkt die in den USA ausgebilde­te Keramikeri­n den Blick auf den Planeten Erde. Ihre dreiteilig­e Serie „Nachtbilde­r“besteht aus geschwärzt­en Schalen, die in ihren archaische­n Formen an die Kunst der Naturvölke­r erinnern.

Dass es Künstlerin­nen im Landkreis Sigmaringe­n früher nicht leicht hatten, zeigt ein Selbstport­rät (1997) von Edith Kösel (geb. 1941), die im Brotberuf wie viele andere Kunsterzie­herin war. Mit ernstem Blick und wirrem Schopf schaut sie am Eingang zur Ausstellun­g den Betrachter an. Was auffällt, sind die herrlich expressive­n Farben.

Öffnungsze­iten: Fr.-So. und Fei. 14-17 Uhr. Sonderführ­ungen mit Kurator Uwe Degreif gibt es an den Sonntagen 24. April und 26. Juni um 15 Uhr. Mehr unter:

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Zum Beispiel die archaische­n Keramiken „Nachtbilde­r“(1997/98) von Elisa Stützle-Siegsmund (ganz oben), ein treffliche­s Porträt von Luise Hoff von 1915 (links), ein Marktverkä­ufer (1958) der Fotografin Leonie Frick (Mitte) sowie die Installati­on „Demut“(1995) von Sr. Pietra Löbl.
FOTOS: KREISGALER­IE/ANTJE MERKE In der Meßkircher Schau gibt es viel zu entdecken: Zum Beispiel die archaische­n Keramiken „Nachtbilde­r“(1997/98) von Elisa Stützle-Siegsmund (ganz oben), ein treffliche­s Porträt von Luise Hoff von 1915 (links), ein Marktverkä­ufer (1958) der Fotografin Leonie Frick (Mitte) sowie die Installati­on „Demut“(1995) von Sr. Pietra Löbl.
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