„Dialekte sterben nicht aus“
Der bekannte Sprachforscher Hubert Klausmann war am Montagabend zu Gast im rappelvollen Palais Adelmann
- „Wir können alles – bald auch Norddeutsch.“Es ist eine kühne These, die Professor Hubert Klausmann aufstellt. Im Palais Adelmann hat der bekannte Tübinger Sprachwissenschaftler über die Entwicklung der Dialekte und der Standardsprache in Süddeutschland gesprochen. Der Vortrag fand auf Einladung des Stiftsbunds, des Peutinger-Gymnasiums (PG) und des Fördervereins Schwäbischer Dialekt vor so großem Auditorium statt, dass die Stühle knapp wurden.
Er sei der Einladung nach Ellwangen gerne gefolgt, zumal er viele Jahre am PG Deutsch und Französisch gelehrt habe, sagte Klausmann. An der Universität Tübingen geht er als Leiter des Projekts „Sprachatlas von Nord-Baden-Württemberg“und der Arbeitsstelle „Sprache in Südwestdeutschland“Dialekten wissenschaftlich fundiert auf den Grund. Das klingt eher nüchtern. Doch im Laufe seines ebenso kenntnisreichen wie launigen Diskurses durch die vielfältige Welt süddeutscher Mundart räumte er mit weit verbreiteten Irrtümern und Sprachideologien auf und ließ sein Publikum ein ums andere Mal schmunzeln.
Die Sprache, erläuterte der Professor, verändere sich ständig. Und mit ihr die Dialekte. Sie würden überregionaler und seien durch die Standardsprache, das so genannte Hochdeutsch, in ihrer Existenz gefährdet. Die Annahme, jede Nation brauche eine homogene Standardsprache, die kulturell hochwertiger sei als regionale Varianten, sei sprachwissenschaftlich ebenso unhaltbar wie der Mythos des „Hannoverismus“, der behaupte, das beste Deutsch werde in Hannover gesprochen – ein Irrtum, dem sogar der Duden huldige, der norddeutsche Sprachvarianten etwa bei Abendbrot, Brötchen und Weihnachtsmann bevorzuge und das norddeutsche Püree dem süddeutschen Kartoffelbrei vorziehe. Die Realität jedoch seien sprachliche Varianten. So bezeichne man die Zeit vor Aschermittwoch in den verschiedenen Regionen als Fasching, Fastnacht, Fasnacht, Fasnet, Fasenacht oder Karneval: „Wenn man wirklich zuhören will und bereit ist, zu verstehen, gibt es keine Probleme bei der Verständigung“, so Klausmann. Er nannte ein Beispiel aus einem bayerischen Schulbuch: Ein schwäbisches Mädchen möchte bei einem Frankfurter Bäcker eine Semmel kaufen, wird aber nicht verstanden. Unsinn, so Klausmann. Jeder, der guten Willens sei, könne „Semmel“als „Brötchen“verstehen – abgesehen davon, dass „Semmel“gar nicht schwäbisch sei.
Wissenschaftlich ebenso wenig haltbar sei das Vorurteil, gebildete Menschen sprechen keinen Dialekt, sondern Hochdeutsch. In der Realität habe Dialekt nichts mit dem Bildungsgrad eines Menschen zu tun. Aber Dialektsprecher würden oft diskriminiert. „Dialekte sind wichtig und schön, können aber von Nachteil für die Karriere sein“, so der Sprachwissenschaftler, und stemmte sich energisch dem Vorurteil entgegen, man müsse norddeutsches Hochdeutsch
sprechen, um in einer globalisierten Welt mitreden zu können.
Der These, Dialekte seien „en vogue“und wieder modern, misstraut Klausmann durchaus, auch wenn Regionales als echt und verwurzelt gelte. Ob das allerdings reiche, Dialekte zu erhalten, sei fraglich. „Dialekt kann mehr“, so der Experte. Mehr als Münchener Schickeria-Pseudobayerisch, mehr als „Mir san mir“, mehr als „Hannes und der Bürgermeister“. Klausmanns gute Nachricht für alle Schwaben, die sich mit dem Norddeutschen noch Zeit lassen wollen: Auch wenn Dialekte verloren gingen, so sei schwäbische Mundart in der Umgangssprache noch weit mehr vorhanden, als etwa das Fränkische oder Alemannische: „Schwäbisch ist als räumlicher Begriff völlig klar, positiv besetzt und hat einen hohen Identifikationswert.“Das stabilisiere den Dialekt. Angeblich sei Kaiserstühler Mundart für den alemannischen Dialekt prägend. Stimmt nicht, so Klausmann: „Der Kaiserstuhl spielt keine Rolle, aber man sieht ihn.“So sei es auch mit der Schwäbischen Alb. Man sieht sie. Ihre sanften grünen Hügel stiften Identität. Hier sind wir zu Hause.