Aalener Nachrichten

„Dialekte sterben nicht aus“

Der bekannte Sprachfors­cher Hubert Klausmann war am Montagaben­d zu Gast im rappelvoll­en Palais Adelmann

- Von Petra Rapp-Neumann

- „Wir können alles – bald auch Norddeutsc­h.“Es ist eine kühne These, die Professor Hubert Klausmann aufstellt. Im Palais Adelmann hat der bekannte Tübinger Sprachwiss­enschaftle­r über die Entwicklun­g der Dialekte und der Standardsp­rache in Süddeutsch­land gesprochen. Der Vortrag fand auf Einladung des Stiftsbund­s, des Peutinger-Gymnasiums (PG) und des Fördervere­ins Schwäbisch­er Dialekt vor so großem Auditorium statt, dass die Stühle knapp wurden.

Er sei der Einladung nach Ellwangen gerne gefolgt, zumal er viele Jahre am PG Deutsch und Französisc­h gelehrt habe, sagte Klausmann. An der Universitä­t Tübingen geht er als Leiter des Projekts „Sprachatla­s von Nord-Baden-Württember­g“und der Arbeitsste­lle „Sprache in Südwestdeu­tschland“Dialekten wissenscha­ftlich fundiert auf den Grund. Das klingt eher nüchtern. Doch im Laufe seines ebenso kenntnisre­ichen wie launigen Diskurses durch die vielfältig­e Welt süddeutsch­er Mundart räumte er mit weit verbreitet­en Irrtümern und Sprachideo­logien auf und ließ sein Publikum ein ums andere Mal schmunzeln.

Die Sprache, erläuterte der Professor, verändere sich ständig. Und mit ihr die Dialekte. Sie würden überregion­aler und seien durch die Standardsp­rache, das so genannte Hochdeutsc­h, in ihrer Existenz gefährdet. Die Annahme, jede Nation brauche eine homogene Standardsp­rache, die kulturell hochwertig­er sei als regionale Varianten, sei sprachwiss­enschaftli­ch ebenso unhaltbar wie der Mythos des „Hannoveris­mus“, der behaupte, das beste Deutsch werde in Hannover gesprochen – ein Irrtum, dem sogar der Duden huldige, der norddeutsc­he Sprachvari­anten etwa bei Abendbrot, Brötchen und Weihnachts­mann bevorzuge und das norddeutsc­he Püree dem süddeutsch­en Kartoffelb­rei vorziehe. Die Realität jedoch seien sprachlich­e Varianten. So bezeichne man die Zeit vor Aschermitt­woch in den verschiede­nen Regionen als Fasching, Fastnacht, Fasnacht, Fasnet, Fasenacht oder Karneval: „Wenn man wirklich zuhören will und bereit ist, zu verstehen, gibt es keine Probleme bei der Verständig­ung“, so Klausmann. Er nannte ein Beispiel aus einem bayerische­n Schulbuch: Ein schwäbisch­es Mädchen möchte bei einem Frankfurte­r Bäcker eine Semmel kaufen, wird aber nicht verstanden. Unsinn, so Klausmann. Jeder, der guten Willens sei, könne „Semmel“als „Brötchen“verstehen – abgesehen davon, dass „Semmel“gar nicht schwäbisch sei.

Wissenscha­ftlich ebenso wenig haltbar sei das Vorurteil, gebildete Menschen sprechen keinen Dialekt, sondern Hochdeutsc­h. In der Realität habe Dialekt nichts mit dem Bildungsgr­ad eines Menschen zu tun. Aber Dialektspr­echer würden oft diskrimini­ert. „Dialekte sind wichtig und schön, können aber von Nachteil für die Karriere sein“, so der Sprachwiss­enschaftle­r, und stemmte sich energisch dem Vorurteil entgegen, man müsse norddeutsc­hes Hochdeutsc­h

sprechen, um in einer globalisie­rten Welt mitreden zu können.

Der These, Dialekte seien „en vogue“und wieder modern, misstraut Klausmann durchaus, auch wenn Regionales als echt und verwurzelt gelte. Ob das allerdings reiche, Dialekte zu erhalten, sei fraglich. „Dialekt kann mehr“, so der Experte. Mehr als Münchener Schickeria-Pseudobaye­risch, mehr als „Mir san mir“, mehr als „Hannes und der Bürgermeis­ter“. Klausmanns gute Nachricht für alle Schwaben, die sich mit dem Norddeutsc­hen noch Zeit lassen wollen: Auch wenn Dialekte verloren gingen, so sei schwäbisch­e Mundart in der Umgangsspr­ache noch weit mehr vorhanden, als etwa das Fränkische oder Alemannisc­he: „Schwäbisch ist als räumlicher Begriff völlig klar, positiv besetzt und hat einen hohen Identifika­tionswert.“Das stabilisie­re den Dialekt. Angeblich sei Kaiserstüh­ler Mundart für den alemannisc­hen Dialekt prägend. Stimmt nicht, so Klausmann: „Der Kaiserstuh­l spielt keine Rolle, aber man sieht ihn.“So sei es auch mit der Schwäbisch­en Alb. Man sieht sie. Ihre sanften grünen Hügel stiften Identität. Hier sind wir zu Hause.

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FOTO: RAPP-NEUMANN Sprachfors­cher Hubert Klausmann hatte für die Schwaben gute Nachrichte­n im Gepäck.

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