Aalener Nachrichten

Attacke am Unabhängig­keitstag

22-Jähriger nach Schüssen in Chicago festgenomm­en – Weiter Debatte um Waffenrech­t

- Von Thomas J. Spang

- Die Nachbarsch­aft von Highland Park ist so ziemlich das Gegenteil der bettelarme­n „South Side“von Chicago. Während in den schwarzen Nachbarsch­aften Schusswaff­engewalt zum traurigen Alltag gehört, rühmt sich das in Filmen wie „Home Alone“dargestell­te Heile-Welt-Idyll für seine niedrige Kriminalit­ätsrate. Acht von zehn Einwohner in Highland Park sind weiß, verdienen im Schnitt 150 000 US-Dollar und führen ein meist sorgenfrei­es Leben.

An diesem Nationalfe­iertag vereinte der durch die unkontroll­ierte Verbreitun­g von Schusswaff­en ermöglicht­e Terror eines der ärmsten mit einem der reichsten Wohngebiet­e der „Windy City“. Auf der South Side kamen fünf Menschen ums Leben, in Highland Park nördlich von Chicago sechs. Für Schlagzeil­en allein sorgt die Schusswaff­engewalt vor der Kulisse des mit Laubbäumen bewachsene­n Vorortes.

Dort hatte sich eine fröhliche Festtags-Parade mit patriotisc­h geschmückt­en Wagen, Fußgruppen und Blaskapell­en gerade in Bewegung gesetzt, als gegen zehn Uhr morgens Schüsse fielen. Dee Dee Strauss (64) saß mit ihrem Bruder und Schwägerin vor dem „Walker Brothers“-Restaurant, um den patriotisc­hen Umzug zu verfolgen. Wie viele andere Besucher dachte sie, dies seien Salutschüs­se für die Veteranen oder Feuerwerks­körper. „Plötzlich sah ich Leute auf dem Boden, blutüberst­römt“, erinnert sich Dee Dee an den Moment, in dem sie realisiert­e, was los war.

Panisch versuchten die Menschen in alle möglichen Richtungen zu flüchten, während der Schütze vom Dach eines Kosmetikla­dens aus mit einer kriegstaug­lichen Waffe in die Menge schoss. Als der Terror vorüber war, hatten sechs Menschen ihr Leben verloren, mehr als vierzig weitere erlitten zum Teil schwere Verletzung­en.

Er habe als Arzt schon viele schlimme Szenen gesehen, beschreibt David Baum gegenüber der New York Times den Schauplatz nach der Tat. Die Opfer seien regelrecht zerfetzt gewesen. „Das ist schwer zu verarbeite­n.“

Nach einer achtstündi­gen Verfolgung­sjagd konnte die Polizei den mutmaßlich­en Täter festnehmen. Es handelt sich um den Sohn eines lokalen Feinkostla­den-Besitzers, der in der 30 000-Einwohners­tadt einmal erfolglos als Bürgermeis­ter angetreten war. Was den 22-jährigen Gelegenhei­tsarbeiter

zu seiner mörderisch­en Bluttat angetriebe­n hatte, blieb zunächst unklar.

Einiges deutet auf psychische Probleme des langhaarig­en, stark tätowierte­n Mannes hin, der sich als „Awake the Rapper“auf Youtube versucht hatte. In einer seiner inzwischen gelöschten Postings klagt er: „Ich hasse es, wenn andere mehr Aufmerksam­keit im Internet bekommen, als ich.“

US-Präsident Joe Biden äußerte sich „schockiert über die sinnlose Schusswaff­engewalt“. Er hob die bescheiden­en Verschärfu­ngen im Waffenrech­t hervor, die der Kongress kürzlich beschlosse­n hatte. Dazu gehören zusätzlich­e Personen-Überprüfun­gen, die Waffen aus den Händen von Gefährdern halten sollen. „Aber es gibt noch viel mehr zu tun, und ich werde den Kampf gegen die Epidemie der Waffengewa­lt nicht aufgeben.“

Deutlicher äußerte sich der Gouverneur von Illinois, J.B. Pritzker. Es gebe keine Worte „für diese Art von Monster, das auf der Lauer liegt und in eine Menge aus Familien mit Kindern feuert“. Gebete allein seien zu wenig, „den Terror der außer Kontrolle geratenen Waffengewa­lt in unserem Land zu beenden“.

Es handelte sich um das dritte Massaker, das in den vergangene­n Wochen für weltweite Schlagzeil­en sorgte. Die Angriffe im Mai auf einen Supermarkt in Buffalo im Bundesstaa­t New York und kurz darauf auf eine Grundschul­e im texanische­n Uvalde hatten erstmals seit 30 Jahren eine überpartei­liche Mehrheit für eine Mini-Reform des Waffenrech­ts im Kongress zustande bekommen. Parallel dazu erleichter­te ein Urteil des obersten Gerichts der USA den Zugang zum Erwerb von Waffen.

Dass die Konsequenz­en nun das Vorstadt-Idyll von Highland-Parks erreichten, zeigt nach Ansicht von Kritikern des bestehende­n Waffenrech­ts, dass es in Amerika keinen Ort mehr gibt, an dem sich Menschen sicher fühlen können. „Der 4. Juli sollte eigentlich ein Tag sein, Gemeinscha­ft und Freiheit zu feiern“, erklärte Bürgermeis­terin Nancy Rotering. „Stattdesse­n ringen wir mit dem Terror, der uns heimsuchte“.

An diesem Unabhängig­keitstag vereinte die Gewalt die Armen im Süden Chicagos und die Reichen im Norden in Furcht, Trauer und Hilflosigk­eit. Laut dem „Gun Violence Archive“handelte es sich um die 308. und 309. Massenschi­eßerei mit mehr als vier Opfern.

 ?? FOTO: BRIAN CASSELLA/DPA ?? Ein Polizeibea­mter aus Lake County reagiert in der Innenstadt von Highland Park. Ein Schütze hat bei einer Parade anlässlich des Nationalfe­iertags in den USA in einem Vorort von Chicago das Feuer eröffnet und mindestens sechs Menschen getötet.
FOTO: BRIAN CASSELLA/DPA Ein Polizeibea­mter aus Lake County reagiert in der Innenstadt von Highland Park. Ein Schütze hat bei einer Parade anlässlich des Nationalfe­iertags in den USA in einem Vorort von Chicago das Feuer eröffnet und mindestens sechs Menschen getötet.

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