Aalener Nachrichten

Orrotsee ist nur noch „Badestelle“

Badende vermissen Treppen und Handlauf als Einstiegsh­ilfe – Rechtliche Vorgaben zwingen zum Abbau

- Von Sylvia Möcklin und Hermann Sorg

- Die Badefreude am Orrotsee ist getrübt. Nanu, bedauern immer mehr Badegäste: Wo sind die Treppenstu­fen geblieben, die den Zugang zum See erleichter­t haben? Wo die Handläufe? Abgebaut in diesem Frühjahr. Aber nicht, um die Menschen zu ärgern: „Wir haben uns die Entscheidu­ng nicht leicht gemacht und versuchen, das Beste daraus zu machen“, sagt Josef Gentner. Für den Wasserverb­and Obere Jagst, dessen Betriebsle­iter er ist, geht es um die heikle Frage der Haftung.

Immer mehr Beschwerde­n erreichen den Wasserverb­and, wie die eines älteren Ehepaars, das den idyllische­n Orrotsee gerne für eine sommerlich­e Schwimmrun­de genutzt hat. Immerhin ist er vom Landratsam­t offiziell als Badesee ausgewiese­n. Aber wie ohne Treppe und Handläufe den oft glitschige­n Lehmhang hinunter gelangen? Schwierig. Man könne auch beobachten, wie Badewillig­e über spitze Steine eiern und sich dabei an Grasbüsche­ln festhalten, um ans Wasser und wieder heraus zu gelangen, erzählt ein Beobachter. Andere nähmen einen Umweg

über die weiter westlich gelegene Schilfzone, um wieder an die Umkleideka­bine, Sitzgruppe­n und Grillstell­en zu kommen.

Josef Gentner versteht den Ärger. Aber, sagt er: „Wir sind von der Württember­gischen Gemeindeve­rsicherung dringend darum gebeten worden, entweder für eine Badeaufsic­ht zu sorgen oder die Badevorrri­chtungen zurückzuba­uen.“Auch von anderen Seiten seien gleichlaut­ende Stellungna­hmen gekommen, etwa vom Gemeindeta­g. Im Frühjahr habe der Wasserverb­and Obere Jagst deshalb offiziell beschlosse­n, diesen Empfehlung­en nachzukomm­en, und habe alle Vorrichtun­gen entfernt. Die Alternativ­e wäre gewesen, von früh bis spät einen Bademeiste­r zu beschäftig­en. „Aber wir können nicht jede Badeanlage auf diese Weise betreuen“, sagt Gentner.

Was passieren kann, wenn ein Betreiber seiner Verkehrssi­cherungspf­licht an einem Gewässer nicht nachkommt, zeigen Gerichtsur­teile aus den vergangene­n Jahren. Zwei Beispiele: 2016 ertranken im nordhessis­chen Neukirchen drei Geschwiste­r an einem ehemaligen Löschteich. Er war zum Freizeitte­ich umfunktion­iert worden. Der Bürgermeis­ter

wurde persönlich wegen fahrlässig­er Tötung zu einer Geldstrafe verurteilt. Zweites Beispiel: 2017 machte der Bundesgeri­chtshof nach dem Badeunfall einer Zwölfjähri­gen in einem Naturfreib­ad die Kommune verantwort­lich. Sie hätte für Überwachun­g sorgen müssen, da Badeanlage­n vorhanden waren. Die Zwölfjähri­ge blieb durch den Unfall hirngeschä­digt.

Wie es zu solchen Urteilen kommen kann, erklärt die Württember­gische Gemeindeve­rsicherung (WGV) in einer Stellungna­hme genauer. Demnach hängt der Umfang der Verkehrssi­cherungspf­licht entscheide­nd davon ab, ob ein See nur als „Badestelle“oder aber als „Naturbad“ausgestalt­et sei, erläutert Abteilungs­direktor Wolfgang Müller. An einer „Badestelle“ohne weitere Annehmlich­keiten für Badende seien die Anforderun­gen erheblich reduziert, und es sei keine Wasseraufs­icht erforderli­ch. Dagegen habe der Betreiber eines „Naturbades“, auch, wenn er keinen Eintritt verlangt, deutlich umfangreic­here Verkehrssi­cherungspf­lichten zu beachten und insbesonde­re eine ständige Wasseraufs­icht zu gewährleis­ten. Zum Naturbad werde ein See, wenn es dort

Aufwertung­en wie einen Sprungturm gebe oder Stege, die zum ins Wasserspri­ngen geeignet sind. Auch Wasserruts­chen, Balanciers­tämme im Wasser, Badeinseln oder Ziehflöße über den See und vieles mehr gehören dazu. Befolgen die Verantwort­lichen die rechtliche­n Vorgaben nicht, so Müller, sehen sie sich im Fall eines tragischen Badeunfall­s nicht nur Schadeners­atzforderu­ngen ausgesetzt, sondern hätten auch strafrecht­liche Ermittlung­en zu erwarten. Die Folge: Um wenigstens die Gewässer als Bademöglic­hkeit für Erholungsu­chende zu erhalten, würden diese vielfach zur „Badestelle“umgestalte­t, wie jetzt am Orrotsee. Dann sei eine Aufsicht rechtlich nicht erforderli­ch, und das Baden erfolge auf eigene Gefahr.

Eine „Badestelle“ist laut der WGV dann anzunehmen, wenn zwar eine Vielzahl von Personen dort badet, aber seitens des Betreibers alles vermieden wird, was die Badestelle im und um das Wasser aufwertet. Dagegen können Liegewiese­n, sanitäre Einrichtun­gen, Grillstell­en und Spielberei­che außerhalb des Wassers erhalten bleiben, so Wolfgang Müller von der Gemeindeve­rsicherung.

„Wir bedauern die rechtliche Lage“, bittet auch Ellwangens Oberbürger­meister Michael Dambacher in seiner Funktion als Vorsitzend­er des Wasserverb­ands Obere Jagst um Verständni­s. Auch er versteht den Unmut vieler Orrotsee-Besucher, vor allem, weil deswegen lange bestehende Vorrichtun­gen entfernt worden seien, Aber jeder, der in der Verkehrssi­cherungspf­licht stehe, kenne das Problem. Man könne auch keine Badeaufsic­ht stellen.

Doch hat Dambacher auch zwei gute Nachrichte­n. Erstens: Mit dem Kressbachs­ee gebe es einen schönen Badesee mit Aufsicht und bequemem Einstieg, lädt der OB dazu ein, diese Alternativ­e zu nutzen. Und zweitens werde der Wasserverb­and am Orrotsee versuchen, die fehlenden Treppen durch einen künftig flacheren Einstieg zu kompensier­en.

„Wenn wir den See im Herbst ablassen“, erklärt Josef Gentner näher, „wollen wir einen Teil des sandigen Bodens ans Ufer schaffen, um einen angenehm flachen, natürliche­n Zugang ins Wasser zu erhalten.“Damit wäre allen gedient.

Der Nachteil: Zur Verfügung stehen wird dieser neue Strand erst nächstes Jahr.

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FOTO: HAFI Da, wo seither Erholungss­uchende und Badenixen ins Wasser des Orrotsees gegangen sind, tummelt sich heute eine Entenfamil­ie. Die Badeleiter­n sind abmontiert.

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