Aalener Nachrichten

Marias Traum geht weiter

Im Viertelfin­ale von Wimbledon setzt sich die 34-Jährige gegen Niemeier durch

- Von Florian Lütticke

(dpa) - Tatjana Maria bejubelte ihr nächstes Wimbledon-Märchen mit Freudenträ­nen in den Augen und dachte gerührt an die Geburt ihrer zweiten Tochter vor erst 15 Monaten. Jule Niemeier formte zum Abschied, nach einer innigen Umarmung mit der Viertelfin­alsiegerin, mit ihren Händen ein Herz. An einem deutschen Tennis-Feiertag mit großen Emotionen setzte die 34-Jährige aus dem oberschwäb­ischen Bad Saulgau ihren beeindruck­enden Lauf fort und beendete den großen Traum ihrer zwölf Jahre jüngeren Gegnerin.

„Ich habe überall Gänsehaut. Es war so ein schweres Match gegen Jule“, schwärmte Maria unter dem Jubel der Zuschauer. „Heute haben wir Deutschlan­d wirklich stolz gemacht.“Die zweifache Mutter gewann in 2:17 Stunden einen Krimi gegen Niemeier mit 4:6, 6:2, 7:5 und erreichte erstmals in ihrer Karriere bei einem Grand-Slam-Turnier das Halbfinale. Nur zwei Siege fehlen ihr noch zum Sensations­titel.

Die lange Umarmung am Netz nach ihrem Sieg war dabei auch Zeichen des gegenseiti­gen Respekts. „Ich hätte sie am liebsten gar nicht mehr losgelasse­n“, sagte Maria am Dienstag lachend bei Sky. „Sie war super, sie hat sich wirklich für mich gefreut. Wir können stolz sein, dass wir so ein Match gespielt haben für Deutschlan­d.“

Maria kassiert für ihren Erfolg umgerechne­t 622 000 Euro und trifft nun im Halbfinale auf die Weltrangli­sten-Zweite Ons Jabeur aus Tunesien, die Marie Bouzkova (Tschechien) mit 3:6, 6:1, 6:1 aus dem Wettbewerb warf. Niemeier erhält 360 000 Euro und darf ebenso stolz auf den größten Erfolg ihrer bisherigen Karriere sein. „Ich bin sehr optimistis­ch, dass es nicht mein letztes Viertelfin­ale war bei einem Grand Slam.“

Maria ist nach den früheren Siegerinne­n Steffi Graf und Angelique Kerber sowie Sabine Lisicki, Julia Görges und Bettina Bunge die erst sechste deutsche Halbfinali­stin in der Geschichte des Profitenni­s in Wimbledon. „Es ist ein Traum, das mit meiner Familie und meinen zwei kleinen Töchtern zu leben“, sagte Maria und erinnerte an die Geburt von Cecilia Anfang April 2021. „Vor gut einem Jahr habe ich entbunden. Es ist verrückt.“Damen-Bundestrai­nerin Barbara Rittner schwärmte: „Beste Werbung für das deutsche Damentenni­s. Ich bin sehr stolz auf euch.“Nicht nur aus deutscher, auch aus internatio­naler Sicht steht Maria in einer Reihe mit den ganz Großen. Vor ihr erreichten in Billie Jean King,

Martina Navratilov­a, Chris Evert sowie Venus und Serena Williams nur frühere Champions das Halbfinale in Wimbledon im Alter von 34 oder älter. „Das ist unglaublic­h. Meinen Namen auf dieser Liste zu haben, das kann ich immer noch nicht glauben“, sagte Maria voller Stolz.

Einige Schritte hinter ihrer Bundesliga­kollegin des TC Bredeney aus Essen ging Maria vor Spielbegin­n auf Court 1. Lächelnd posierten sie beim gemeinsame­n Foto am Netz. Beim letzten Schluck aus der Wasserflas­che auf der Bank grinste Niemeier in Richtung ihres Anhangs und erwischte einen Traumstart. Mit ihrer kräftigen Vorhand setzte sie Maria früh unter Druck und nahm der Gegnerin

direkt den Aufschlag ab. Mit Angriffslu­st attackiert­e auch Maria am Netz und kämpfte sich langsam in die Partie.

Die 34-Jährige hatte auch vor dem Match auf ihre normale WimbledonR­outine gesetzt: Um halb neun stand zunächst das Training für die achtjährig­e Tochter Charlotte an, bevor sich Maria mit ihrem Ehemann und Trainer Charles-Edouard selbst warm spielte. „Ich habe meine zwei Kinder, diese Ablenkung tut mir gut. Alles ist normal bei uns, nichts hat sich geändert“, sagte sie kurz vor dem Spiel bei Sky – und erzählte zugleich von einem entspannte­n Verhältnis zu ihrer Kontrahent­in: „Wir gehen auf den Platz, wollen beide gewinnen und werden alles geben. Und danach ist auch wieder okay.“

Beide Spielerinn­en blieben im weiteren Verlauf des ersten Durchgangs stabil bei eigenem Aufschlag. Niemeier sicherte sich nach nur 43 Minuten durch einen Returnfehl­er von Maria den Auftaktsat­z.

Niemeier schaffte erneut das schnelle Break. Mehrfach hatte sich Dauerläufe­rin Maria in diesem Turnier aus ausweglose­n Situatione­n befreit und zeigte erneut ihr Kämpferher­z. Per Volley im Knien schaffte sie den Ausgleich, ihr Mann auf der Tribüne jubelte. Auch unterstütz­t von mehreren Doppelfehl­ern und leichten Patzern Niemeiers übernahm Maria das Kommando, führte schnell 4:1. Der Satzball geriet spektakulä­r: Niemeier schlug den Ball im Rückwärtsl­aufen durch die Beine, Maria verwandelt­e per Volley eiskalt.

Es wurde ein Krimi. Niemeier breakte im entscheide­nden Satz zum 3:2, blieb aber zu passiv und musste nach einem leichten Volleyfehl­er das 4:4 hinnehmen. Plötzlich war Maria wieder obenauf, zwei Punkte fehlten zum Matchgewin­n, Niemeier blieb nervenstar­k und trieb das Publikum an. Nach einem unfassbar umkämpften Ball beim Stand von 5:5 mit besserem Ende für Maria erhoben sich zahlreiche Fans – und bejubelten wenig später die Siegerin.

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FOTO: IDAVES HOPLAND/IMAGO/SHUTTERSTO­CK Geschafft: Tatjana Maria dreht die Partie gegen ihre deutsche Konkurrent­in und steht jetzt im Halbfinale der Tennismeis­terschafte­n von Wimbledon.
 ?? FOTO: JAVIER GARCIA/IMAGO/SHUTTERSTO­CK ?? Fröhliche Gesichter nach einem harten Match: Jule Niemeier (rechts) gratuliert Tatjana Maria zum Einzug ins Halbfinale.
FOTO: JAVIER GARCIA/IMAGO/SHUTTERSTO­CK Fröhliche Gesichter nach einem harten Match: Jule Niemeier (rechts) gratuliert Tatjana Maria zum Einzug ins Halbfinale.

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