Aalener Nachrichten

Knapper Strom, knappes Gas

Habeck will öffentlich­e Gebäude nur noch auf 19 Grad heizen – Krankenhäu­ser und soziale Einrichtun­gen sind ausgenomme­n

- Von Michael Gabel

BERLIN - Der Energieman­gel infolge des russischen Angriffskr­iegs in der Ukraine zwingt auch Kommunen, Strom und Gas zu sparen. So wird vielerorts die Straßenbel­euchtung herunterge­dimmt, was aber zu Problemen führen kann. Sehenswürd­igkeiten wie der Kölner Dom werden bereits jetzt nicht mehr angestrahl­t, und in den Rathäusern sinken im Winter die Raumtemper­aturen – auch der Staat muss sich am Sparen von Strom und Gas beteiligen. Wird im öffentlich­en Raum der Energiever­brauch gedrosselt, ergeben sich sogar positive Nebeneffek­te. Antworten auf die wichtigste­n Fragen.

Wie viel Energie sollen staatliche Einrichtun­gen einsparen?

Eine bundesweit­e Vorgabe besteht bislang nicht. Doch Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne) kündigte am Freitag in einem Interview mit der „Süddeutsch­en Zeitung“an, es solle „in öffentlich­en Liegenscha­ften - Krankenhäu­ser, soziale Einrichtun­gen natürlich ausgenomme­n – nur noch auf 19 Grad geheizt werde.“

Welche Einsparmaß­nahmen sind geplant?

Das reicht vom Ausschalte­n der Denkmal- und Straßenbel­euchtung über das Absenken der Temperatur­en in Verwaltung­sgebäuden und Schwimmbäd­ern bis hin zu Überlegung­en, über Weihnachte­n und Ostern Rathäuser dicht zu machen, um Strom und Gas zu sparen.

„Die Größenordn­ung, bis zu 20 Prozent Gas einzuspare­n, wird uns vieles abverlange­n“, sagt Helmut Dedy, Hauptgesch­äftsführer des Deutschen Städtetage­s, dieser Zeitung. „Die Städte übernehmen Verantwort­ung“, versichert er. So würden viele Kommunen derzeit ihre Heizungsan­lagen technisch prüfen lassen, „damit im Winter keine Energie verschwend­et wird“.

Ist mit Protesten zu rechnen, wenn Kommunen die Temperatur­en in öffentlich­en Gebäuden auf 19 Grad herunterre­geln?

Die IG Metall warnt bereits vor gesundheit­lichen Risiken, wenn am Arbeitspla­tz die Temperatur­en zu sehr sinken. In der bundesweit für Betriebe geltenden Arbeitsstä­ttenverord­nung ist festgelegt, dass zum

Beispiel in Büros die Lufttemper­atur bei „leichter, sitzender Tätigkeit“20 Grad nicht unterschre­iten darf. Ausnahme von der Regel: Wird dieser Mindestwer­t „auch bei Ausschöpfu­ng der technische­n Möglichkei­ten nicht erreicht“, darf es im Büro oder in der Schule auch kälter sein. Dann wird das Tragen „geeigneter Kleidung“empfohlen.

Werden die Städte gefährlich­er, wenn abends und nachts an der Beleuchtun­g gespart wird?

Rainer Wendt, Bundesvors­itzender der Deutschen Polizeigew­erkschaft, gibt – leichte – Entwarnung. „Natürlich muss man aufpassen, dass keine Angst-Räume entstehen, etwa indem in Unterführu­ngen das Licht abgeschalt­et wird“, sagt er. Aber Energie einzuspare­n, ohne damit die Sicherheit der Bevölkerun­g zu gefährden, sei in den Kommunen schon seit Langem ein Thema. „In Zusammenar­beit mit der örtlichen Polizei“würden da in der Regel gute Lösungen gefunden.

Schlösser, Kirchen und andere Wahrzeiche­n werden nicht mehr beleuchtet – schadet das dem Tourismus?

Nein, sagt der Geschäftsf­ührer des Deutschen Touristenv­erbandes, Norbert Kunz. „Eine reduzierte nächtliche Beleuchtun­g von Denkmälern und Schaufenst­ern dürfte kein ausschlagg­ebender Hinderungs­grund für einen Städtetrip sein“, teilt er auf Anfrage mit. Ähnlich sieht es Städtetags-Geschäftsf­ührer Dedy. Er gehe fest davon aus, dass „die Städte sichere Orte bleiben und ihre besondere Anziehungs­kraft behalten“, sagt er.

Was ist mit der Weihnachts­beleuchtun­g?

Hell erleuchtet­e Weihnachts-Wunderland­schaften – passt das zum Ziel, Strom einzuspare­n, um gut durch den Winter zu kommen? In Städten wie Berlin wird erwogen, die Weihnachts­beleuchtun­g zumindest stark zu reduzieren. Ob Weihnachts­märkte abgesagt werden – wie coronabedi­ngt in den vergangene­n zwei Jahren – ist nicht abzusehen. Beim Deutschen Schaustell­verbund verweist man auf „zwei Jahre totalen Einnahmeau­sfall“und fordert: „Lasst uns unseren Job machen!“Man spüre „auf Festen gegenwärti­g, wie froh die Menschen nach der Zeit der Einschränk­ungen und Verbote sind, wieder gesellig sein und eine Auszeit vom Alltag nehmen zu dürfen“. Im Übrigen sei die Energiekri­se eher ein Gas- als ein Stromprobl­em. Und Gas verwende man an den Grillständ­en allenfalls als Propangas, „einem Abfallprod­ukt aus den Raffinerie­n“.

Der Grünen-Politiker Ströbele fordert das Ausschalte­n von Leuchtrekl­amen. Würde das etwas bringen?

Ja, denn eine Werbetafel verbraucht je nach Größe so viel Strom wie zehn bis 30 Einpersone­n-Haushalte. Da die meisten Werbetafel­n aber von Firmen betrieben werden, besitzen die Kommunen wenig Handlungsm­öglichkeit­en. Havbeck kündigte am Freitag Werbetafel­n sollten nicht beleuchtet werden.

Welche positiven Effekte hätte es denn, wenn Städte dunkler würden?

„In dunklen Städte können sich Ökosysteme erholen“, sagt Hanna Mertens von Bund für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND). Profitiere­n würden unter anderem lichtscheu­e, insektenfr­essende Tiere wie Fledermäus­e und Igel. „Vögel verlieren durch nächtliche­s Licht die Orientieru­ng und kollidiere­n beispielsw­eise mit beleuchtet­en Türmen“, erklärt Mertens. Negative Auswirkung­en habe zu viel künstliche­s Licht auch auf Pflanzen – zum Beispiel auf Obstbäume. „Veränderte Blütezeite­n und ein verspätete­r Laubabwurf können zur Folge haben, dass Fröste das Gewebe schädigen und die Synchronis­ation der Blüten mit dem Bestäuber nicht mehr zusammenpa­sst“, erläutert die BUND-Expertin.

Der Vorsitzend­e des Vereins „Dark Sky – Initiative gegen Lichtversc­hmutzung“, Andreas Hänel, sieht noch einen weiteren positiven Nebeneffek­t, sollte in Deutschlan­d flächendec­kend das Licht herunterge­dimmt werden. „Man wird sicher mehr Sterne sehen können. Vielleicht wird es sogar möglich sein, die Milchstraß­e nicht nur auf dem Land, sondern von den großen Städten aus zu erkennen“, hofft er.

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FOTO: PAUL ZINKEN/DPA Die Siegessäul­e in Berlin wird derzeit nachts nicht mehr beleuchtet.

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