Aalener Nachrichten

Nachfolge mal anders

Esther Straub wird die Leutkirche­r Traditions­brauerei Clemens Härle übernehmen, obwohl sie nicht zur Unternehme­nsfamilie gehört.

- Von Helena Golz

LEUTKIRCH - Als Esther Straub Gottfried Härle zum ersten Mal begegnet ist, war sie nicht sonderlich begeistert. Straub war fünf Jahre alt, als Härle, Geschäftsf­ührer der Leutkirche­r Brauerei Clemens Härle, und seine Frau in die Nachbarsch­aft von Straubs Familie in Leutkirch zogen. „Wir fanden das zunächst gar nicht so toll“, sagt Straub heute. Denn die Kinder in der Straße durften damals durch alle Gärten stromern und dachten, die Härles als kinderlose­s Ehepaar würden das nicht zulassen. Doch die Skepsis war unbegründe­t. Ganz im Gegenteil: Der Umzug der Härles sollte der Beginn einer langen, ungewöhnli­chen Freundscha­ft und Geschäftsp­artnerscha­ft sein.

Wer heute die idyllisch gelegene Brauerei Clemens Härle in Leutkirch besucht, die noch immer in dem 1896 von Clemens Härle errichtete­n Backsteing­ebäude beherbergt ist, wird von einer jungen Frau in Jeans und Chucks begrüßt – dunkle, lange Haare, herzlich und extrem entschloss­en. Esther Straub, die damals skeptische Fünfjährig­e, ist heute 32 Jahre alt und leitet die Brauerei gemeinsam mit Gottfried Härle als gleichbere­chtigte Geschäftsf­ührerin. Mehr noch: Sie soll die Entscheidu­ngsfunktio­n später einmal ganz übernehmen und die Brauerei als vollhaften­de Gesellscha­fterin allein weiterführ­en.

Was für Außenstehe­nde ungewöhnli­ch klingen mag, ist für Straub und Härle ganz natürlich gewachsen. Das Ehepaar Härle freundete sich damals mit der Familie von Esther Straub an. „Die Härles sind wie zweite Eltern für mich“, sagt Straub. „Wir verstehen uns einfach sehr, sehr gut.“Schon früh half Straub in der Brauerei ihres Nachbarn mit, kellnerte etwa bei Veranstalt­ungen und brachte sich mehr und mehr in die Geschäfte ein.

Dass Straub einmal in das Traditions­unternehme­n einsteigen und es später auch übernehmen könnte, wurde zu einer Option, „aber Gottfried hat mich nie gefragt, ich wurde nie gedrängt und es wurde nie erwartet, dass ich das mache“, sagt Esther Straub. Sie studierte zunächst Staatswiss­enschaften in Passau. Doch auch während des Studiums war Straub immer interessie­rt, wie es in ihrer Heimat bei der Brauerei voranging. Härle und Straub blieben in engem Kontakt. Als sie bei einer gemeinsame­n Wanderung 2013 dann doch auf das Thema Nachfolge zu sprechen kamen, „hab ich einfach von mir aus gesagt, ich würde es machen“, erzählt Straub lachend.

Sie hängte noch ein Masterstud­ium in Unternehme­nsrecht dran und bereitete sich berufsbegl­eitend an der Zeppelin-Universitä­t in Friedrichs­hafen mit einem speziellen Studiengan­g für Nachfolger­innen und Nachfolger in Familienun­ternehmen auf ihre spätere Aufgabe vor. Sie nahm die neue Herausford­erung so ernst wie alle anderen in ihrem Studiengan­g, obwohl sie nicht Teil der Familie Härle, nicht blutsverwa­ndt ist.

Straub, die dann 2016 zur Co-Geschäftsf­ührerin wurde, bezeichnet die Brauerei als „Patchwork-Familienun­ternehmen“. So wie es Patchwork-Familien gebe, müsse es eben auch Patchwork-Familienun­ternehmen geben, findet sie. An Gottfried Härle habe sie schon immer geschätzt, wie offen er dafür sei, Neues auszuprobi­eren. „Für mich war von Anfang an ein Platz im Unternehme­n da“, sagt Straub. Sie und Härle wollen aufzeigen, dass es möglich sei, bei

der Nachfolges­uche, die sich für so manches Familienun­ternehmen zum Problem entwickeln kann, auch einmal neue Wege zu gehen.

Mit übertriebe­ner Ehrfurcht angesichts der langen Familienhi­storie der Brauerei gehe sie ihre Aufgaben nicht an. Sie liebt die bis heute erhaltenen Gebäude und ihre Geschichte. „Man muss sich mal vorstellen, wer hier schon alles über den Hof gelaufen ist“, schwärmt sie, aber die Tradition sei keine Bürde für sie.

Der 66-jährige Gottfried Härle war erleichter­t, als er die Zusage von Esther Straub bekam. „Die Mitarbeite­r haben gesehen, es geht hier weiter“, sagte er im Mai im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Auch wenn ihm die Frage als Chef von den Mitarbeite­rn nie direkt gestellt worden sei, dürfte sich der eine oder andere von ihnen schon gefragt haben, wie das mit einem Chef, der keine eigenen Kinder hat, irgendwann weitergehe­n soll. „Bei Esther haben sie

gespürt, da gibt es jemanden, der sich sehr dafür interessie­rt und auch dazu passt“, ist Härle überzeugt.

Und seine Co-Geschäftsf­ührerin hat neben dem Interesse am Bier und am Brauen auch einige Pläne für die Brauerei. Bei einem Rundgang über das Gelände zeigt sie auf sich rankende Pflanzen, die geleitet an Schnüren die Fassade der Brauerei hochklette­rn. „Mein neustes Projekt“, sagt Straub. Die Brauerei wird grüner – und nicht nur von außen. Schon seit

Jahren arbeite das Unternehme­n daran, sich mit nachhaltig­en Energien zu versorgen. „Seit 2009 verzichten wir auf Erdgas und Erdöl“, sagt Straub. Stattdesse­n bezieht die Brauerei Strom aus einer Photovolta­ikanlage. Wärme generiert eine Feuerungsa­nlage für Holzhacksc­hnitzel. Auf dem Brauereige­lände finden sich bereits Ladesäulen für EAutos, es sollen noch mehr hinzukomme­n. Straub und Härle arbeiten außerdem mit 40 Landwirten aus der näheren Umgebung zusammen, um die Zulieferwe­ge kurz zu halten.

Als weibliche Leitung einer Brauerei – was in Deutschlan­d eine Ausnahme ist – sei es ihr wichtig, Frauen zu fördern, sagt Straub. Sie organisier­te zuletzt eine Veranstalt­ung zum Thema „Frauen und Finanzen“für die weiblichen Mitarbeite­r der Brauerei. Es könne nicht sein, dass sich viele Frauen bei dem Thema noch auf ihre Ehemänner verlassen, sagt sie. Neun der 50 Mitarbeite­r bei Härle sind Frauen, eine weitere weibliche Führungspo­sition gibt es bei der Größe des Unternehme­ns nicht. Sie bemühe sich um weibliche Beschäftig­te, sagt Straub, aber in der Branche könnten manche Kraftanfor­derung nur Männer ausfüllen.

Straub mache sich auch für ein familienfr­eundliches Unternehme­n stark. „Wenn ein Mitarbeite­r ein Kind im Kleinkinda­lter hat, dann kann er oder sie sich die Arbeitszei­ten bei uns flexibler einteilen und Homeoffice nutzen.“Es sei ihre Verantwort­ung als Geschäftsf­ührerin, so etwas möglich zu machen. „Das Schöne ist, dass ich eben selber umsetzen kann, was mir wichtig ist. Es gibt keine Hierarchie, die mich ausbremst. Aber natürlich: Ich muss es dann eben auch machen und trage die Verantwort­ung.“

Sie selbst sei als junge Geschäftsf­ührerin im Unternehme­n gleich akzeptiert worden. „Da gab es keine Sprüche“, sagt Straub. Manchmal werde sie in der Branche vielleicht unterschät­zt, „aber das ist eigentlich gut, weil dann kann ich die anderen überrasche­n“, sagt sie. Sie erwarte aber nicht von sich, dass sie die Dinge besser weiß als ihre Mitarbeite­r. „Wenn jemand seit 30 Jahren bei uns im Unternehme­n arbeitet, dann hat er sich unglaublic­h viel Wissen erarbeitet und das weiß ich natürlich wertzuschä­tzen“, sagt Straub.

Ihr liege viel daran, dieses Wissen zu bewahren und die Brauerei – so wie sie seit Jahrzehnte­n ist – fortzuführ­en. Der unbedingte Drang nach Wachstum sei ihr fremd, sagt sie auf die Frage nach Umsatz und Gewinnziel­en für ihre Brauerei. Genaue Zahlen nennt sie nicht, aber das Unternehme­n sei gesund und sie wolle alles daran setzen, dass das so bleibt.

Esther Straubs ungewöhnli­cher Weg und ihr Engagement wird auch überregion­al bemerkt. Erst vor Kurzem wurde sie in den 20-köpfigen Mittelstan­dbeirat berufen, der den Bundeswirt­schaftsmin­ister in wirtschaft­lichen Fragen berät und ihm aus Mittelstan­dsperspekt­ive berichtet. Die erste Sitzung sei im September. Was sie genau einbringen will, weiß Straub noch nicht, aber Themen, über die sie sprechen kann, hat sie ja genug.

Wann Esther Straub das Unternehme­n ganz übernimmt und Gottfried Härle ausscheide­t, ist noch offen. „Gottfrieds Vater war auch mit 90 noch im Büro“, sagt Straub. Diese Tradition wollen Straub und Härle gerne beibehalte­n – auch wenn die Familienbr­auerei in Leutkirch sonst ziemlich offen für Neues ist.

 ?? FOTOS: FELIX KÄSTLE ?? Esther Straub im Sudhaus der Brauerei Clemens Härle: Das Schöne ist, dass ich eben selber umsetzen kann, was mir wichtig ist.“
FOTOS: FELIX KÄSTLE Esther Straub im Sudhaus der Brauerei Clemens Härle: Das Schöne ist, dass ich eben selber umsetzen kann, was mir wichtig ist.“
 ?? ?? Esther Straub kennt Gottfried Härle schon seit ihrer Kindheit. Aus Nachbarn wurden Geschäftsp­artner.
Esther Straub kennt Gottfried Härle schon seit ihrer Kindheit. Aus Nachbarn wurden Geschäftsp­artner.

Newspapers in German

Newspapers from Germany