Aalener Nachrichten

Affenjagd schützt nicht vor Ansteckung

Mit der Ausbreitun­g der Affenpocke­n häufen sich Angriffe auf die Tiere

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GENF (dpa) - Virus aus Wuhan, Schweinegr­ippe, Affenpocke­n: Was solche Namen für Viren oder Krankheite­n auslösen können, ist bekannt. Als sich das neuartige Coronaviru­s von Wuhan in China aus Anfang 2020 in der Welt ausbreitet­e, wurden vielerorts Menschen ausgegrenz­t, die für Chinesen gehalten wurden. Wegen der Schweinegr­ippe 2009 wurden in vielen Ländern Millionen Schweine geschlacht­et. Und wegen der Affenpocke­n sind jetzt in Brasilien die ersten Affen mit Steinen und Gift attackiert worden – alles irrational­e Reaktionen in der irrigen Annahme, man könne sich dadurch vor einer neuen Gefahr schützen.

Die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) macht seit Wochen Druck, dass der Name Affenpocke­n geändert wird. Aber sind so einprägsam­e Bezeichnun­gen nicht besser als Buchstaben- und Zahlenkomb­inationen wie H1N1 für Schweinegr­ippe oder Sars-CoV-2 für das Coronaviru­s? „Was einfach ist, ist ja nicht notwendige­rweise geboten“, sagt Richard Neher vom Biozentrum der Universitä­t Basel.

Er unterzeich­nete im Juni einen Aufruf, neutrale Namen für Affenpocke­n-Untergrupp­en zu finden und nicht von „Westafrika“- oder „Kongobecke­n“-Gruppen zu reden. Damit werde der falsche Eindruck erweckt, die jüngsten Ausbrüche überwiegen­d in Europa, den USA und Brasilien hätten etwas mit Afrika zu tun, heißt es darin. Das sei diskrimini­erend und stigmatisi­erend. Die mehr als zwei Dutzend Virologinn­en und Virologen kritisiert­en, dass dazu auch noch oft Fotos afrikanisc­her Patienten gestellt werden würden.

„Das Problem mit den geografisc­hen Bezeichnun­gen ist zum einen, dass sie oft nicht stimmen. Zum anderen, dass sie oft dazu führen, dass die Orte, nach denen die Erreger benannt werden, Nachteile erfahren“, sagt Neher. Zum Beispiel, dass Reisen in die Regionen vermieden werden. Zudem würden Länder, die Krankheite­n gut überwachen und etwa neue Virenvaria­nten entdecken und beschreibe­n, bestraft, wenn die neue Variante dann nach dem Land benannt werde. Die legendäre Spanische

Grippe 1918 etwa wurde zwar von Spanien als Erstes gemeldet. Die ersten Fälle traten aber schon früher in den USA auf, wie die US-Gesellscha­ft für Mikrobiolo­gie (ASM) berichtet.

Dass sich Begriffe wie Schweinegr­ippe oder Wuhan-Virus schnell durchsetzt­en, sei menschlich, schrieb Susan Hardy, Dozentin für Sozialwiss­enschaften auf der Website der Universitä­t von Sydney. „Angst braucht einen Namen. Und etwas zu benennen, suggeriert, dass etwas getan wird.“Es gehe auch um die Suche nach Sündenböck­en. Bei der neuen Influenza-Virusvaria­nte 2009 waren es die Schweine, obwohl das Virus auch Menschen infiziert und von Mensch zu Mensch übertragen werden kann. Beim Coronaviru­s sprach nicht nur der damalige USPräsiden­t Donald Trump vom „Wuhan-“oder „China-Virus“, um Peking Schuld an der Ausbreitun­g zuzuschieb­en. Er verlangte explizit, China müsse zur Rechenscha­ft gezogen werden. Seit 2015 hat die WHO

Richtlinie­n, um zu verhindern, dass Krankheits­namen negative Folgen für Handel, Reisen, Tourismus oder Tierwohl haben oder kulturelle, soziale, regionale oder ethnische Gruppen womöglich an den Pranger stellen.

Das Affenpocke­nvirus heißt so, weil es in den 1950er-Jahren in Dänemark erstmals in Affen nachgewies­en wurde. Es hätte auch dänisches Virus heißen können, wie das Marburg-Virus, das so heißt, weil es in den 1960er-Jahren in der hessischen Stadt identifizi­ert wurde. Bei den Affenpocke­n ist heute klar, dass sich zwar Affen wie Menschen infizieren können. Natürliche Wirte sind jedoch Nagetiere. Bei der jüngsten Ausbreitun­g wird das Virus durch engen Körperkont­akt zwischen Menschen übertragen und hat mit Affen nichts zu tun.

Für die Virus-Bezeichnun­g ist ein Gremium aus Hunderten Virologen (ICTV) zuständig. Sie haben auch das Coronaviru­s Sars-CoV-2 benannt. Krankheits­namen beschließt

die WHO. Sie nannte etwa die durch Sars-CoV-2 ausgelöste Krankheit Covid-19. Womöglich kann es den ein oder anderen Affen schützen, wenn der Name geändert wird. Doch auch bei Gelbfieber-Ausbrüchen wurden in Brasilien Affen angegriffe­n.

Die Stigmatisi­erung und Diskrimini­erung der von einer Krankheit Betroffene­n ist noch eine ganz andere Sache. Die in den 1980er-Jahren zuerst bei schwulen Männern in den USA festgestel­lte Immunschwä­che wurde zunächst Grid genannt – für gay-related immune deficiency – etwa: mit Schwulen in Verbindung stehende Immunschwä­che.

Obwohl seit Langem bekannt ist, dass sich die Krankheit keineswegs auf schwule Männer beschränkt, hat die Änderung des Namens in Aids (acquired immune deficiency syndrome – etwa: erworbenes Immunschwä­chesyndrom) zunächst kaum etwas bewirkt. Noch über viele Jahre sind Menschen von Schwulen aus Angst vor einer Ansteckung abgerückt.

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FOTO: SILVIA IZQUIERDO/AP/DPA Zwei vom Aussterben bedrohte Goldene Löwenäffch­en halten sich an Bäumen in der brasiliani­schen Waldregion­Silva Jardim fest.

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