Er schuf „Meisterwerke des Humors“
Der französische Zeichner Jean-Jacques Sempé ist tot – Seine berühmteste Figur ist der „Kleine Nick“
(KNA) - Wer in Paris wohnt, hat Glück. Etwa das Glück, in die Galerie Martine Gossieaux gleich hinter dem berühmten Musee d’Orsay huschen zu können, um dort quasi jederzeit Werke des Künstlers JeanJacques Sempé zu bewundern. Jetzt ist der Illustrator des „Kleinen Nick“gestorben – wenige Tage vor seinem 90. Geburtstag am 17. August. Der Diogenes Verlag in Zürich würdigte Sempés Arbeiten als „Meisterwerke des Humors“. In ihnen habe er auf „zärtlich-ironische Weise“den Menschen ihre Schwächen und die der Welt vorgeführt.
Bis zuletzt hatte sich Sempé dankbar für die öffentliche Anerkennung gezeigt: „Ich hätte nie geglaubt, dass eines Tages jemand meine Sachen kaufen wird, um sie bei sich zu Hause zu haben“, bekannte er einmal im Gespräch mit dem Magazin der „Süddeutschen Zeitung“. Es ist diese fast kindliche Freude über die Zufälle des Lebens, die auch in Sempés Zeichnungen steckt – gepaart mit einem Hauch Melancholie und einer feinen Prise Humor.
Dieser Dreiklang wurde ihm wohl in die Wiege gelegt. 1932 in Bordeaux zur Welt gekommen, habe seine Mutter sogleich einen Preis eingeheimst: Den für das „schönste Baby“der
Stadt, erinnerte sich der Künstler in seinem 2012 erschienenen Band „Kindheiten“. „Ein schönes Baby, das war damals etwas Abscheuliches: ein dickes Kind, vollgepumpt mit überfetter Milch. Je scheußlicher und unförmiger so ein Baby war, desto schöner fand man es.“
Über die nachfolgenden Jahre hörte man von Sempé nur wenig Gutes. Von der Mutter seien ihm unter anderem die schallenden Ohrfeigen haften geblieben. Vom Stiefvater, der als Lebensmittelhändler Pasteten, Fisch und „Gürkchengläser“vertrieb, die Streitereien mit der Mutter, wenn dieser nach einem erfolgreichen
Geschäftstag leicht alkoholisiert nach Hause kam. „Meine Kindheit war wirklich alles andere als lustig“, so der Zeichner. „Das ist gewiss der Grund dafür, dass ich das Heitere liebe.“Und vielleicht auch dafür, dass in vielen seiner Zeichnungen Kinder im Mittelpunkt stehen – und die Welt der Erwachsenen oft grau und trist daherkommt.
Besonders sichtbar wird das beim „Kleinen Nick“, Sempés wohl bekanntester Figur. Die zeitlos schönen Anekdoten über einen Schuljungen und seine Clique im Frankreich der 1950er- und 1960er-Jahre hat auch in Deutschland eine große Fangemeinde,
nicht zuletzt dank der genialen Übersetzung von Hans Georg Lenzen. Zu den Bildern von Sempé gehören die Erzählungen von Asterix-Autor René Goscinny. Wie es zu alledem kam, ist wieder einer jener glücklichen Zufälle, der dem Zeichner in die Hände spielte.
Erstmals ersann Sempé die anfangs noch namenlose Figur für eine Zeitschrift in Belgien, damals das Mekka aller Cartoonisten und Comic-Künstler. Der Chefredakteur des Blattes wollte dem Kind einen Namen geben. Kurz vor der nächsten Verabredung mit dem Mann, so Sempé, „fuhr ein Bus an mir vorbei, auf dem Werbung für einen Wein namens Nicolas zu sehen war. Und, zack!, hatte ich einen Namen für den Kleinen.“Wenig später stieß Goscinny hinzu, der aus den geplanten Comic-Strips mit dem Kleinen Nick ganze Geschichten entstehen ließ.
Die Erzählungen spiegeln Sempe zufolge eine Art Ideal wider. „Im ,Kleinen Nick’ balgen sich die Kinder, aber sie tun sich nicht weh.“Stattdessen haben sie jede Menge Spaß im Urlaub, auf dem Sportplatz oder bei Streichen in der Schule. Natürlich ist seit 1950, als er seine ersten Zeichnungen veröffentlichte, eine Fülle an weiteren Werken entstanden – darunter Titelbilder für das US-Magazin „New Yorker“.