Zurück in der Münchner Arena
Erstmals seit seiner Entlassung kreuzt Niko Kovac als Gegner des FC Bayern auf
MÜNCHEN - Es ist eine beliebte Frage unter Reportern an die Trainer vor dem nächsten Spiel: Wie erwarten Sie den Gegner? Wenn einer ausführlich und offen spricht wie Bayerns Trainer Julian Nagelsmann kann man aus der Antwort eine taktische Analyse herausfiltern, die so – oder so ähnlich – wohl auch der Mannschaft in den Videositzungen und Ansprachen präsentiert wird. Also, Herr Nagelsmann? Was ist mit den Wölfen aus der Autostadt in Niedersachen, die Sonntag (17.30 Uhr/DAZN) in der Allianz Arena antreten?
„Es ist eine sehr gute Mannschaft, ein sehr guter Kader“, meinte der 35Jährige und ging dann ins Detail: „Ich erwarte sie in unterschiedlichen Angriffshöhen und nicht, dass sie sich hinten einigeln. Wolfsburg variiert in ihrem Pressing.“Es wird also kein VW-Bus vor dem eigenen Strafraum geparkt. Nagelsmann: „Ich bin guter Dinge, dass es ein attraktives Spiel wird, Wolfsburg hat auch einen gewissen Anspruch, durch die Saison zu kommen. Sie werden mitspielen und gewinnen wollen. Ich gehe nicht von einem offenen Visier aus, aber auch nicht von einem vakuumverpackten Helm.“Hübsches Bild.
Das Gesicht der Wolfsburger seit diesem Sommer heißt Niko Kovac (50). Der Kroate, gebürtig in Berlin, kehrt nach 1015 Tagen erstmals an seine frühere Arbeitsstätte zurück – sicher mit gemischten Gefühlen. „Es ist immer wieder schön, dorthin zurückzukommen, wo man selbst gespielt oder auch als Trainer gearbeitet hat. Ich werde dort viele Weggefährten treffen“, sagte Kovac, der ab Sommer 2018 bei Bayern Nachfolger von Interimstrainer Jupp Heynckes wurde. Engagiert allerdings nur als 1B-Lösung, weil die Bosse es versäumt hatten, mit Thomas Tuchel rechtzeitig zu verhandeln. Tuchel nahm dafür die Herausforderung Paris St. Germain an. „Ich habe noch sehr viele Freunde in München, mit denen ich noch regelmäßig telefoniere“, meinte Kovac. Thomas Müller
ist damit nicht gemeint. Weil der Coach ihn immer wieder auf die Bank verbannte, hätte der Ur-Bayer seinen Herzensverein beinahe im Streit verlassen. Als Müller einmal sehr spät eingewechselt wurde, postete dessen Ehefrau Lisa bei Instagram: „Mehr als 70 Minuten bis der mal 'nen Geistesblitz hat.“Dazu hat Stefan Effenberg eine klare Meinung: „Thomas Müller spielte unter Kovac damals bei Bayern nur eine Nebenrolle und wurde von ihm als ,Notnagel’ bezeichnet. Das sitzt bei Müller noch irgendwo im Hinterkopf “, schrieb der frühere Bayern-Kapitän in seiner Kolumne bei „t-online.de“. Es knistert beim Wiedersehen.
Im Herbst 2019 stolperte Kovac, weil das Verhältnis zur Mannschaft und insbesondere den Führungsspielern um Müller zerrüttet war. Die zu vorsichtige, defensive, oft an den Stärken des Gegners angepasste
Spielweise passte den Stars nicht, die Offensivfußball à la Jupp liebten. Kurz vor seiner Entlassung hatte Kovac im Oktober 2019 gesagt: „Man kann nicht versuchen, 200 Kilometer pro Stunde auf der Autobahn zu fahren, wenn man nur 100 schafft. Man muss das anpassen, was man hat. Wir haben andere Spielertypen.“Nach einem verheerenden 1:5 am 3. November in Frankfurt war seine Zeit nach 65 Spielen zu Ende, Co-Trainer Hansi Flick übernahm. Und es begann: eine neue Ära. Zurück zum Offensiv-Fußball. Vergleicht man den Stil von Kovac und den PressingFußball von Julian Nagelsmann scheinen Lichtjahre dazwischen zu liegen. Einst träge, nun Tempo.
Er könne seinen VfL-Kollegen „nicht einschätzen“, sagte Nagelsmann. Dafür kenne er ihn zu wenig, man habe „keinen privaten Kontakt“. Er glaube aber, so der Bayern-Coach,
„dass er ein emotionaler Trainer ist. Er lässt gerne Fußball arbeiten“. Eine kleine Spitze? Die größere folgte nachdem sich Kovac laut „Sport Bild“gegenüber Bekannten geäußert hatte, mit Top-Transfers wie Sadio Mané, Matthijs de Ligt & Co. (Kostenpunkt: 137,5 Millionen Euro Ablöse ohne etwaige Bonuszahlungen) hätte er länger als 16 Monate in München arbeiten können/dürfen: „Rein physisch waren wir auch letztes Jahr in der Lage, Angriffe mit 200 km/h zu fahren.“Volle Fahrt voraus.
Mit einem Schmunzeln fügte Nagelsmann an: „Er hat mehr Titel geholt in seiner ersten Saison als ich.“Das Double. Nagelsmann wurde nur Meister. Doch der Landsberger ergänzte: „Seine Amtszeit ging trotzdem nicht perfekt aus. Ich wünsche ihm viel Erfolg mit Wolfsburg, nicht zwingend am Sonntag, aber in den darauffolgenden Spielen.“