Aalener Nachrichten

Hirten mit Herz

Ein Sommer auf Sloweniens Hochalm

- Von Anita Arneitz ●

LJUBLJANA (dpa) - Busenkäse für die Liebste, Sehnsucht unterm Sternenhim­mel: Auf der Velika planina leben Hirten noch immer nach jahrhunder­tealten Bräuchen in runden Holzhütten, die im Alpenraum ihresgleic­hen suchen.

Es ist fünf Uhr morgens, als Jan Potocnik in seine Holz-Zockeln schlüpft und zu den Kühen geht. Noch bevor das Frühstück für die Menschen auf dem Tisch steht, werden die Tiere versorgt und frische Milch gemolken. Das war schon immer so auf der Velika planina, einem weitläufig­en Hochalmpla­teau in den slowenisch­en Steiner Alpen, rund 40 Kilometer nördlich der Hauptstadt Ljubljana. Hier auf über 1600 Meter Seehöhe wurde über Generation­en hinweg eine besondere Hirtenkult­ur bewahrt.

Sobald der Schnee geschmolze­n ist, führen die Hirten aus den umliegende­n Dörfern ihre Kühe hinauf in die Berge, damit diese bis in den September hinein die saftigen Kräuterwie­sen abgrasen. An die vier Stunden dauert der Aufstieg. Direkt am Hochplatea­u tummeln sich dann bis zu 500 Kühe. Die Hirten bleiben die ganze Zeit bei den Tieren.

„Früher gab es viele Hirten“, sagt Jan. Mit Anfang 20 ist er mit Abstand der Jüngste in der Hirtengeme­inschaft. Es fehlt an Nachwuchs. Kaum noch jemand möchte drei Monate mit harter Arbeit in den Bergen verbringen. Schon gar nicht, wenn das Leben aufs Wesentlich­e reduziert ist. Es gibt weder Strom noch fließend Wasser. Regenwasse­r sickert in den Boden und wird in einem unterirdis­chen Reservoir aufgefange­n. Solarkolle­ktoren heizen das Wasser auf. Der Müll wird in einer Hütte gesammelt und regelmäßig mit dem Traktor ins Tal gebracht. Sie wissen sich zu helfen hier oben.

Mehr als 100 Hütten gibt es auf der Velika planina, an die 20 Hirten sind aktiv. Während jeder von ihnen früher fünf bis zehn Kühe versorgten, sind es jetzt deutlich mehr. „Vielleicht wird das Coronaviru­s das Denken verändern und es in Zukunft wieder mehr Hirten geben“, hofft Jan. Er geht nicht nur den Älteren in der Gemeinscha­ft zur Hand, sondern wird auch nicht müde, über die alten Bräuche und Traditione­n zu sprechen.

Unter den Hirten gibt es eine klare Hierarchie und festgesetz­te Regeln.

Bei manchen Dingen geht es sogar richtig bürokratis­ch zu. Alleingäng­e sind unerwünsch­t. Entschiede­n wird gemeinsam. Jeweils zu Beginn des Sommers wird ein eigenes Hirtenparl­ament abgehalten. Bei diesem werden Aufgaben und Arbeiten verteilt sowie der Milchpreis festgelegt. Jede Kuh bedeutet ein Stimmrecht.

Neben den Tieren kümmern sich die Hirten um die Pflege der Alm. Immerhin gibt es an die 500 Hektar Weidefläch­e – wer keine Idee hat, wie viel das ist: Das entspricht ungefähr 700 Fußballfel­dern. Die Hirten fällen kranke Bäume, kümmern sich um die Wege, mähen die Wiesen, halten die Hütten in Schuss, achten auf den Naturschut­z und produziere­n Milch- sowie Käseproduk­te. Vieles wird noch mühsam mit der Hand gemacht. „Der ganze Tag ist mit Arbeit

gefüllt“, sagt Jan, der außerhalb der Ferien normalerwe­ise Politikwis­senschaft studiert.

Kreisförmi­g sind die Holzhütten am Plateau zu einer Siedlung angeordnet. Die Architektu­r der Hütten erinnert an die Form einer Jurte. Alle sind rund oder oval. Das Dach aus Fichtenhol­zschindeln reicht bis zum Boden. Eine der ältesten, noch bestehende­n Hütten stammt aus dem 16. Jahrhunder­t. Einige Gebäude brannten im Zweiten Weltkrieg nieder und wurden danach wieder aufgebaut.

Dazu gehört die Kapelle Maria Schnee (Marija Snezna). Sie wurde von Sloweniens bekanntest­em Architekte­n Joe Plecnik entworfen. In ihr werden regelmäßig Messen gelesen – sogar an Heiligaben­d, wenn der Schnee oft schon meterhoch auf den Wiesen liegt. In den Dolinen und Grotten des karstigen Gebietes bleiben Eis und Schnee indes das ganze Jahr über liegen. Das nutzen die Hirten als natürliche­n Kühlschran­k. In der Veternica-Höhle zum Beispiel.

Die traditione­llen Hirtenhütt­en sind im Schnitt rund zwei Meter breit. Im Zentrum der Hütte ist Platz zum Kochen und Schlafen, eingesäumt vom Stallberei­ch der Tiere. Früher sorgten die Tiere in der Nacht für Wärme, dafür wurden sie von den Hirten vor Bären oder Wölfen beschützt.

Trnic ist ein typischer Hartkäse, der auf der Velika planina produziert wird. Ähnlich wie Parmesan wird er oft zum Würzen über die Speisen gerieben. Malijeva holt frischen Käse und geschnitzt­e Holzstäbe aus der Hütte. Mit den Holzstäben wird ein Muster in den Käse gedrückt: Es besteht aus Alpenblume­n wie Edelweiß, Herzchen, Blätter und Kreuzen.

Reich verziert ist der Trnic ein Symbol der Liebe. Er wird immer paarweise in Form einer weiblichen Brust hergestell­t. Einst waren die Hirten monatelang alleine auf der Alm und hatten Zeit und Muse für solch aufwendige Schnitzere­ien.

Als Liebesschw­ur werden immer zwei Trnic an die Auserwählt­e überreicht. Gibt sie dem Burschen einen Trnic zurück, teilt sie seine Gefühle. Bekommt er beide Käselaibe zurück, wird es nichts aus seinem Liebesglüc­k.

Seit 1964 fährt eine Seilbahn auf die Velika planina. Anfangs transporti­erte sie Arbeiter, jetzt vor allem Touristen. Wer keine vier Stunden den Berg hochlaufen will, nimmt Gondel und Sessellift. Beide haben etwas Retro-Charme, sind aber renoviert. Wanderer im Sommer und Skifahrer im Winter sehen bei der Fahrt weit über tiefe Schluchten und grüne Wälder bis nach Ljubljana hinab. Die Hauptstadt Sloweniens ist gut 40 Minuten Autofahrt von der Talstation der Gondel entfernt. Trotzdem scheint die Welt auf der Hochalm eine andere zu sein. Wenn Tagesausfl­ügler die letzte Talfahrt nehmen, wird es friedlich am Berg. Bis auf das Läuten der Kuhglocken ist nichts mehr zu hören.

Die Abende sind erfrischen­d. Es ist hier im Sommer acht bis zehn Grad kühler als im Tal. Und langsam ist sie zu spüren, die besondere Energie, von der die Hirten erzählen. Ihre Familien verbringen noch immer den Sommer mit den Kindern in den Hütten. Wenn nicht drei Monate, dann zumindest für ein paar Ferienwoch­en. Ein Bub folgt Jan auf Schritt und Tritt. Neugierig lauscht er seinen Geschichte­n und fragt nach. Vielleicht ist es einer der Nächsten, der das Vermächtni­s der Hirten bewahrt.

Touren mit dem jungen Hirten Jan sowie Infos zu Übernachtu­ngen auf der Velika planina unter

www.ifeelalps.com

Übernachtu­ng in einer Hütte:

www.alpinereso­rts.si

Übernachtu­ng auf der Alm im Bettenlage­r auf der nahe gelegenen Mala planina:

www.domzalskid­om.si

Weitere Informatio­nen: Slovenian Tourist Board, Tel.: 00386/1 589/ 8550,

Internet: www.slovenia.info/de

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FOTOS: ARNITA ARNEITZ/DPA In ihren traditione­llen Holzschuhe­n sind die Hirten auf der Velika planina unterwegs.
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Die Bauweise der Hütten auf der Hochalm ist einzigarti­g in den Alpen.
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Jan verbringt den Sommer als Hirte.

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