Wo grüne Ideen wachsen und blühen
Wer die Floriade in den Niederlanden besucht, unternimmt eine Reise in die Zukunft – Viele kreative Ansätze für eine bessere und gesündere Welt sind zu bestaunen
Da hat doch jemand glatt den Kohlrabi geerntet. „Der war noch gar nicht reif“, sagt Ym de Ros. Sie muss es wissen, schließlich ist die 71-Jährige fast jeden Tag auf der Floriade, um nach dem Rechten zu sehen. Was die Niederländer alle zehn Jahre auf die Beine stellen, ist ein Mix aus Weltausstellung und Gartenschau. Der Besucher unternimmt eine Reise in die Zukunft, weil sich vieles um die Frage dreht, wie grünere, gesündere und widerstandsfähigere Städte und Wohnformen aussehen müssen.
Die Antworten der diesjährigen Floriade, die noch bis Anfang Oktober in Almere in der Nähe von Amsterdam stattfindet, sind einleuchtend: Man muss der Natur mehr Raum geben und zum Bauen und Wohnen Rohstoffe verwenden, die auf natürliche Weise (nach)wachsen. Und so erlebt der Besucher eine bunte Mischung grüner Ansätze.
Manche Dinge wirken wundersam bis kurios. Im Recyclinghaus, das komplett aus alten Materialien erstellt wurde, gibt es beispielsweise die Möglichkeit, sein Handy mit Pflanzenenergie zu laden. Oben grüne Gewächse, unten grüner Strom, der dank Photosynthese erzeugt wird. In anderen Ausstellungshäusern haben sich Gemüsereste in Dämmplatten für Wohnhäuser verwandelt. Der Besucher staunt über Flugzeugsitze aus Paprikastängeln und Küchenfronten aus rein pflanzlichen Materialien. Für besonderes Aufsehen sorgt das Pilzhäuschen, dessen Außenwände aus dem Myzel bestehen. Das ist jener Teil des Pilzes, der verborgen im Erdboden wächst. Kombiniert man ihn mit Hanf oder Flachs entsteht daraus ein äußerst robuster Rohstoff, der wasserabweisend und feuerdämmend sein soll.
Wohnzimmerwände erhalten keine Tapete mehr, sondern ein Puzzle aus Baumrinde. Das Sofa von morgen ist mit Kunstleder bezogen, das aus Mangoschalen gewonnen wurde. Gerne würde man die Teller und Tassen befühlen, die aus Eiern, Seegras,
Kaffeepulver oder sogar Tiermist entstanden sind. Leider ist da ein Verbotsschild. Anfangs gerät man als Besucher in regelrechte Euphorie, weil es so viele Ideen gibt, die einige drängende Probleme lösen könnten. Vermutlich wird man an keinem anderen Ort der Welt so frontal damit konfrontiert, dass Lösungen zwar auf der Hand liegen, der Großteil der Menschheit sich aber immer noch nicht darum schert. Denn viele Ansätze existieren bereits seit Jahren. Sie sind allerdings nicht über Versuchsphasen hinausgekommen, weil Geld fehlte, weil der politische und gesellschaftliche Wille fehlte. Das schlechte Gewissen taucht beim Floriade-Rundgang immer wieder auf.
„Wir müssen lernen, umzudenken“, sagt Ym de Ros. Die 71-Jährige arbeitet seit 2015, als die Arbeiten für die diesjährige Floriade begannen, freiwillig mit. Sie hat das Gelände, das früher Brachland war, mit anderen Helfern hergerichtet. Sie haben Wege angelegt, Parkabschnitte und Beete gebaut – auch jene, in denen der Kohlrabi wächst. Nach Ende der Ausstellung im Oktober wird auch Ym davon profitieren, denn sie zieht in eine Tinyhouse-Siedlung ganz in der Nähe. Aus dem Floriade-Areal wird ein neues Stadtviertel. Bereits jetzt ist mitten im Gelände ein Heim für Alte und Demenzkranke in Betrieb. Neue Bewohner können sich ab 2023 quadratische Grundstücke kaufen, auf denen bereits Wohnwürfel stehen, die die Besucher erkunden. Ein, zwei Räume mitten im Grün, mehr soll es nicht sein. „Wir müssen uns daran gewöhnen, mit weniger auszukommen“, sagt Ym.
Die neue Formel in den Niederlanden lautet: ein Drittel Haus, zwei Drittel Garten. Im Ökoviertel „Oosterwold“, einem Stadtteil von Almere, wird das schon in die Tat umgesetzt. Die Menschen haben sich verpflichtet, nachhaltig zu leben, ihre eigene Nahrung anzubauen, der Natur mehr Raum zu geben. Die Gründe sind einleuchtend: Weniger versiegelte Fläche bedeutet, dass mehr Wasser in die Böden gelangt. Hauswände, Straßen und Terrassen sind
große Wärmespeicher und laden Städte im Sommer geradezu mit Hitze auf. Bäume und Sträucher hingegen spenden Schatten und senken die Temperaturen in Städten merklich. All das wird auf dem FloriadeGelände anschaulich gezeigt.
Allerdings tauchen in diesem Zusammenhang gleich wieder neue Fragen auf: Welche Bäume sind die richtigen für eine nachhaltige Zukunft? „Was heute in unseren Wäldern und Gärten wächst, könnte bereits in den nächsten Jahren dem Klimawandel zum Opfer fallen“, sagt Ym. Deswegen sucht die Floriade
auch darauf Antworten. Auf einem Versuchsfeld stehen exotische Bäume. Sie sind mit Messsonden versehen, um Aufschlüsse darüber zu bekommen, wie sie sich entwickeln. Das passiert natürlich auf wissenschaftlicher Basis. Auf der Floriade gibt es bereits eine Uni, in der sich Gartenbau- und Agrarstudenten tummeln.
Ym ist mit ihren 71 Jahren noch gut zu Fuß. Sie jagt quer über das gut 60 Fußballfelder große Gelände, in dem die Gärtner eine Million Blumenzwiebeln verbuddelt haben. Es gibt 6000 Bäume und mehr als 200 000
Sträucher und Pflanzen. Nur einmal nimmt sie die Seilbahn, die über alles hinwegschwebt und 2023 zur Bundesgartenschau nach Mannheim verfrachtet wird. „Mir geht hier das Herz auf. So grün, so viele Ideen. Für meine Enkel ist das alles hoffentlich mal normal.“Die aktuelle Kritik an der Ausstellung nimmt sie gelassen. „Da geht es ja nur ums Geld, nicht um die Ideen.“Es kommen viel weniger Besucher als kalkuliert, man rechnet mit einem Verlust in zweistelliger Millionenhöhe. Die Niederländer sind erbost über die hohen Preise für Eintritt, Würstchen und Getränke.
Die Floriade ist eine Weltausstellung, bei der 30 Nationen vertreten sind. Den meisten wird unterstellt, eher touristische Werbung für ihr Land zu machen, als wirkliche Lösungen für die Probleme unserer Zeit zu präsentieren. Der deutsche Garten heißt Biotopia, die doppelstöckige Holzkonstruktion ist schon von Weitem zu sehen. Die bepflanzten Fassaden stellen ein lebendiges Ökosystem dar, das sich ständig verändert. Die Besucher können mit einem smarten Armband herumwandeln und spielerisch an der Stadt der Zukunft mitbauen. Für Kinder ist es ein Erlebnis. Der Zukunft unserer Natur wird es wohl nicht viel bringen.
Aus dem Rahmen fällt der Auftritt der Vereinigten Arabischen Emirate. Man beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, wie man den Boden in der Wüste trotz Wasserknappheit und sengender Hitze urbar machen kann. Exkremente von Fischen aus dem Persischen Golf könnten Teil der Lösung sein, da sie Nährstoffe enthalten und Pflanzen und Nahrungsmittel dadurch auch im Sand gedeihen könnten. Außerdem laufen Projekte, wie man Wüstenstädte umweltschonend begrünen kann und wie sich aus Salzwasserpflanzen Flugzeugkerosin gewinnen lässt.
Das Thema Nahrungsmittelanbau spielt naturgemäß eine große Rolle in den Niederlanden, das mit seinen 17 Millionen Einwohnern jährlich Gemüse, Obst, Blumen und Pflanzen in einem Wert von 100 Milliarden Euro in alle Welt exportiert. Und so erfährt man auf der Floriade auch, wie die Landwirtschaft der Zukunft aussehen könnte. Der Besucher kann eine vertikale Vorzeigefarm besuchen, die vollautomatisch arbeitet. Viele große Kisten sind in einem beweglichen Gerüst übereinandergestapelt. Lilafarbenes LED-Licht strahlt auf die kleinen Pflanzen, die sich darin befinden. Sensoren überwachen das Geschehen, bei Bedarf regnet es Wasser und Nährstoffe. Alles ist platz- und ressourcensparend. In den USA gibt es derartige Farmen bereits. In Zukunft sollen ganze Städte auf diese Weise versorgt werden.
Das wiederum kann sich Ym nicht vorstellen. Sie hat den grünen Daumen von ihren Vorfahren geerbt und möchte ihre Möhren eigenhändig aus dem Erdboden ziehen und sich dabei auch schmutzige Hände holen. „Arbeit mit und in der Natur ist doch wundervoll.“Bei der Gelegenheit kommt sie wieder auf den Kohlrabi, den jemand im „Nahrungswald“geerntet hat. „Es ist ja Sinn der Sache, dass man sich dort bedienen kann. Aber man sollte schon warten, bis das Zeug reif ist.“Zum Glück gibt es noch ganz viel Obst und anderes Gemüse, das von den Freiwilligen gehegt und gepflegt wird. Sogar Kiwis finden sich dort. „Die sind den Leuten vielleicht zu exotisch, denn sie wachsen ja eigentlich nicht in den Niederlanden.“
Noch nicht ...