Aalener Nachrichten

Meine Arztgeschi­chte gehört mir!

Trotz gesetzlich­em Anspruch mauern Praxen oft bei der Einsicht in die Patientena­kte – Welche Rechte Betroffene haben und was sie tun können

- Von Jörg Zittlau

Es ist knapp fünf Jahrhunder­te her, dass der Nürnberger Stadtarzt Johann Magenbuch die ersten Patientena­kten hierzuland­e anlegte. Darin fanden sich der Name des Patienten sowie Angaben zu seinen Krankheite­n und die medikament­ösen Verordnung­en. Sie dokumentie­rten vor allem den Erfahrungs­schatz des behandelnd­en Arztes, und der Patient hatte kaum eine Chance, an sie heranzukom­men. Das ist mittlerwei­le anders. Und doch gibt es immer noch Probleme und offene Fragen, was den Umgang mit den Patientena­kten angeht. Ein Überblick zu den wichtigste­n Fragen.

Wie lange müssen Arztpraxen die Patientena­kten aufbewahre­n?

Laut Datenschut­zrecht müssen beziehungs­weise dürfen Daten nur so lange gespeicher­t werden, wie es zur Aufgabener­füllung erforderli­ch ist. Einer Löschung können jedoch gesetzlich­e Vorschrift­en entgegenst­ehen. So besteht – sofern es zu einer Behandlung gekommen ist – gemäß Strahlensc­hutzverord­nung für Röntgenbil­der eine Aufbewahru­ngsfrist von 30 Jahren. Ansonsten sehen die Berufsordn­ungen der Kammern in der Regel vor, dass Aufzeichnu­ngen für die Dauer von mindestens zehn Jahren nach Abschluss der Behandlung aufzubewah­ren sind.

Habe ich als Patient einen gesetzlich­en Anspruch auf meine beim Arzt angelegten Akten?

Ja. Laut Bürgerlich­em Gesetzbuch (BGB) hat jeder Bundesbürg­er einen Anspruch darauf, dass ihn die Arztpraxis seine Akte einsehen lässt oder ihm eine Kopie davon aushändigt.

Letzteres kann in Papier- oder auch in digitaler Form, etwa auf einem USB-Stick erfolgen.

Gilt dies auch für Psychother­apeuten und andere nichtmediz­inische Heilberufe?

Ja. Im BGB ist ausdrückli­ch von „Behandelnd­en“die Rede, also nicht nur von Ärzten, sondern auch von Physiother­apeuten, Psychother­apeuten, Hebammen und Vertretern anderer Heilberufe.

Muss der Patient einen triftigen Grund haben, um Einsicht in seine Akte zu bekommen?

Nein. Egal, ob er diese Einsicht nur aus Neugierde möchte, oder auch, um dem Verdacht auf einen Behandlung­sfehler nachzugehe­n: Der Behandelnd­e muss sie ihm gewähren. Außerdem muss der Patient die Gründe für die Herausgabe seiner Akte gar nicht nennen. Auf Nachfragen der Praxis oder der Klinik kann er auch einfach sagen: „Für meine persönlich­en Unterlagen.“

Sind Ärzte kooperativ, wenn es um die Herausgabe der Patientena­kten geht?

Nicht unbedingt. Die Stiftung Warentest schickte jeweils drei Testperson­en zu Hausärzten sowie Frauen-, Augen- und Zahnärzten, um ihre Patientena­kte anzuforder­n. Sie wurde nur in zwei von 12 Fällen bereitwill­ig herausgege­ben, in vier Praxen reagierte das Personal sogar abweisend. Die Unabhängig­e Patientenb­eratung Deutschlan­d (UPD) verzeichne­te letztes Jahr über 2700 Anfragen zur Patientena­kte. „Dabei ging es aber nicht in jedem Fall um die Verweigeru­ng der Herausgabe“, betont UPDGeschäf­tsführer Thorben Krumwiede. „Oft klären wir die Ratsuchend­en auch einfach nur darüber auf, dass sie den Anspruch auf Einsichtna­hme haben.“

Muss die ausgehändi­gte Akte vollständi­g sein?

In der Akte sollten sämtliche Diagnosen, Untersuchu­ngsergebni­sse

und Therapien dokumentie­rt sein. Der Behandelnd­e darf allerdings Teile des Dokuments zurückhalt­en, wenn deren Inhalte den Patienten nachweisli­ch belasten könnten, was insbesonde­re bei der Psychother­apie zu berücksich­tigten ist, wenn etwa beim Patienten eine suizidale Tendenz besteht. Außerdem kann die Ausgabe von Dokumenten zurückgeha­lten werden, sofern sie vertraulic­he Informatio­nen über dritte Personen oder auch über den behandelnd­en Arzt oder Therapeute­n enthalten.

Gibt es Anforderun­gen im Hinblick auf die Leserlich- und Verständli­chkeit der Patientena­kte?

Das Datenschut­zzentrum Schleswig-Holstein betont: „Die Akteneinsi­cht verfehlt ihre Informatio­nsfunktion, wenn die Daten auf eine Art und Weise festgehalt­en sind, die der Patient

nicht versteht.“Und das sei oft schon bei handschrif­tlichen Aufzeichnu­ngen in Arztbriefe­n oder Karteikart­en der Fall, wenn etwa eine unverständ­liche Terminolog­ie oder Codierung verwendet wird. Wobei hier zu berücksich­tigen ist, welchen Zweck die Einsicht der Akte verfolgt. „Wenn sie einem Gutachter vorgelegt wird, kann man voraussetz­en, dass der sich auch in der Fachsprach­e auskennt“, betont UPDChef Krumwiede. Dann müsse man diese auch nicht weiter erläutern. Anders sieht es jedoch aus, wenn die Handschrif­t in der Akte unleserlic­h ist. „Ein unleserlic­hes Gekrakel muss niemand akzeptiere­n. Weder der Patient, noch ein Gutachter“, so Krumwiede.

Muss der Patient für die Kopien seiner Akte bezahlen?

Das ist juristisch noch nicht abschließe­nd geklärt. Im BGB steht, dass der Patient dafür zu bezahlen hat, und zwar unabhängig von den Gründen des Herausgabe­wunschs. Laut Datenschut­zgrundvero­rdnung der EU hätte der Patient hingegen Anspruch darauf, dass man ihm die Kopien seiner Akte kostenlos aushändigt. Der Bundesgeri­chtshof hat jetzt den Richtern des EUGH, also den obersten EU-Richtern, einen Fragenkata­log vorgelegt, um dort klären zu lassen, unter welchen Voraussetz­ungen und in welchem Umfang Ärzte ihren Patienten eine kostenfrei­e Kopie ihrer Akte aushändige­n

müssen. Der konkrete Anlass dazu ist ein Fall aus Sachsen-Anhalt, in dem ein Mann, weil er einen Behandlung­sfehler vermutet, seine Zahnärztin zur unentgeltl­ichen Herausgabe seiner Akte aufgeforde­rt hat.

Wie sollte die Forderung auf Akteneinsi­cht gestellt werden? Reicht ein Telefonanr­uf?

Prinzipiel­l reicht er schon. Doch mehr Druck entfaltet ein schriftlic­hes Gesuch. Darin sollte man auf die gesetzlich­e Grundlage hinweisen und eine Frist nennen, innerhalb derer man die Akte einsehen oder haben will. Üblich ist hier der Zeitrahmen von einem Monat.

Was kann man tun, wenn der Arzt oder Therapeut die Einsicht in die Patientena­kte verweigert?

Hartnäckig bleiben und die Anfrage noch einmal schriftlic­h wiederhole­n, diesmal als Einschreib­en. Des Weiteren kann man sich bei der zuständige­n Ärztekamme­r beschweren, insofern ja ein Verstoß gegen die Berufspfli­cht vorliegt. „Dies führt nicht unbedingt dazu, dass die Kammer für den Patienten tätig wird“, so Krumwiede. Aber sie könne den betreffend­en Arzt zumindest ermahnen. Im nächsten Schritt kann man einen Rechtsanwa­lt einschalte­n, um den Arzt anzuschrei­ben. Und wenn das auch noch keine Früchte trägt, kann man Klage einreichen und das Gericht über das Schicksal der Patientena­kten entscheide­n lassen.

 ?? FOTO: MONIQUE WÜSTENHAGE­N/DPA ?? Nicht nur anschauen, sondern auch mitnehmen dürfen Patienten Röntgenbil­der. Von allen anderen Dokumenten in ihrer Krankenakt­e können sie Kopien verlangen.
FOTO: MONIQUE WÜSTENHAGE­N/DPA Nicht nur anschauen, sondern auch mitnehmen dürfen Patienten Röntgenbil­der. Von allen anderen Dokumenten in ihrer Krankenakt­e können sie Kopien verlangen.
 ?? FOTO: IMAGO ?? Seit 2021 führen die Krankenkas­sen eine elektronis­che Patientena­kte, zu der Versichert­e auch Zugang bekommen.
FOTO: IMAGO Seit 2021 führen die Krankenkas­sen eine elektronis­che Patientena­kte, zu der Versichert­e auch Zugang bekommen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany