Wie die Nase die Gefühle steuert
Corona ist nur eine mögliche Ursache für den Verlust des Geruchssinns – Warum er das Leben stärker beeinträchtigt, als viele denken
Wie ein Leben ohne Gerüche sein kann, erleben gerade Hunderttausende, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben. Den Geruchssinn vorübergehend zu verlieren gehört zu den häufigen Nebenwirkungen. Das kann nicht nur gefährlich sein, wenn man keinen Rauch, kein Gas oder auch kein verdorbenes Lebensmittel mehr erkennt. Die Nase steuert auch die Gefühlswelt, bis hin zu Sexualverhalten und Freundschaften. „Wenn der Geruchssinn beeinträchtigt ist, geht einem Menschen sehr viel an emotionaler Wahrnehmung verloren“, sagt Neurologe Peter Berlit. Es gibt auch einen Zusammenhang mit Depressionen.
„Bei einer Covid-19-Infektion ist bei etwa 40 Prozent der Betroffenen früh der Geruchssinn weg“, sagt Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. „Bei den meisten kommt er aber innerhalb von drei, vier Wochen wieder. Etwa 15 Prozent der Betroffenen haben länger mit einem anhaltenden Riechverlust zu tun.“Bei der Omikron-Variante ist der Geruchssinn immerhin etwas seltener betroffen als bei einigen Vorgängern.
Geruchsverlust bringt unter anderem die Ernährung durcheinander: wer nicht riecht, schmeckt auch nicht richtig, vom Kochen und Abschmecken ganz zu schweigen. Manche Menschen verlieren deswegen auch den Appetit. „Der Geruchssinn wird oft unterschätzt“, sagt Berlit. „Viele sagen: lieber den Geruchssinn verlieren als blind oder taub werden, aber der Geruchssinn spielt bei vielen Dingen eine zentrale Rolle. Er ist im Gehirn deutlich enger als andere Sinne mit dem limbischen System verschaltet, das für Emotionen zuständig ist.“Angst, Stress, Frust – all das lässt den Körper Moleküle erzeugen, die sich im Achselschweiß nachweisen lassen und die andere Menschen wahrnehmen können. Die Konzentration ist aber so schwach, dass das meist unbewusst passiert.
„Die Menschen kommunizieren richtig über Düfte und Gerüche“, sagt Thomas Hummel, Leiter des interdisziplinären Zentrums „Riechen und Schmecken“am Uniklinikum Dresden. „Wenn man einen Infekt ausbrütet, ändert sich der Körpergeruch. Wenn sich die Laune ändert, man sich fürchtet oder freut, all das teilt man mit. Ich kann zum Beispiel bei meiner Frau riechen, wenn sie nervös ist.“Was es genau ist, kann der Arzt und Pharmakologe nicht sagen. „Es ist kein Duft, der einem in die Nase springt. Man nimmt es unterschwellig wahr.“
Diese Kommunikation sei besonders ehrlich, weil der Aussendende sie nicht verändern könne, sagt Bettina Pause, Professorin für Biologische Psychologie und Sozialpsychologie an der Universität Düsseldorf. „Ich möchte jetzt mal nach Freude riechen, obwohl ich ängstlich bin – das geht nicht“, sagte sie 2021 bei einem Vortrag im Kortizes Institut für populärwissenschaftlichen Diskurs. Man könne Parfüm aufsprühen, die Angstmoleküle würden aber trotzdem produziert.
Auch beim Sexualverhalten spielt die Nase eine Rolle: „Der Geruchssinn ist auch entscheidend für die Inzestschranke“, sagt Berlit. „Dass man keine sexuellen Beziehungen zu engen Verwandten hat, läuft über den Geruchssinn – auch, wenn das nicht wahrgenommen wird.“Nach Angaben
von Pause können Menschen gegenseitig das Immunsystem über die Nase erkennen. Menschen mit ähnlicher genetischer Ausstattung vermeide man als Liebespartner, sagte Pause. Bei Freundschaften ist es anders: „Das bei Weitem ähnlichste System zwischen Freunden ist die Genfamilie der geruchlichen Sinneszellen“, sagt Pause. „Freunde sind sich darin ähnlich, wie sie die Welt geruchlich wahrnehmen.“
Was der Verlust des Riechens bedeuten kann, erlebt Hummel in der Klinik, die nicht nur Covid-19-Patienten sondern auch andere Betroffene behandelt: „Die Menschen verlieren soziale Kompetenz und manche werden unsicher“, sagt er. Zwei Drittel der Patienten, die seine Praxis wegen Riechverlusts aufsuchen, seien leicht depressiv. Ein Verlust des Geruchs kann viele Ursachen haben, etwa neurodegenerative Erkrankungen.
„Es ist wie ein Frühwarnsystem, weil das oft schon passiert, bevor die typischen Symptome der Krankheit auftauchen, etwa die Verlangsamung bei Parkinson, oder die Gedächtnisstörungen bei Demenzen“, sagt Berlit. Eine Studie zeigte 2017, dass rund 90 Prozent der Parkinson-Patienten im Frühstadium einen nachlassenden Geruchssinn erleben. Anhaltender Riechverlust kann auch die Folge einer Grippe oder von Kopfverletzungen sein. Auch mit dem Alter lässt der Geruchssinn nach.
Nicht für alle Menschen ist das ein Problem. „Man kann auch ohne Geruchssinn gut durchs Leben kommen“, sagt Hummel. Einer von etwa 1000 Menschen könne von Geburt an nicht riechen. Patienten, die länger unter Riechverlust leiden, könne mit Riechtraining geholfen werden. Sie schnuppern monatelang morgens und abends an vier Düften: Rose, Zitrone, Gewürznelke und Eukalyptus, weil diese einen großen Teil des Riechspektrums abdecken.
Nochmal zu Covid-19: Der Verlust des Geruchssinns ist das eine. Einige Betroffene beklagten aber auch Parosmien oder Phantosmien, sagt Berlit. „Für sie riecht alles verändert, oft unangenehm, oder sie nehmen Gerüche wahr, die gar nicht vorhanden sind. Für viele ist das störender als der Riechverlust selbst.“
Die Menschen kommunizieren richtig über Düfte und Gerüche. Thomas Hummel, Leiter des interdisziplinären Zentrums „Riechen und Schmecken“am Uniklinikum Dresden