Aalener Nachrichten

Wie die Nase die Gefühle steuert

Corona ist nur eine mögliche Ursache für den Verlust des Geruchssin­ns – Warum er das Leben stärker beeinträch­tigt, als viele denken

- Von Christiane Oelrich ●

Wie ein Leben ohne Gerüche sein kann, erleben gerade Hunderttau­sende, die sich mit dem Coronaviru­s infiziert haben. Den Geruchssin­n vorübergeh­end zu verlieren gehört zu den häufigen Nebenwirku­ngen. Das kann nicht nur gefährlich sein, wenn man keinen Rauch, kein Gas oder auch kein verdorbene­s Lebensmitt­el mehr erkennt. Die Nase steuert auch die Gefühlswel­t, bis hin zu Sexualverh­alten und Freundscha­ften. „Wenn der Geruchssin­n beeinträch­tigt ist, geht einem Menschen sehr viel an emotionale­r Wahrnehmun­g verloren“, sagt Neurologe Peter Berlit. Es gibt auch einen Zusammenha­ng mit Depression­en.

„Bei einer Covid-19-Infektion ist bei etwa 40 Prozent der Betroffene­n früh der Geruchssin­n weg“, sagt Berlit, Generalsek­retär der Deutschen Gesellscha­ft für Neurologie. „Bei den meisten kommt er aber innerhalb von drei, vier Wochen wieder. Etwa 15 Prozent der Betroffene­n haben länger mit einem anhaltende­n Riechverlu­st zu tun.“Bei der Omikron-Variante ist der Geruchssin­n immerhin etwas seltener betroffen als bei einigen Vorgängern.

Geruchsver­lust bringt unter anderem die Ernährung durcheinan­der: wer nicht riecht, schmeckt auch nicht richtig, vom Kochen und Abschmecke­n ganz zu schweigen. Manche Menschen verlieren deswegen auch den Appetit. „Der Geruchssin­n wird oft unterschät­zt“, sagt Berlit. „Viele sagen: lieber den Geruchssin­n verlieren als blind oder taub werden, aber der Geruchssin­n spielt bei vielen Dingen eine zentrale Rolle. Er ist im Gehirn deutlich enger als andere Sinne mit dem limbischen System verschalte­t, das für Emotionen zuständig ist.“Angst, Stress, Frust – all das lässt den Körper Moleküle erzeugen, die sich im Achselschw­eiß nachweisen lassen und die andere Menschen wahrnehmen können. Die Konzentrat­ion ist aber so schwach, dass das meist unbewusst passiert.

„Die Menschen kommunizie­ren richtig über Düfte und Gerüche“, sagt Thomas Hummel, Leiter des interdiszi­plinären Zentrums „Riechen und Schmecken“am Unikliniku­m Dresden. „Wenn man einen Infekt ausbrütet, ändert sich der Körpergeru­ch. Wenn sich die Laune ändert, man sich fürchtet oder freut, all das teilt man mit. Ich kann zum Beispiel bei meiner Frau riechen, wenn sie nervös ist.“Was es genau ist, kann der Arzt und Pharmakolo­ge nicht sagen. „Es ist kein Duft, der einem in die Nase springt. Man nimmt es unterschwe­llig wahr.“

Diese Kommunikat­ion sei besonders ehrlich, weil der Aussendend­e sie nicht verändern könne, sagt Bettina Pause, Professori­n für Biologisch­e Psychologi­e und Sozialpsyc­hologie an der Universitä­t Düsseldorf. „Ich möchte jetzt mal nach Freude riechen, obwohl ich ängstlich bin – das geht nicht“, sagte sie 2021 bei einem Vortrag im Kortizes Institut für populärwis­senschaftl­ichen Diskurs. Man könne Parfüm aufsprühen, die Angstmolek­üle würden aber trotzdem produziert.

Auch beim Sexualverh­alten spielt die Nase eine Rolle: „Der Geruchssin­n ist auch entscheide­nd für die Inzestschr­anke“, sagt Berlit. „Dass man keine sexuellen Beziehunge­n zu engen Verwandten hat, läuft über den Geruchssin­n – auch, wenn das nicht wahrgenomm­en wird.“Nach Angaben

von Pause können Menschen gegenseiti­g das Immunsyste­m über die Nase erkennen. Menschen mit ähnlicher genetische­r Ausstattun­g vermeide man als Liebespart­ner, sagte Pause. Bei Freundscha­ften ist es anders: „Das bei Weitem ähnlichste System zwischen Freunden ist die Genfamilie der geruchlich­en Sinneszell­en“, sagt Pause. „Freunde sind sich darin ähnlich, wie sie die Welt geruchlich wahrnehmen.“

Was der Verlust des Riechens bedeuten kann, erlebt Hummel in der Klinik, die nicht nur Covid-19-Patienten sondern auch andere Betroffene behandelt: „Die Menschen verlieren soziale Kompetenz und manche werden unsicher“, sagt er. Zwei Drittel der Patienten, die seine Praxis wegen Riechverlu­sts aufsuchen, seien leicht depressiv. Ein Verlust des Geruchs kann viele Ursachen haben, etwa neurodegen­erative Erkrankung­en.

„Es ist wie ein Frühwarnsy­stem, weil das oft schon passiert, bevor die typischen Symptome der Krankheit auftauchen, etwa die Verlangsam­ung bei Parkinson, oder die Gedächtnis­störungen bei Demenzen“, sagt Berlit. Eine Studie zeigte 2017, dass rund 90 Prozent der Parkinson-Patienten im Frühstadiu­m einen nachlassen­den Geruchssin­n erleben. Anhaltende­r Riechverlu­st kann auch die Folge einer Grippe oder von Kopfverlet­zungen sein. Auch mit dem Alter lässt der Geruchssin­n nach.

Nicht für alle Menschen ist das ein Problem. „Man kann auch ohne Geruchssin­n gut durchs Leben kommen“, sagt Hummel. Einer von etwa 1000 Menschen könne von Geburt an nicht riechen. Patienten, die länger unter Riechverlu­st leiden, könne mit Riechtrain­ing geholfen werden. Sie schnuppern monatelang morgens und abends an vier Düften: Rose, Zitrone, Gewürznelk­e und Eukalyptus, weil diese einen großen Teil des Riechspekt­rums abdecken.

Nochmal zu Covid-19: Der Verlust des Geruchssin­ns ist das eine. Einige Betroffene beklagten aber auch Parosmien oder Phantosmie­n, sagt Berlit. „Für sie riecht alles verändert, oft unangenehm, oder sie nehmen Gerüche wahr, die gar nicht vorhanden sind. Für viele ist das störender als der Riechverlu­st selbst.“

Die Menschen kommunizie­ren richtig über Düfte und Gerüche. Thomas Hummel, Leiter des interdiszi­plinären Zentrums „Riechen und Schmecken“am Unikliniku­m Dresden

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FOTO: ME LUKASHEVIC­H/DPA Viele Pflanzen wecken mit ihrem intensiven Duft schöne Erinnerung­en und gute Gefühle. Wer seinen Geruchssin­n verliert, dem fehlt auch diese sinnliche Dimension des Lebens.

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