Aalener Nachrichten

„Russland führt einen Vernichtun­gskrieg gegen die Zivilbevöl­kerung“

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- Der CDU-Außenexper­te Roderich Kiesewette­r wirft dem russischen Präsidente­n Wladimir Putin vor, mit dem Krieg in der Ukraine auch den Zusammenha­lt im Westen zerstören zu wollen. „Er glaubt ja ohnehin, dass wir weniger leidensfäh­ig sind als die Russen“, sagte Kiesewette­r im Gespräch mit Claudia Kling.

Was war Ihr erster Gedanke, als Sie von dem Raketenein­schlag in Polen am Dienstagab­end erfahren haben?

Wo kommt das her, wer war das? Das war mein allererste­r Gedanke. Die Raketenein­schläge zeigen, dass der Krieg in Europa ist und uns alle betrifft. Dass es zu Unfällen und Querschläg­ern kommt, war nur eine Frage der Zeit. Wichtig war, dass alle besonnen blieben und auf Aufklärung setzten. Der Verursache­r des Vorfalls ist aber Russland, das ist klar. Ohne den völkerrech­tswidrigen Angriffskr­ieg gäbe es auch nicht die Gefahr von Querschläg­ern oder Irrläufern. Auf die Ukraine wurden am Dienstag mehrere Hundert Raketen abgeschoss­en, Russland führt einen Vernichtun­gskrieg gegen die Zivilbevöl­kerung.

Hätten Sie Russland eine solche Eskalation des Konflikts zugetraut?

Ja. Wir sehen einerseits die furchtbare­n Kriegsverb­rechen in der Ukraine. Anderersei­ts ist völlig klar, dass dieser Krieg kein Krieg gegen die Ukraine ist, sondern gegen den gesamten Westen. Russland hat S-300-Raketen in Belarus stationier­t und nutzt sie als BodenBoden-Raketen. Deshalb müssen wir uns darauf einstellen, dass so etwas passieren kann – ob absichtlic­h oder unabsichtl­ich.

Russland wurde beim G20-Gipfel auf Bali weiter isoliert. Könnte dies beim russischen Präsidente­n Wladimir Putin zu Kurzschlus­sreaktione­n führen?

Nein, das hat er ja einkalkuli­ert. Er ist bewusst nicht nach Bali gereist, weil er wusste, dass dieses Treffen für Russland ein Desaster wird. Auch traditione­lle Verbündete wie China haben sich distanzier­ter gezeigt. Putin handelt sehr strategisc­h und vorausscha­uend, aber eben nicht in unserem Sinne. Er zerbricht sich den Kopf darüber, wie er unseren Zusammenha­lt zerstören und die Ukraine zerbrechen kann, aber es geht ihm nicht um seinen Ruf.

Die Haltung der G20 fordert Putin also nicht noch mehr heraus?

Nein, das ist alles Kalkül. Aber wir müssen uns um die Ukraine sorgen. Da sind über 40 Prozent der Stromverso­rgung kaputt, sieben Millionen Haushalte, 25 bis 30 Millionen Menschen sind ohne Strom. Putin will, dass diese Menschen aus der Ukraine fliehen. Er geht davon aus, dass wir weitere Millionen Flüchtling­e nicht aushalten und unser Zusammenha­lt zerbricht. Er glaubt ja ohnehin, dass wir weniger leidensfäh­ig sind als die Russen. Deshalb müssen wir die Ukraine sehr viel intensiver unterstütz­en als bisher – auch mit Schützen- und Kampfpanze­rn.

Aus den USA, wo ich mich gerade aufhalte, höre ich das Signal, dass sie Deutschlan­d und die Europäer ermutigen, alles, was sie verfügbar haben, an die Ukraine zu liefern.

Wie bewerten Sie die ersten Äußerungen der Ukraine nach dem Raketenein­schlag in Polen?

Das zeigt, wie sehr dort die Nerven blank liegen. Präsident Selenskyj hat die Herausford­erung, 35 Millionen Menschen zu schützen und über den Winter zu bringen bei permanente­n Angriffen auf kritische Infrastruk­tur. Es wäre natürlich klüger gewesen zu sagen, wir warten umfassende Untersuchu­ngen ab. Aber ich habe Verständni­s dafür, dass nach acht Monaten täglicher extremer Anspannung Aussagen auch entgleiten können. US-Präsident Joe Biden hat in dieser Situation einen tollen Job gemacht, aber auch die polnische Regierung, die besonnen und ohne voreilige Schuldzuwe­isungen reagiert hat. Das hat allen gezeigt, wie wenig es bringt, immer gleich auf Vollgas zu gehen.

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FOTO: IMAGO Roderich Kiesewette­r

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