Metaller kämpfen mit harten Bandagen
IG Metall und Südwestmetall streben am Donnerstag den Pilotabschluss an – Andernfalls droht ein Arbeitskampf
- Ein Scheitern wäre fatal – diese Einsicht erhöht die Chancen auf eine Tarifeinigung am Donnerstag. Doch auch ein zu hoher oder zu niedriger Abschluss für die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie könnte die Tarifparteien schwer belasten.
Am Donnerstag (17. November) geht es für die Verhandlungsführer von IG Metall und Südwestmetall in Ludwigsburg bei Stuttgart in die entscheidende fünfte Runde. Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter und Verhandlungsführer der IG Metall Baden-Württemberg, hat bereits vorab deutlich gemacht, dass die Urabstimmung zum Streik ansteht, sollte es keine Einigung geben.
Im Klartext: Die IG Metall verlangt eine nachhaltig prozentuale Lohnsteigerung. Die Forderung lautet nach wie vor: acht Prozent mehr Geld bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Die Arbeitgeber bieten bisher die volle Inflationsausgleichsprämie von 3000 Euro an, gestreckt bis Ende 2024 und die Aussicht auf eine prozentuale Erhöhung, die nicht beziffert wird. Die 3000 Euro sind für die IG Metall bereits „gesetzt“. Doch ohne zusätzliche, klar bezifferte und nachhaltige Lohnerhöhung ist für die Gewerkschaft kein Abschluss machbar. Erst am Montagabend war klar, dass es überhaupt weitere Verhandlungen geben wird. Offenbar haben die Arbeitgeber eine Annäherung signalisiert.
„Wir sind immer an einer konstruktiven Lösung interessiert und daher am Donnerstag auch auf einen Einigungsversuch vorbereitet“, teilte Südwestmetall-Hauptgeschäftsführer Peer-Michael Dick mit. Auch die IG Metall erklärte, die Chancen auf einen Abschluss stünden nicht schlecht. Beide Seiten sind sich einig, dass Baden-Württemberg erneut, nach 2018 und 2015, den Pilotabschluss machen wird, der dann für die übrigen Tarifbezirke die Vorlage ist. Bisher zeigte Südwestmetall-Verhandlungsführer Harald Marquardt klare Kante und verwies auf die Krise, die in der Metall-und Elektroindustrie immer mehr um sich greift. Mit jeder neuen Prognose und Umfrage werden die Werte schlechter. Auch in der erfolgsverwöhnten Region Bodensee-Oberschwaben rechnen laut einer Konjunkturumfrage
der Industrie und Handelskammer (IHK) rund 40 Prozent der Befragten, knapp 250 Unternehmen in der Region, mit einer Verschlechterung der Geschäftsentwicklung.
Teilweise dramatisch ist die Lage bei den Autozulieferern. Große Insolvenzen wie die von Dr. Schneider und Borgers sind bisher zwar nicht in Baden-Württemberg bekannt geworden. Doch der Abbau von Jobs, beispielsweise bei Schaeffler, trifft auch Standorte im Südwesten. Bei den kleinen Unternehmen grassiert bereits ein schleichender Niedergang.
Auf der anderen Seite gab der Autokonzern Mercedes für das dritte Quartal 2022 einen Gewinn von vier Milliarden Euro bekannt, doppelt so viel wie im vergangenen Jahr. Da wird es schwierig, Verzicht von den Beschäftigten zu fordern, deren Lebenshaltungskosten derzeit zweistellig steigen. Dass jetzt ausgerechnet der Herstellers des MercedesSterns,
die Bia Forst GmbH in Forst bei Bruchsal (Kreis Karlsruhe), schließen muss, zeigt anschaulich die große Spreizung bei den Metallund Elektrounternehmen. Die großen Unterschiede sind zwar nicht neu, doch sie haben sich in der aktuellen Krise verschärft. Die enorm gestiegenen Energiekosten treffen vor allem Betriebe, die vorwiegend in Deutschland produzieren, während global aufgestellte, große Unternehmen von den günstigeren Preisen in den USA und Asien profitieren. Doch auch den Autokonzernen, die noch auf der Sonnenseite sind, droht Ungemach. Nach Angaben des IfoInstituts haben sich deren Aussichten deutlich eingetrübt. Die weltweite Rezession dürfte die Nachfrage nach Neuwagen sinken lassen.
Auf Arbeitgeberseite demonstriert man Einigkeit. Offenkundig ist jedoch, dass Südwestmetall wie Gewerkschaft unter dem Druck ihrer
Mitglieder stehen. Die Metall- und Elektroindustrie ist der Kern der baden-württembergischen Industrie mit rund einer Million Beschäftigten. Tariflich gebunden sind jedoch nur etwa 900 Betriebe mit rund 520 000 Mitarbeitern, also rund 55 Prozent. Zum Vergleich: In den 1980er-Jahren waren noch rund 80 Prozent der Beschäftigten in tarifgebundenen Unternehmen.
Dennoch ist der Tarifabschluss für die gesamte Branche entscheidend. Unter dem Eindruck des Fachkräftemangels lehnen sich die meisten Unternehmen stark an den vereinbarten Tarif an. Umso wichtiger ist es für die Arbeitgeber in den Tarifvertrag eine Differenzierung einzubauen. Möglichkeiten vom Tarif abzuweichen, gibt es indessen bereits, etwa durch den Beschäftigungssicherungs-Tarifvertrag oder auch das „Pforzheimer Abkommen“. Es regelt seit 2004 das Verfahren, wonach
Unternehmen befristet vom Tarifvertrag abweichen können. Südwestmetall strebt jedoch statt individueller Lösungen eine generelle Regelung an, die greift, wenn bestimmte Kennzahlen unterschritten werden.
Auch für Bezirksleiter Zitzelsberger geht es um viel. Nach zwei Pilotabschlüssen gilt er als Kandidat für die Nachfolge des IG-Metall-Vorsitzenden Jörg Hofmann. Allerdings werden auch Hofmanns Stellvertreterin Christiane Benner Ambitionen nachgesagt. Was die IG Metall in die ungemütliche Lage bringen könnte, zu entscheiden, ob sie eine Frau an die Spitze wählt oder lieber einen erfahrenen Verhandlungsführer. Ein dritter Pilotabschuss wäre für Zitzelsberger möglicherweise die Fahrkarte. Auch am Donnerstag scheint das Rennen trotz aller Vorgespräche offen zu sein: Ein Scheitern wird nicht ausgeschlossen.