Neuer Schwung für Handelsabkommen möglich
Russland fällt aus und China ist in Verruf geraten – Eine Handelsnation wie Deutschland muss sich weltweit neue Partner suchen
- Wenn bei internationalen Gipfeln die Abschlussdokumente geschrieben werden, steht eine Passage von Anfang an fest: das Bekenntnis zu einem besseren Welthandel und einer reformierten Welthandelsorganisation WTO. Dann ist von der „wichtigen Rolle“die Rede, die ein „offenes, gerechtes, gleichberechtigtes, nachhaltiges, diskriminierungsfreies und inklusives regelgestütztes multilaterales Handelssystem“bei Wachstum, Arbeitsplätzen, Industrie und Nachhaltigkeit spielt. Auch beim G20-Gipfel in Bali wird ein solcher Satz nicht fehlen. Was hingegen tatsächlich fehlt, ist die Umsetzung. Deswegen setzen inzwischen auch traditionelle WTO-Fans wie Deutschland und Europa auf bilaterale Handelsabkommen. Zuständig dafür ist die EU, die Abkommen werden also von der EU-Kommission verhandelt. Allerdings mischen die Mitgliedstaaten mit ihren oft sehr unterschiedlichen Interessen dennoch mit. Hinzu kommt: Es geht längst nicht mehr nur um Marktzugänge, Zölle oder Exportsubventionen. Was Deutschland und die EU „eine neue Generation von Freihandelsabkommen“nennen, sind riesige Verträge, die beispielsweise auch Arbeitsrecht und Umweltschutz betreffen. Es ist also kompliziert. Dabei sind gerade für die Handelsnation Deutschland solche Abkommen nötiger denn je. Denn Russland fällt als Partner auf absehbare Zeit aus, und der Riesenmarkt China ist politisch ebenfalls ins Abseits geraten. Kanzler Olaf Scholz (SPD) warnte
auf seiner aktuellen Asienreise zwar vor einer „Entkoppelung Chinas von der Weltwirtschaft“, fügte aber sogleich hinzu, „dass Globalisierung mehr ist, als sich auf ein Land zu konzentrieren. Man muss auch den Blick auf andere Staaten in der Welt richten.“Die magische Formel lautet nun „China plus X“. Um dieses X wird allerdings schon seit Jahren gerungen.
Ceta
Das umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen mit Kanada wurde schon 2016 unterzeichnet. Doch angewendet wird es nur teilweise und das auch nur vorläufig: Denn weil das Abkommen mit Finanzdienstleistungen oder Investitionsschutz auch Bereiche betrifft, über die die EU-Kommission nicht allein entscheiden kann, muss Ceta in allen Mitgliedstaaten ratifiziert werden.
In Deutschland ist also der Bundestag am Zug. Da hing es lange fest, zuletzt vor allem wegen des Widerstands der Grünen.
Kritiker monieren insbesondere die geplanten Schiedsgerichte, die ihrer Ansicht nach zu einer Aushebelung des Rechts zugunsten großer Konzerne führen können. Durch eine nachverhandelte „Klarstellung“in Brüssel konnte dies nach Auffassung der Ampel und vieler Experten allerdings ausgeräumt werden. Der Staatswissenschaftler Till Patrik Holterhus bezeichnete Ceta in einer Anhörung im Bundestag als „Goldstandard“. Und sein Juristen-Kollege Franz C. Mayer von der Universität Bielefeld fragte: „Wenn wir so ein Abkommen noch nicht mal mit Kanada hinbekommen, mit welchem Staat denn dann?“Inzwischen ist der
Weg frei: Die Ampel einigte sich darauf, Ceta im Bundestag in zwei Wochen zu ratifizieren und im Gegenzug, wie andere Staaten auch, aus einem umstrittenen internationalen Energieabkommen auszusteigen. „Politische Spielchen, die nur dazu gedient haben, den Frieden in der Ampel zu sichern“, schimpft die CDU-Wirtschaftspolitikerin Julia Klöckner. Für sie kommt das alles reichlich spät: „Die Bundesregierung hat genug Zeit verplempert.“
Mercosur
Durch das Abkommen zwischen der EU und dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur (Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay) entstünde die größte Freihandelszone der Welt. Das Abkommen soll Zölle abbauen und damit den Handel ankurbeln. Derzeit liegt es allerdings auf Eis, gerade in Europa ist der Vertrag hochumstritten. Erst letzte Woche fand in Berlin wieder eine Kundgebung unter dem Titel „Detox Handelspolitik: EU-Mercosur-Abkommen stoppen!“statt.
Doch politisch beginnt sich der Wind zu drehen: So warben Scholz und sein spanischer Kollege Pedro Sánchez kürzlich gemeinsam für das Abkommen. Beobachter erhoffen sich nun ausgerechnet durch den Wahlsieg des erklärten Freihandelsgegners Luiz Inácio Lula da Silva in Brasilien bessere Chancen. Denn: Lula dürfte die Abholzung des Regenwalds eindämmen und damit den Mercosur-Gegnern eines ihrer wichtigsten Argumente nehmen.
TTIP
Der Streit um TTIP war in Sachen Freihandel sozusagen die „Mutter aller Schlachten“. 150 000 Menschen gingen 2015 in Berlin dagegen auf die Straße, ein Jahr später waren es deutschlandweit noch einmal mehr als 100 000. Größter Trumpf der Kritiker war die Angst vor dem „Chlorhuhn“: Die Sorge also, dass auch Deutsche künftig auf in Desinfektionsmittel getauchtem Fleisch herumkauen müssen. Mit Amtsantritt von Donald Trump als US-Präsident kamen die Gespräche dann vollständig zum Erliegen. Derzeit ist die Lage unklar, es gibt aber Anzeichen, dass die Ampel die Gespräche wieder in Gang bringen will. SPD, Grüne und FDP teilten vergangene Woche bei ihrer Ceta-Einigung nämlich auch mit, dass sie „einen „neuen Anlauf für einen gemeinsamen Wirtschaftsraum für Freihandel und fairen Handel mit den USA“wollen.