Aalener Nachrichten

Streit um den Umgang mit Fischotter­n

Naturschüt­zer freuen sich über die Ausbreitun­g des Tieres – Teichwirte fürchten um Erträge

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BODENWÖHR (dpa) - In hohen Gummistief­eln stapft Peter Ertl über die aufgeweich­te Wiese. Am Rand eines kleinen Teiches geht er in die Knie und biegt mit der Hand die langen Grashalme zur Seite. „Hier ist Otterlosun­g“, sagt er und deutet auf einige Kotkügelch­en. Prüfend betrachtet Ertl das Dickicht am Uferrand. An einer Stelle ist es so zu den Seiten geschoben, dass sich eine Röhre bis zum Wasser bildet. Auch das sei typisch für Fischotter.

Ertl ist einer von vier Fischotter­Beratern bei der Landesanst­alt für Landwirtsc­haft (LfL) in Bayern. Ihn rufen Teichwirte, wenn sie vermuten, dass das geschützte Wildtier in ihren Teichen auf Beutefang geht. Ertl sucht dann nach typischen Spuren, berät die Betriebe und hilft bei Anträgen auf Entschädig­ung, die das Land Bayern betroffene­n Betrieben seit 2016 zahlt.

An diesem Herbsttag ist er bei Familie Bollinger in der Oberpfalz zu Besuch. Ihr Hof liegt idyllisch zwischen sanften Hügeln am Waldrand. Auf der saftig grünen Wiese grasen zwischen Karpfentei­chen Milchkühe. Zwei Enten fliegen laut schnattern­d davon, als sich Ertl, Anita Bollinger und ihr Vater Michael den Teichen nähern.

Dass sich hier auch der Fischotter wohlfühlt, ahnen die Teichwirte schon länger: Die Erträge seien in den vergangene­n Jahren kontinuier­lich gesunken, sagt Anita Bollinger. „Solange sich die Schäden in Grenzen halten, duldet man es“, ergänzt Michael Bollinger. Doch nun liege der Verlust bei bis zu 50 Prozent. Deshalb will der Betrieb Entschädig­ung beantragen.

In weiten Teilen Deutschlan­ds war der Fischotter lange ausgerotte­t. Seit einiger Zeit breitet er sich wieder aus, gilt aber immer noch als gefährdet. „Im Prinzip ist das ein Trend, der von Osten kommt“, erklärt der Biologe Reinhard Klenke vom Helmholtz Zentrum für Umweltfors­chung in Leipzig. In westlichen Bundesländ­ern wie BadenWürtt­emberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen komme der Fischotter nach wie vor kaum vor. Im Osten

von Sachsen und an der östlichen Grenze von Bayern sei er dagegen gut verbreitet. „Lokal kann das zu Problemen führen“, sagt Klenke.

Bei Familie Bollinger zum Beispiel, aber auch bei anderen Teichwirte­n. „Die Schadensan­träge steigen“, sagt Ertl. Mehr als eine Million Euro wurden allein im vergangene­n Jahr nach LfL-Angaben an betroffene Betriebe gezahlt. Die Entschädig­ung deckt allerdings nur bis zu 80 Prozent der Verluste ab. „Teichwirts­chaft ist Handarbeit“, sagt Ertl. Für viele der kleinen Betriebe lohne sich das angesichts der Schäden nicht mehr. „Doch wenn die Teiche wegfallen, gehen auch Biotope verloren.“

Den Fischotter mit Lärm oder Gerüchen zu vergrämen – das sei schon versucht worden, sagt LfL-Experte Christian Wagner. Es habe aber nicht funktionie­rt. „Das einzige, das wirklich hilft, ist der Zaunbau.“Doch nicht überall sei ein Zaun um den Fischteich möglich.

Das bestätigt Andreas Stummer vom Sächsische­n Landesfisc­hereiverba­nd. In Sachsen, wo die Karpfentei­che generell größer als in Bayern seien, sei das nur in einzelnen Fällen

eine gangbare Lösung, sagt er. Noch richte der Kormoran den größten Schaden in sächsische­n Fischteich­en an. „Der Fischotter hat sich aber in den letzten Jahren rasant vermehrt“, sagt Stummer. In bewirtscha­fteten Teichgebie­ten müsse deshalb der Abschuss des Räubers möglich sein, ist er überzeugt.

In Bayern tobt darum bereits ein Gerichtsst­reit. Die Regierung der Oberpfalz hatte 2020 für drei besonders betroffene Teichanlag­en Ausnahmege­nehmigunge­n zur „Entnahme von jeweils maximal zwei männlichen Fischotter­n“erlassen, wie es die Behörden formuliere­n. Dagegen klagt unter anderem der Bund Naturschut­z (BN). Eine Entscheidu­ng des bayerische­n Verwaltung­sgerichtsh­ofs wird im kommenden Jahr erwartet.

Auch wenn es in der Oberpfalz zunächst um höchstens sechs Fischotter gehe: Jedes einzelne Tier beeinfluss­e letztlich die Verbreitun­g, sagt BN-Expertin Christine Margraf. „Fischotter sind Reviertier­e. Wenn ein Revier besetzt ist, wandern die Jungtiere weiter“, sagt sie. Wenn aber ein Fischotter abgeschoss­en werde, bestehe kein Grund für die

Jungtiere, sich woanders anzusiedel­n.

Auch Klenke sieht das Töten einzelner Otter kritisch. Es gebe mittlerwei­le zwar bessere Daten über die Verbreitun­g und auch stichprobe­nartige Studien über die Bestandsdi­chte, diese seien aber nicht ausreichen­d. Um zu sehen, welche Folgen die Entnahme einzelner Tiere habe und was diese überhaupt bewirken könne, benötige man ein Population­smodell, sagt er. „Fischotter sind hochmobil. Wenn ringsherum Fischotter leben, wird ein frei werdendes Revier binnen kurzer Zeit wieder besetzt.“

Aus diesem Grund befürchtet Margraf, dass in der Oberpfalz eine Art Präzedenzf­all für ganz Deutschlan­d geschaffen werden könnte. „Wenn es funktionie­ren soll, müsste man den Fischotter flächendec­kend schießen“, sagt sie. Für die wirtschaft­lichen Probleme der Teichwirte sei der Fischotter aber nicht allein verantwort­lich. Diesen mache auch die Klimakrise zu schaffen. Margraf ist überzeugt: „Wie der Wolf wird der Fischotter zum Sündenbock für Verfehlung­en in der Agrarpolit­ik gemacht.“

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FOTO: PATRICK PLEUL/DPA Lange Zeit galten Fischotter als so gut wie ausgerotte­t, inzwischen haben sich die Bestände in Deutschlan­d wieder erholt. Das freut nicht alle.

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