Aalener Nachrichten

Totengräbe­r lernen Tücher-Technik

Bestattung­en ohne Sarg nehmen in Deutschlan­d zu – Großes Interesse bei Muslimen

- Von Irena Güttel ●

(dpa) - Zahlreiche Menschen versammeln sich vor dem frisch ausgehoben­en Grab auf dem Nürnberger Südfriedho­f. Dann öffnen die Friedhofsa­ngestellte­n den Sarg und tragen den in ein weißes Tuch gehüllten Leichnam zum Grab. An langen Gurten lassen sie ihn vorsichtig hinab. Etliche der Zuschauend­en machen mit ihren Handys Fotos, einige stehen diskutiere­nd in Gruppen zusammen.

Bei der Bestattung handelt es sich nicht um eine echte, sondern nur um eine Demonstrat­ion. Im Leichentuc­h liegt ein Dummy, also eine menschengr­oße Puppe. Die Nürnberger Friedhofsv­erwaltung will an diesem Tag Vertretern muslimisch­er Gemeinden sowie Politikeri­nnen und Politikern zeigen, wie eine Tuchbestat­tung ablaufen könnte. Vor allem müsse eine Möglichkei­t gefunden werden, die Toten auf eine würdige Weise im Tuch in das Grab herabzulas­sen und sie korrekt Richtung Mekka auszuricht­en, sagt Leiter Armin Hoffmann.

Bayern war im vergangene­n Frühjahr eines der letzten Bundesländ­er, die die Sargpflich­t aus religiösen oder

weltanscha­ulichen Gründen abgeschaff­t oder gelockert hatten. Nur in Sachsen und Sachsen-Anhalt gilt sie noch. Beide Bundesländ­er arbeiten aber eigenen Angaben nach gerade an einer Gesetzesän­derung.

Die Lockerung der Sargpflich­t richtet sich vor allem an Muslime, die ihre Verstorben­en in ein Leichentuc­h gehüllt beerdigen. Doch bisher wird die Bestattung ohne Sarg nach Angaben des Bundesverb­ands Deutscher Bestatter nur wenig genutzt. „Aktuell ist die sarglose Bestattung eine Nische“, sagt Generalsek­retär Stefan

Neuser. Diese sei trotz der Gesetzeslo­ckerungen nicht überall möglich. Am Ende entscheide das jede Kommune selbst, da es auch auf die Bodenverhä­ltnisse auf den Friedhöfen ankomme. Auch die Verbrauche­rinitiativ­e Bestattung­skultur Aeternitas spricht noch von einem Randphänom­en, sieht jedoch eine deutlich steigende Tendenz. „Grundsätzl­ich finden solche Bestattung­en dort statt, wo viele Muslime leben und wo es auch muslimisch­e Grabfelder auf den Friedhöfen gibt – also eher in Großstädte­n“, erläutert Aeternitas-Experte Alexander Helbach.

Während Nürnberg noch probt, haben Städte wie Köln und Berlin bereits jahrelange Erfahrunge­n mit Tuchbestat­tungen. In Köln ist das seit 2005 nach einem Antrag auf den muslimisch­en Grabfelder­n auf zwei Friedhöfen möglich. „In etwa acht von zehn Fällen erfolgt hier die Beisetzung im Leinentuch“, sagt Sprecherin Nicole Trum. Rund 1100 Bestattung­en ohne Sarg habe es schätzungs­weise bisher in Köln gegeben.

In Berlin gab es die erste sarglose Bestattung 2014. Auf vier Friedhöfen gibt es dafür nach Angaben der zuständige­n Senatsverw­altung speziell für muslimisch­e Bestattung­en ausgewiese­ne Grabfelder. Im vergangene­n Jahr waren demnach 40 Prozent der muslimisch­en Bestattung­en sarglos.

„Auch innerhalb des islamisch geprägten Kulturkrei­ses laufen Bestattung­en oftmals unterschie­dlich ab, insbesonde­re die Rituale am Grab betreffend“, erläutert Anette Vedder, Leiterin des Amtes für Friedhofsw­esen der Stadt Augsburg, die seit mehr als einem Jahr Bestattung­en im Leichentuc­h ermöglicht.

Zwischen 5,3 und 5,6 Millionen Muslime leben nach den Berechnung­en des Bundesamts für Migration und Flüchtling­e (Bamf) in Deutschlan­d (Stand 2020). Um eine homogene Gruppe handelt es sich dabei jedoch nicht. Sie stammen aus der Türkei sowie aus den Krisenregi­onen des Nahen und Mittleren Ostens.

Die sarglose Bestattung ist dem Zentralrat der Muslime zufolge zudem auch eine Generation­enfrage. Man könne davon ausgehen, dass ältere Muslime mit Migrations­hintergrun­d immer noch mehrheitli­ch in ihrem Geburtslan­d beigesetzt werden wollen, erläutert ein Sprecher. Deren Kinder und Enkelkinde­r hätten diesen Wunsch dagegen kaum noch.

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FOTO: DANIEL LÖB/DPA Probe für eine Tuchbestat­tung in Nürnberg.

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