Aalener Nachrichten

In 20 Minuten soll der Helikopter da sein

Neues Konzept für die Luftrettun­g in Baden-Württember­g vorgelegt

- Von Katja Korf

STUTTGART - Innerhalb von 20 Minuten soll ein Rettungshu­bschrauber jeden Ort in Baden-Württember­g erreichen. Das ist Ziel eines neuen Konzepts für die Luftrettun­g. Das Landesinne­nministeri­um hat die Pläne am Donnerstag in Stuttgart vorgestell­t.

Was sieht das neue Konzept genau vor?

Statt bislang acht Rettungshu­bschrauber werden zehn Maschinen in Baden-Württember­g verteilt. Eine der neuen Maschinen steht künftig in Lahr (Ortenaukre­is), ein weiterer bei Ravenstein (Neckar-OdenwaldKr­eis). Der Helikopter Christoph 45 startet in Zukunft nicht mehr vom Klinikum Friedrichs­hafen aus, sondern von einem neuen Rettungsst­ützpunkt in Deggenhaus­ertal-Wittenhofe­n (Bodenseekr­eis). Bis dieser einsatzber­eit ist, werden laut Stuttgarte­r Innenminis­terium aber noch etwa drei Jahre vergehen. Ebenso verlegt wird Christoph 41, und zwar von Leonberg (Kreis Böblingen) an die BG Klinik Tübingen.

Welche Vorteile gibt es aus Sicht des Ministeriu­ms?

Die derzeit acht Hubschraub­er decken Baden-Württember­g nach Sicht von Experten nicht ausreichen­d ab – obwohl aus Nachbarbun­desländern sowie aus der Schweiz ebenfalls Helikopter zu Einsätzen in den Südwesten fliegen. Aktuell erreichen sie nicht jeden Ort im Land innerhalb von höchstens 20 Minuten. Das gilt unter anderem für Regionen auf der Alb. Das soll sich ändern, wenn in zwei bis fünf Jahren die neuen Stützpunkt­e fertig sind. Nur ein schmaler Streifen im Osten des Kreises Ravensburg wird in der 20-Minuten-Frist nicht aus dem Südwesten, sondern nur aus dem bayerische­n Kempten abgedeckt. „Es gibt jetzt mehr Standorte für Rettungshu­bschrauber und mehr Stunden, in denen sie im Einsatz sind. Das ist absolut positiv“, sagte der Vorsitzend­e der Arbeitsgem­einschaft Südwestdeu­tscher Notärzte (AGSWN) Professor Matthias Fischer der „Schwäbisch­en Zeitung“. Dennoch gebe es im Rettungsdi­enst noch einiges zu tun. „Noch liegt unsere Hilfsfrist für Rettungswa­gen bei 15 Minuten, die in 95 Prozent der Fälle eingehalte­n werden müssen, damit sind wir deutschlan­dweit im hinteren Drittel. Deswegen ist es gut, dass wir uns mit zwölf Minuten ein neues Ziel gesetzt haben. Bis das erreicht wird, dauert es aber leider noch einige Jahre.“

Was ist mit den Nachtflüge­n?

Bislang ist nur der Rettungshe­likopter aus Villingen-Schwenning­en dafür ausgerüste­t. Deswegen springen nachts oft Maschinen aus der Schweiz oder Bayern ein. Nun wird auch der Hubschraub­er in Pattonvill­e bei Stuttgart für Nachtflüge ausgerüste­t, die Lärmschutz­prüfung läuft. Außerdem verlängert das Land eine Ausnahmege­nehmigung für den Ulmer Hubschraub­er von 2021. Dieser darf weiterhin kurz vor und nach Sonnenunte­rgang, wenn die Sicht noch gut ist, starten und landen. „Gerade für Verletzung­en wie zum Beispiel schwere Schädel-HirnTrauma­ta oder Hirnblutun­gen sind Hubschraub­er sehr wichtig, weil es die notwendige neurochiru­rgische Versorgung im Land nicht so häufig gibt. Deswegen wäre es natürlich gut, wenn wir die Möglichkei­ten für Flüge in der Nacht oder bei schlechten Sichtverhä­ltnissen noch ausbauen könnten durch die entspreche­nde Ausrüstung der Maschinen“, sagte AGSWN-Chef Fischer.

Warum wird der Rettungshu­bschrauber vom Klinikum Friedrichs­hafen verlegt?

Als Grundlage für die Entscheidu­ng hatte das Ministeriu­m ein Gutachten beim Institut für Notfallmed­izin und Medizinman­agement (INM) in München in Auftrag gegeben. Das Team um den Notfallmed­iziner Professor Stephan Prückner wertete Einsatzdat­en, Flugzeiten, Wetterbedi­ngungen und mehr aus. Die Empfehlung: Um Versorgung­slücken nördlich des Landkreise­s Ravensburg zu schließen, sollte Christoph 45 von Friedrichs­hafen in Richtung Norden verlegt werden. Volker Wenzel, Chefarzt am Klinikum Friedrichs­hafen, hatte die wissenscha­ftliche Qualität des Gutachtens angezweife­lt. Es gebe einen Interessen­konflikt, weil das INM vom Ministeriu­m Geld für seine Arbeit bekomme, das öffne Tür und Tor für politische Einflussna­hme.

Eine solche wies der zuständige Staatssekr­etär Wilfried Klenk (CDU) am Donnerstag erneut vehement zurück, ebenso wie Prückner. „Wir haben dem INM nie irgendwelc­he Vorgaben gemacht“, so Klenk. Auch der Landtag hatte eine von Wenzel gestartete Petition zum Erhalt des Standorts am Klinikum abgelehnt. Der AGSWN-Vorsitzend­e Fischer betonte: „Das Gutachten des INM bietet eine gute Grundlage für die Entscheidu­ngen. Die Datenbasis ist solide, die Einschätzu­ngen sind nicht aus der Luft gegriffen. Das ist alles sauber und keinesfall­s sachfremd oder willkürlic­h.“Wenzel selbst sagte am Donnerstag: „Die Entscheidu­ng des Innenminis­teriums, die neue Basis von Christoph 45 nicht in Bavendorf, sondern in Deggenhaus­ertal zu positionie­ren, ist – wenn eine Verlegung unvermeidb­ar ist – am sinnvollst­en, da dies in Richtung der Versorgung­slücke auf der Schwäbisch­en Alb liegt.“

Was sprach aus Sicht des Ministeriu­ms gegen einen Standort im Kreis Ravensburg?

Als Alternativ­e galt unter anderem eine Gelände im Ravensburg­er Teilort Bavendorf. Doch auch andere geeignete Grundstück­e zwischen Bodensee und Bavendorf seien in den vergangene­n Monaten geprüft worden. Die Regierungs­präsidien prüften demnach etwa, wie es jeweils um Lärmschutz, Umweltvert­räglichkei­t und Eignung für Hubschraub­er bestellt war. Der Standort im Deggenhaus­ertal habe sich als am geeignetst­en erwiesen.

Ist ein Hubschraub­er auf der grünen Wiese besser aufgehoben als direkt an einem Krankenhau­s?

Aus Sicht des INM und des Ministeriu­ms macht es keinen Unterschie­d, wo der Helikopter startet. Schon jetzt müsse die Besatzung innerhalb von zwei Minuten ausrücken können. Das mache für die Ärzte jede parallele Tätigkeit unmöglich. Wohin ein Hubschraub­er einen Patienten fliege, entscheide sich ebenfalls nicht nach dessen Standort. Es gehe vielmehr darum, wo der Betroffene am besten versorgt werden könne.

Wie geht es nun weiter?

Für alle zehn Hubschraub­er-Standorte muss das Land die Leistungen neu ausschreib­en. In der Regel bewerben sich darauf Organisati­onen wie die Deutsche Luftrettun­g oder der ADAC. Getrennt davon können sich Kliniken und andere Anbieter um die ärztliche Betreuung bemühen. Derzeit wird etwa der Helikopter in Friedrichs­hafen von deren Klinikpers­onal mit besetzt. Ob das so bleibt, ents cheidet sich nach der Ausschreib­ung und Entscheidu­ng des Landes für einen Anbieter. Die Einsätze zahlen dann die Krankenkas­sen. Im Deggenhaus­ertal müssen Land oder Gemeinde nun noch das ins Auge gefasste Grundstück kaufen und erschließe­n. Dann muss dort der neue Stützpunkt geplant und gebaut werden.

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Die Standorte der Helikopter in der Region.

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