Zurück in die gute alte Zeit
Ein Jahr nach dem Comeback kommt „Wetten, dass..?“zum fünften Mal nach Friedrichshafen
FRIEDRICHSHAFEN - Eigentlich war das Flaggschiff europäischer Fernsehunterhaltung längst untergegangen. Kurz vor Weihnachten 2014 schien die Zeit für „Wetten, dass..?“abgelaufen. Nach 33 Jahren und 215 Ausgaben sollte Schluss sein mit Lastwagen, die auf Biergläsern balancieren, Basketball spielenden Baggern, Landwirten, die ihre Milchkühe am Schmatzgeräusch erkennen, und Plaudereien mit Hollywood-Helden, die ganz plötzlich ganz dringend noch einen Flieger nach irgendwo erreichen müssen. Doch der Deutschen Sehnsucht nach der guten alten Zeit war größer – und bescherte Thomas Gottschalk vor einem Jahr ein fulminantes Comeback. Nun kehren der Moderator und die Show, die sich gegenseitig groß gemacht haben, an den Bodensee zurück. „Wetten, dass..?“und Friedrichshafen – eine Liebesbeziehung, die erst spät gezündet hat.
Satte 26 Jahre muss Friedrichshafen warten, bis das ZDF die Stadt am Bodensee als würdig für die Gastgeberrolle für Europas erfolgreichste Fernsehshow befindet. Im Süden der Republik, in Spuckweite zu Österreich und zur Schweiz, erhält zunächst Ravensburg den Vorzug, wo „Wetten, dass..?“bereits 1984 mit der 23. Ausgabe erstmals zu Gast ist. Damals noch mit Frank Elstner und einem vergleichsweise bescheidenen Promi-Aufgebot. Herbert Grönemeyer hat mit dem Album „4630 Bochum“und der Single „Männer“gerade erst seinen großen Durchbruch geschafft, und auch „Wetten, dass..?“hat längst noch nicht die große internationale Strahlkraft, die es in der Ära Gottschalk erreichen wird.
Elf Jahre später schaut man von Friedrichshafen aus dann aber doch ein bisschen neidisch Richtung Norden. Denn das zweite Gastspiel in Ravensburg trumpft mit einem der größten Stars der Popmusikgeschichte überhaupt auf. Nachdem sie zehn Jahre lang in keiner europäischen Live-TV-Show aufgetreten war, haucht Madonna ihren Hit „Secret“ins ZDF-Mikrofon – und nicht nur die Ravensburger in der Oberschwabenhalle sind aus dem Häuschen. Dass der Superstar zur Show mit dem Flieger eingeschwebt ist, versteht sich von selbst. Und weil der in Ravensburg nirgends landen kann, bekommt Friedrichshafen mit seinem Bodensee-Airport zumindest ein kleines bisschen vom Glanz und Glamour ab.
Mit dem Bau der Neuen Messe direkt neben dem Flughafen schafft Friedrichshafen 2002 Voraussetzungen, die für die Gäste von „Wetten, dass..?“wie geschaffen sind. Mit dem Flugzeug quasi direkt auf dem Sofa landen und wieder starten zu können – perfekte Bedingungen für all jene, die ihren Aufenthalt in der Show samt An- und Abreise auf das absolute Minimum reduzieren wollen, das fürs Anpreisen neuer Alben oder Filme erforderlich ist. Und für jene, die eine schnelle Fluchtmöglichkeit zu schätzen wissen, falls als Strafe für verlorene Wetten das Tragen einer Katzenmütze oder ähnliche Peinlichkeiten drohen.
Trotzdem ziehen nach Einweihung der Messe weitere fünf Jahre ins Land, bis Friedrichshafen endlich in den erlauchten Kreis der Austragungsorte aufgenommen wird. Und die Häfler sind am Abend jenes 20. Januar 2007 bereit, bis ans Äußerste zu gehen, um in diesem Kreis verweilen zu dürfen. Mit der coolsten Stadtwette aller Zeiten. Weit mehr als die geforderten 50 Männer sind bereit, vor den Augen von mehr als 6500 Zuschauern ins eiskalte Hafenbecken zu steigen. Mit Schnurrbart und Sonnenbrille und in modisch fragwürdigen Einteilern nach dem Vorbild der Filmfigur Borat. Wettpate Peter Sattmann, in Friedrichshafen aufgewachsener Schauspieler, muss selbst zwar weder ins Borat-Kostüm schlüpfen noch ins Wasser hüpfen, präsentiert sich aber in feuchtfröhlicher Feierlaune: „Singet, tanzet und saufet euch die Hucke voll“, ruft er dem bestens aufgelegten Volk entgegen.
In der Messehalle A1 verblüfft ein junger Mann aus Ratzenried derweil all jene Menschen, die in den 1980erJahren verzweifelt und erfolglos an Rubiks Zauberwürfel herumgeschraubt haben. Thomas Kohn löst das Ding in unter einer Minute. Einhändig und unter Wasser. Im weiblichen Teil des Saalpublikums sorgt für Kreischalarm aber ein anderer: Bill Kaulitz von der damals angesagtesten Kreischalarm-Band Tokio Hotel. Zwei Mädels aus dem Publikum erkreischen sich gar für ein paar Minuten einen Platz neben dem Objekt ihrer Begierde auf dem Sofa. Take That haben ihre intensivsten Kreischalarm-Zeiten zwar bereits hinter sich, versetzen das Häfler Publikum beim TV-Comeback nach Teil eins ihrer Wiedervereinigung aber trotzdem in Verzückung. Auch ohne Robbie Williams, der erst im zweiten Teil der Wiedervereinigung Take That wieder komplett macht – und seinen Besuch in Friedrichshafen am kommenden Samstag nachholt.
Nach gelungener Premiere am Bodensee mit stattlichen 13,5 Millionen Fernsehzuschauern allein in Deutschland wird „Wetten, dass..?“in den Folgejahren zum Stammgast in Friedrichshafen. Anfang 2010 sucht Heidi Klum eine Kandidatin für ihre Castingshow „Germany’s Next Topmodel“– und wird in der 19-jährigen Pauline Afaja fündig. In der fünften GNTM-Staffel catwalkt die Schülerin aus Friedrichshafen bis in die Top Ten. Einen Hauch von Hollywood lässt an jenem Abend Oscar-Preisträgerin Hilary Swank durch die Messehalle wehen. Rockiges gibt’s von Bon Jovi auf die Ohren, eher Schmalziges von Eros Ramazzotti, dem Ex von Gottschalks Co-Moderatorin Michelle Hunziker. Spektakuläres bietet der spätere Wettkönig – allerdings nicht in Friedrichshafen, sondern auf der Bobbahn von Altenberg, die er auf Schlittschuhen hinunterrast und dabei ein Ü-Ei-Auto zusammenbastelt.
Als Thomas Gottschalk Ende 2011 ein vermeintlich letztes Mal nach Friedrichshafen zurückkehrt, ist „Wetten, dass..?“zwar immer noch die Show, in der Quatsch gemacht und gute Laune verbreitet wird. Nach dem Unfall von Wettkandidat Samuel Koch ein Jahr zuvor hat die Show aber ihre Unschuld verloren. Beim Versuch, mit Sprungfederschuhen über fahrende Autos zu springen, war Koch gestürzt. Seitdem ist er querschnittgelähmt. Gottschalk kann und will nicht länger den Gute-LauneOnkel geben, mit der 199. Ausgabe insgesamt, der dritten in Friedrichshafen, soll Schluss für ihn sein. Dass seine Abschiedsvorstellung in Friedrichshafen steigt, ist zwar eher Zufall. Dass der Ort ein passender ist, findet aber auch Gottschalk: „Nie war ich meinem Publikum so nahe wie hier – den Deutschen, den Österreichern und den Schweizern.“Zum Abschied kommen unter anderem sein alter Kumpel Günther Jauch, Modezar Karl Lagerfeld, Hollywoodstar Jessica Biel und Basketballer Dirk Nowitzki. Lenny Kravitz und Meat Loaf liefern den rockigen Soundtrack zum Ende einer Ära.
Nur fünf Sendungen später kommt auch Gottschalk-Nachfolger
Markus Lanz an den Bodensee – mit einer rein deutschsprachigen Sofabesetzung, ganz ohne Hollywood. Ob Tom Hanks seine Kolleginnen und Kollegen vor einem Besuch der Show gewarnt hat, nachdem Lanz ihn drei Sendungen zuvor eine Katzenmütze hatte aufsetzen lassen? Genaueres weiß man nicht. Verkleiden ist aber auch diesmal angesagt – allerdings für die Häfler. An der Seite von Heino sollen mindestens 100 Männer in Frauenkleidern den Ärzte-Song „Junge“zum Besten geben. Und weil die Häfler die Stadtwette erneut gewinnen, muss nun Markus Lanz im eisigen Bodensee baden gehen. Das Borat-Outfit bleibt ihm immerhin erspart. Dass die ganz großen Glanzzeiten von „Wetten, dass..?“vorüber sind, lässt sich beim Blick auf die Quote nicht mehr leugnen: 8,57 Millionen Zuschauer sitzen vor den TV-Geräten. Bei Gottschalks Abschiedsvorstellung waren es noch fast 15 Millionen gewesen. Knapp zwei Jahre später fällt dann auch für Lanz der letzte Vorhang. Nach 215 Sendungen seit 1981 ist Schluss mit „Wetten, dass..?“.
Das Comeback mit Thomas Gottschalk im November 2021 soll eigentlich nur ein einmaliges Special werden. Zum 40. Geburtstag der Kultshow. Ein bisschen Nostalgie in tristen Krisenzeiten. 13,8 Millionen Zuschauer veranlassen das ZDF zum Weitermachen. Und so ist „Wetten, dass..?“ein Jahr nach seiner Wiedergeburt zum fünften Mal zu Gast in Friedrichshafen. Mit Robbie Williams, der mit seinem aktuellen Song „Lost“sein Fernbleiben von 2007 wettmachen wird. Mit Herbert Grönemeyer, der seine Hitliste seit seinem Auftritt in Ravensburg 1984 in beachtlichem Ausmaß verlängert hat. Und mit einer echten Hollywood-Legende: John Malkovich. Sportlich wird’s mit den Fußballerinnen Giulia Gwinn und Alexandra Popp, ebenso mit Tennis-Olympiasieger Alexander Zverev. Lustiges sollen die Comedians Michael „Bully“Herbig und Christoph Maria Herbst beisteuern. Und bei den Wetten spielt ein Bagger mit. Die gute alte Zeit, in der die Krisen zwar auch nicht kleiner oder weniger, dafür aber irgendwie weiter weg und leichter zu verdrängen waren, ist wieder zurück. Zumindest für zwei oder drei Stunden. Vielleicht auch vier.