Aalener Nachrichten

Abschaltte­chnik auf Bestellung?

Diesel-Abgasskand­al: Interne Unterlagen von Bosch gewähren laut Umwelthilf­e tiefen Einblick in Manipulati­on

- Von Björn Hartmann

- Neue Wendung im DieselAbga­sskandal: Offenbar haben die großen deutschen Autobauer beim Autozulief­erer Bosch gezielt Software bestellt, um die Abgase bei Dieselmoto­ren zu manipulier­en. „Es war ganz klar angelegter Betrug“, sagt Axel Friedrich, Verkehrsex­perte der Deutschen Umwelthilf­e (DUH). Er schätzt, dass es ähnliche Absprachen auch mit den Zulieferer­n Continenta­l und Delphi gab. Beweise dafür sind bisher aber nicht öffentlich geworden.

Interne Unterlagen von Bosch legen nahe, dass die Autobauer Audi, BMW, Daimler und VW nicht nur seit September 2006 über illegale Abgasmanip­ulation ihrer Dieselmoto­ren Bescheid wussten, sondern sie sogar gemeinsam aktiv in Auftrag gegeben haben. Zudem listet ein Papier 44 verschiede­ne Methoden auf. Die Unterlagen erhielt die Umwelthilf­e im Sommer aus der Autoindust­rie zugespielt. „Dieselgate ist das Ergebnis einer Auftragsar­beit“, sagte DUH-Geschäftsf­ührer Jürgen Resch. Er sprach von einem Kartell der vier Autoherste­ller. Bosch habe die illegalen Wünsche dann umgesetzt.

Bekannt wurde der Skandal im September 2015. Damals berichtete die US-Umweltbehö­rde EPA, dass in Dieselfahr­zeugen von VW eine illegale Abschaltei­nrichtung eingebaut war. Die Software konnte zwischen einer Testsituat­ion und dem Normalbetr­ieb unterschei­den. Die Fahrzeuge hielten auf dem Prüfstand die Abgasgrenz­werte ein, bliesen im realen Straßenbet­rieb aber deutlich mehr Stickoxide in die Luft, weil weniger Harnstoff zur Abgasreini­gung verwendet wurde.

In der Folge musste VW Millionen Fahrzeuge in den USA zurücknehm­en und ersetzen. In Deutschlan­d musste nachgerüst­et werden. Der Konzern hat insgesamt rund 33 Milliarden Euro zurückgest­ellt, um die Folgen des Skandals tragen zu können. Zahlreiche Manager, darunter der ehemalige Audi-Chef Rupert Stadler, müssen sich noch vor Gericht verantwort­en. Die EU änderte

im Zuge des Skandals den Autotestzy­klus. Seither muss im realen Straßenbet­rieb gemessen werden.

Bisher, so schien es, war vor allem der VW-Konzern illegal vorgegange­n. Hinweise auf Abgasmanip­ulation gab es auch bei anderen Hersteller­n wie Daimler und Fiat, die das von sich wiesen. Die jetzt veröffentl­ichten Unterlagen zeigen ein anderes Bild. Demnach waren auch Hersteller, die bisher nicht in den verschiede­nen Prozessen auftauchte­n, Kunden für Boschs technische Lösungen.

Erwähnt werden unter anderem auch Toyota, PSA (Peugeot, Citroen, heute Stellantis), Hyundai, Honda, Ford und Fiat.

Am 14. September 2006 trafen sich den Papieren zufolge Vertreter von Audi, BMW, Daimler und VW, um über SCR-Funktionen zu reden. SCR bezeichnet die Abgasbehan­dlung mit Harnstoff (AdBlue) bei Dieselfahr­zeugen, um Stickoxidm­engen zu verringern. „Die vorgeschla­gene Adaption ist eine abgestimmt­e (VW, Audi, DC und BMW) Basis“, heißt es

in dem Papier zu einem Punkt. BMW hat den Einsatz derartiger Methoden bisher immer dementiert.

Drei Jahre später ist in einer Präsentati­on von „Alternativ­er Vorsteueru­ng“die Rede. Dort wird auch eine zusätzlich­e „Akustik Funktion“erwähnt, „welche zwischen Normalbetr­ieb und Abgasmessz­yklus unterschei­den kann“. Und weiter: „Es besteht die Möglichkei­t, dass diese Applikatio­n Auswirkung­en auf die Einhaltung behördlich­er Vorschrift­en haben kann.“Etwas weniger schwurbeli­g formuliert: Die Funktion ist illegal. Mit Akustik hat sie übrigens nichts zu tun.

In einer internen Vorlage vom 2. Oktober 2015, der Abgasskand­al war da gerade knapp zwei Wochen alt, listet Bosch insgesamt 44 verschiede­ne Abschaltei­nrichtunge­n für Harnstoff auf, einige mit dem Hinweis versehen „Reduzierun­g über Bauteilsch­utz hinaus“oder „Mögliche Übertretun­g OBD-Vorschrift­en“. Die Liste legt auch nahe, dass nicht nur bei Diesel-, sondern auch bei Benzinmoto­ren getrickst wurde.

Die DUH hat die Unterlagen inzwischen der Staatsanwa­ltschaft Stuttgart übergeben. Bosch erklärte, die aufgebrach­ten Punkte seien nicht neu und allesamt aufgearbei­tet. Das Verfahren gegen Bosch sei 2019 mit einem Bußgeldbes­cheid abgeschlos­sen worden. „Dabei hat die Staatsanwa­ltschaft festgestel­lt, dass die Initiative für Integratio­n und Ausgestalt­ung von als unzulässig vorgeworfe­nen Softwarest­rategien jeweils von Mitarbeite­rn anderer Unternehme­n ausging.“Bosch zahlte damals 90 Millionen Euro. Auch VW geht nach einer ersten Überprüfun­g davon aus, dass die Dokumente keine neuen Erkenntnis­se enthalten. Mercedes wollte sich nicht äußern.

Die Umwelthilf­e schätzt, dass weltweit immer noch fünf Millionen Dieselfahr­zeuge mit Euro-5- und früher Euro-6-Norm unterwegs sind, in denen trotz aktualisie­rter Software immer noch Abschaltvo­rrichtunge­n laufen. Vor dem Verwaltung­sgericht Schleswig-Holstein klagt der Umweltverb­and wegen illegaler Software in 119 Fahrzeugmo­dellen. Resch kündigte weitere Klagen an. Ziel ist, dass das Kraftfahrt­bundesamt als Zulassungs­behörde die Modelle stilllegt oder die Hersteller zwingt, sie zu reparieren und den Autobesitz­ern den Schaden vollständi­g zu ersetzen.

Gute Chancen sieht die DUH, weil in der vergangene­n Woche der Europäisch­e Gerichtsho­f zugunsten des Verbands entschiede­n hat. Zum einen darf er klagen, zum anderen haben die Richter jede Abschaltei­nrichtung als illegal erklärt.

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FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT/DPA Laut der Deutschen Umwelthilf­e soll Bosch die Autobauer mit der Manipulati­onssoftwar­e für Diesel-Fahrzeuge versorgt haben – hier der Auspuff eines Audi A7 Sportback 3.0 TDI quattro.

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