Aalener Nachrichten

Bohrende Fragen und heikle Details im Fall Attendorn

Hätte das jahrelang eingesperr­te Mädchen früher befreit werden können ? – Politiker haben unangenehm­e Fragen

- Von Oliver Auster und Frank Christians­en

DÜSSELDORF/ATTENDORN (dpa) Der Fall des jahrelang eingesperr­ten und von der Außenwelt isolierten Mädchens im sauerländi­schen Attendorn hat im nordrhein-westfälisc­hen Landtag parteiüber­greifend Entsetzen ausgelöst. Zugleich wurden am Donnerstag kritische Fragen in Richtung des zuständige­n Jugendamts laut. Abgeordnet­e aus allen Fraktionen wollten wissen, wieso es der Mutter des Kindes gelingen konnte, mit der bloßen Behauptung, ins Ausland verzogen zu sein, jahrelang unbehellig­t zu bleiben.

Das Jugendamt hat nach dpa-Informatio­nen im Herbst 2020 erstmals einen mysteriöse­n Brief erhalten, der auf das heute achtjährig­e Kind hinwies: Der Text war aus ausgeschni­ttenen Buchstaben zusammenge­setzt und aus Sicht des Mädchens geschriebe­n.

Es folgten weitere anonyme Schreiben, aber erst zwei Jahre später wurde das Kind befreit. Der zuständige Kreis Olpe hatte vor wenigen Tagen bereits Defizite im Zusammenha­ng mit dem Fall eingeräumt. Ermittelt wird gegen die Mutter und die Großeltern.

Auch das Jugendamt ist im Visier der Staatsanwa­ltschaft – wegen des Anfangsver­dachts der Freiheitsb­eraubung und Körperverl­etzung im Amt durch Unterlasse­n. Bereits eine Woche nach der Befreiung des Mädchens hatte die Staatsanwa­ltschaft beim Jugendamt bereits Akten beschlagna­hmt, wurde am Donnerstag bekannt.

Wieso habe das Jugendamt die Behauptung der Mutter, nach Italien weggezogen zu sein, nicht früher überprüft, sondern erst nach dem Eingang mehrerer anonymer Hinweise, will ein Abgeordnet­er wissen. Wie könne es sein, dass die Mutter trotz Sorgerecht­s auch des Vaters einfach mit dem Kind das Land verlasse und es das Jugendamt nicht interessie­re, fragt ein anderer Abgeordnet­er.

Wie könne es sein, dass Polizei und Jugendamts­mitarbeite­r vor dem Haus standen, in dem das Kind gefangen gehalten wurde, aber unverricht­eter Dinge wieder abzogen, fragt eine weitere Abgeordnet­e.

Sie stelle sich diese Fragen auch, sei aber nicht die Ermittlung­sbehörde, sagte NRW-Familienmi­nisterin Josefine Paul (Grüne). „Was in diesem Fall hätte anders laufen können und müssen, ist noch Gegenstand der Ermittlung­en.“

Sie selbst habe aus den Medien von dem Fall erfahren. Für die SPDFraktio­n steht eine Konsequenz bereits fest: „Die Jugendämte­r benötigen eine Fachaufsic­ht.“

Das Kreisjugen­damt hat inzwischen Defizite eingeräumt: Die Verfahrens­standards zum Kinderschu­tz seien „nicht in Gänze eingehalte­n worden“, heißt es in einem Bericht an die Abgeordnet­en, der vor zwei Tagen veröffentl­icht wurde. Künftig soll jeder Hinweis auf eine Kindeswohl­gefährdung dem Vier-AugenPrinz­ip unterliege­n.

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