Große Baustelle statt großer Oper
Die Bregenzer Seebühne erhält neue Sitze – Verdis „Ernani“2023 im Festspielhaus
BREGENZ - Nach den Festspielen ist vor den Festspielen. Deshalb versinkt der Hauptschauplatz der Bregenzer Festspiele, die Seebühne, auch im Herbst und Winter nicht in einen Dornröschenschlaf. Doch die aktuellen Umbauten sind auch für Bregenzer Verhältnisse außergewöhnlich.
Die Tribüne und die Innenräume werden erneuert, zudem entsteht in der Nähe des Festspielhauses ein 18 Meter hohes Gebäude zur Fertigung der riesigen Kulissenteile. Profitieren wird das Publikum vor allem von neuen Sitzen auf der Tribüne, die teilweise auch größere Beinfreiheit bieten. Besucher im Rollstuhl werden künftig, prominent platziert, von der Mitte der Tribüne aus das Spektakel auf der Bühne betrachten. Anstatt der bislang elf Plätze für Rollis wird es künftig 38 geben. Etwa 200 der knapp 7000 Sitzplätze werden für diese Umbaumaßnahme geopfert.
Doch auch abseits der Großbaustelle wird und wurde fleißig am Programm für die kommende Festspielsaison gearbeitet, das nun in seinen Eckpunkten steht. Es ist die vorletzte Spielzeit „unserer Königin Elisabeth“, wie Festspielpräsident HansPeter Metzler Intendantin Elisabeth Sobotka bei der Vorstellung des Programms am Donnerstag nur halb im Scherz nannte. Nach dem Sommer 2024 wird sie an die Staatsoper Unter den Linden in Berlin wechseln.
Was also erwartet die Zuschauerinnen und Zuschauer im kommenden Sommer in Bregenz? Das heißt, eigentlich beginnt die Spielzeit schon im Frühjahr, wenn die Sopranistin Brigitte Fassbaender im März ihre Meisterklasse gibt und an Ostern das Wiener Burgtheater wieder zu Gast in Bregenz ist. Die Jungen Festspiele präsentieren im Mai „Die Zauberflöte“.
Doch die heiße Phase beginnt am 19. Juli wie immer mit der Premiere einer Opernrarität im Festspielhaus. „Ernani“auf die Bühne zu bringen, ein Frühwerk von Giuseppe Verdi, war ein gemeinsamer Traum von Sobotka und Regisseurin Lotte de Beer. Die Uraufführung der Oper 1844 in Venedig verhalf dem 31-jährigen Verdi zum Durchbruch. Sie war eine der
meistgespielten Opern des 19. Jahrhunderts, geriet aber zunehmend in Vergessenheit. Die Dreiecksgeschichte um „einen verqueren Ehrbegriff“zeige, so Sobotka, dass man aus verletzter Eitelkeit heraus den Ausstieg aus vertrackten Situationen verpasse – ein Problem, das sehr aktuell sei.
Wenn die Verantwortlichen der Festspiele von Puccinis „Madame Butterfly“sprechen, die in die zweite Spielzeit geht, strahlen die Gesichter. Die reduzierte Inszenierung von Andreas Homoki war ein maximaler Gegensatz zum fulminanten „Rigoletto“der Vorjahre. Die Rechnung ist aufgegangen, künstlerisch und finanziell. „Ein Kammerspiel funktioniert über Konzentration“, so Homoki. Dass es über die große Entfernung gelang, bei den Zuschauern Mitgefühl für das tragische Schicksal der Geisha Cio-Cio-San zu wecken, lag seiner Meinung nach auch an den massiven Investitionen in neueste Beleuchtungstechnik. Die ermöglicht einen starken Fokus. „Madame Butterly“wurde als beste Neuinszenierung für den Internationalen Opera Award nominiert, der Beweis
für Sobotka, dass die Seebühne auch ruhige Inszenierungen verträgt.
Die Zahlen haben auch gestimmt im vergangenen Sommer. Eine Auslastung von fast 100 Prozent schraube die Erwartungen für die nächste Spielzeit hoch. „Alles, was unter 95 Prozent liegt, tut weh“, so der Kaufmännische Direktor Michael Diem. Dass schon ein Drittel der 185 000 Seekarten für kommenden Sommer gebucht sei, stimme ihn mehr als optimistisch. Wichtig sei das, weil „Kunst Kunst finanziere“, so Präsident Metzler. Will heißen, dass das, was die Seebühne einbringe, im Haus verspielt werde.
Dieses Programm abseits der großen Oper liegt Sobotka am Herzen: Eine Uraufführung von „The Faggots And Their Friends Between Revolutions“von Philip Venables, Jules Massenets Oper „Werther“und Fabián Panisellos „Die Judith von Shimoda“, um nur einige der Aufführungen in der Werkstattbühne und dem Opernstudio am Kornmarkt zu nennen. Und dann natürlich die beliebten Orchesterkonzerte, drei mit den Wiener Symphonikern, eines mit dem Symphonieorchester Vorarlberg.
Eines schließlich interessierte alle: Wer wird im Herbst 2024 auf Elisabeth Sobotka folgen? Hans-Peter Metzler antwortet mit Zahlen: 22 Interessenten hätten sich auf den Posten der Intendanz beworben, 15 Männer und sieben Frauen. Die Bewerbungsfrist sei am vergangenen Samstag abgelaufen, nun werde eine „kurze, vernünftige Liste“derer zusammengestellt, die zu einem Hearing geladen werden. „Ich bin zuversichtlich, dass wir bis Anfang kommenden Jahres zu einer Entscheidung kommen“, so Metzler.
Fest steht, welche Oper auf Puccinis „Madame Butterfly“folgen wird. Die Spielzeit 2024 eröffnet Carl Maria Webers „Der Freischütz“. Auf die Bühne bringen wird sie kein Unbekannter: Philipp Stölzl hat mit seiner „Rigoletto“-Inszenierung wohl so viel Eindruck in Bregenz hinterlassen, dass er gleich wieder den Auftrag erhielt. Nach den Spielen ist für ihn also erst recht vor den Spielen.