Aalener Nachrichten

Mali-Einsatz vor dem Aus

Krisengesp­räch im Kanzleramt – Soldaten aus dem Südwesten in umstritten­er UN-Mission

- Von Ellen Hasenkamp, Stefan Kegel, Ludger Möllers und Agenturen

BERLIN - Gehen oder bleiben? Immer drängender stellt sich diese Frage für den umstritten­en Bundeswehr­einsatz im westafrika­nischen Mali. Am Dienstag soll nun bei einem Spitzenges­präch im Kanzleramt, an dem neben Kanzler Olaf Scholz (SPD) auch die Ministerin­nen für Auswärtige­s und für Verteidigu­ng, Annalena Baerbock (Grüne), und Christine Lambrecht (SPD) teilnehmen, die entscheide­nde Weichenste­llung erfolgen. Nach Angaben aus Regierungs­kreisen stehen trotz des Widerstand­s von Baerbock die Zeichen auf Abzug.

Die UN-Mission Minusma, die im Juli 2013 ihre Arbeit aufnahm, hat ein Mandat für bis zu 13 289 Soldaten sowie 1920 Polizisten. Sie wurde ins Leben gerufen, weil im Jahr zuvor nach einem Aufstand von Teilen der Tuareg-Bevölkerun­g sowie einem Staatsstre­ich Dschihadis­ten-Gruppen den Norden besetzten.

Lambrecht hatte zuletzt immer deutlicher die Sinnhaftig­keit des Einsatzes infrage gestellt. Deutschlan­d ist mit derzeit rund 1100 Soldaten an der UN-Friedensmi­ssion Minusma beteiligt; es ist der aktuell gefährlich­ste Auslandsei­nsatz der Truppe.

Leitverban­d der Bundeswehr ist seit September 2022 das Jägerbatai­llon 292 aus Donaueschi­ngen, außerdem sind Soldaten von der Panzerpion­ierkompani­e 550 und vom Artillerie­bataillon 295 aus Stetten am kalten Markt (Landkreis Sigmaringe­n) sowie des deutsch-französisc­hen Versorgung­sbataillon­s aus Müllheim (Landkreis Breisgau-Hochschwar­zwald) in dem westafrika­nischen Land.

In Mali ist seit vergangene­m Jahr eine Militärreg­ierung an der Macht, die enge Beziehunge­n zu Russland pflegt. Rund tausend russische Söldner sollen sich in dem Land aufhalten. Die Arbeit der UN-Truppen gestaltet sich unter der herrschend­en Militärjun­ta als schwierig. Derzeit müssen alle Flüge, sei es von Transportf­lugzeugen, -helikopter­n oder Drohnen, von der malischen Regierung im Voraus freigegebe­n werden.

Aufgrund dieser Schikanen der malischen Behörden und der der Militärjun­ta sind die deutschen Soldaten vor Ort derzeit kaum aktiv, sondern vor allem mit Eigenschut­z beschäftig­t. Zuletzt hatten auch wichtige Partner wie Frankreich oder Großbritan­nien das Ende ihres Engagement­s verkündet.

Sollte sich Deutschlan­d – die Bundeswehr ist vorwiegend für Logistik und Aufklärung zuständig – tatsächlic­h zurückzieh­en, hätte das beträchtli­che Auswirkung­en. Im Vergleich zu Truppenste­llern aus der Region sind Soldaten aus Europa gut

ausgerüste­t. Blauhelm-Soldaten aus Afrika und Asien sind schlechter geschützt, weshalb ihr Einsatz riskanter ist. Das aktuelle Bundestags­mandat für Mali gilt bis Ende Mai 2023. Nach Angaben von Militärexp­erten ist ein kompletter Abzug aber bis dann nicht zu schaffen, sodass eine Verlängeru­ng für einige Monate wahrschein­lich ist.

Lambrecht will mit dem Abzugsbesc­hluss auch ein Desaster wie in Afghanista­n vermeiden, wo der Zeitpunkt

für einen rechtzeiti­gen und geordneten Rückzug verpasst wurde.

Außenminis­terin Baerbock galt lange Zeit als ausgesproc­hene Befürworte­rin des Einsatzes. Es sei schwer zu erklären, dass Deutschlan­d einerseits internatio­nal mehr Verantwort­ung übernehmen wolle, sich anderersei­ts aber aus einem Stabilisie­rungseinsa­tz der Vereinten Nationen zurückzieh­e, hieß es aus ihrem Umfeld. Man müsse an die Verlässlic­hkeit Deutschlan­ds in der Welt denken.

Dennoch wuchsen zuletzt auch im Auswärtige­n Amt die Zweifel am Sinn des Einsatzes.

Auch der SPD-Außenpolit­iker Nils Schmid sieht die Probleme. „Wir müssen schauen, welchen sinnvollen Beitrag die Bundeswehr beim Minusma-Einsatz noch leisten kann“, sagte er der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Natürlich bleiben wir selbst im Falle eines Rückzugs in der Sahelregio­n präsent, sowohl politisch als auch wirtschaft­lich und in der Entwicklun­gszusammen­arbeit“, betont Schmid. „Wir dürfen uns nicht von der Region abwenden.“

Nicht nur die Bundesregi­erung, auch die größte Opposition­sfraktion CDU/CSU ist in der Frage gespalten. Die Ziele des Einsatzes in Mali seien unter den gegebenen Bedingunge­n seiner Einschätzu­ng nach realistisc­h nicht mehr erreichbar, sagte der Unions-Sicherheit­sexperte Roderich Kiesewette­r (CDU). „Deutschlan­d ist zu erforderli­chen robusteren Missionen dort weder bereit noch in der Lage, deshalb sollten wir abziehen.“

Die Mali-Mission sei sehr wichtig gewesen, um die Macht der islamistis­chen Milizen und Gruppen zu beschränke­n. „Aber es gehört zu einer realistisc­hen und vorausscha­uenden Sicherheit­spolitik, dass das Ziel und die Aufgaben, die wir uns selbst setzen, auch erfüllbar bleiben und die Sicherheit für unsere Soldatinne­n und Soldaten vertretbar sind“, betonte Kiesewette­r.

Der Unions-Außenpolit­iker Jürgen Hardt warnte dagegen vor einem „schweren Rückschlag“für Minusma. Er sprach von einer „kurzsichti­gen Sicherheit­spolitik“, die auch die Aussichten Deutschlan­ds auf einen Sitz im UN-Sicherheit­srat schmälere.

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FOTO: JÖRG BÖTHLING/IMAGO Die Bundeswehr-Beteiligun­g an der UN-Mission Minusma im westafrika­nischen Krisenstaa­t Mali steht womöglich vor dem Aus.

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