Mali-Einsatz vor dem Aus
Krisengespräch im Kanzleramt – Soldaten aus dem Südwesten in umstrittener UN-Mission
BERLIN - Gehen oder bleiben? Immer drängender stellt sich diese Frage für den umstrittenen Bundeswehreinsatz im westafrikanischen Mali. Am Dienstag soll nun bei einem Spitzengespräch im Kanzleramt, an dem neben Kanzler Olaf Scholz (SPD) auch die Ministerinnen für Auswärtiges und für Verteidigung, Annalena Baerbock (Grüne), und Christine Lambrecht (SPD) teilnehmen, die entscheidende Weichenstellung erfolgen. Nach Angaben aus Regierungskreisen stehen trotz des Widerstands von Baerbock die Zeichen auf Abzug.
Die UN-Mission Minusma, die im Juli 2013 ihre Arbeit aufnahm, hat ein Mandat für bis zu 13 289 Soldaten sowie 1920 Polizisten. Sie wurde ins Leben gerufen, weil im Jahr zuvor nach einem Aufstand von Teilen der Tuareg-Bevölkerung sowie einem Staatsstreich Dschihadisten-Gruppen den Norden besetzten.
Lambrecht hatte zuletzt immer deutlicher die Sinnhaftigkeit des Einsatzes infrage gestellt. Deutschland ist mit derzeit rund 1100 Soldaten an der UN-Friedensmission Minusma beteiligt; es ist der aktuell gefährlichste Auslandseinsatz der Truppe.
Leitverband der Bundeswehr ist seit September 2022 das Jägerbataillon 292 aus Donaueschingen, außerdem sind Soldaten von der Panzerpionierkompanie 550 und vom Artilleriebataillon 295 aus Stetten am kalten Markt (Landkreis Sigmaringen) sowie des deutsch-französischen Versorgungsbataillons aus Müllheim (Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald) in dem westafrikanischen Land.
In Mali ist seit vergangenem Jahr eine Militärregierung an der Macht, die enge Beziehungen zu Russland pflegt. Rund tausend russische Söldner sollen sich in dem Land aufhalten. Die Arbeit der UN-Truppen gestaltet sich unter der herrschenden Militärjunta als schwierig. Derzeit müssen alle Flüge, sei es von Transportflugzeugen, -helikoptern oder Drohnen, von der malischen Regierung im Voraus freigegeben werden.
Aufgrund dieser Schikanen der malischen Behörden und der der Militärjunta sind die deutschen Soldaten vor Ort derzeit kaum aktiv, sondern vor allem mit Eigenschutz beschäftigt. Zuletzt hatten auch wichtige Partner wie Frankreich oder Großbritannien das Ende ihres Engagements verkündet.
Sollte sich Deutschland – die Bundeswehr ist vorwiegend für Logistik und Aufklärung zuständig – tatsächlich zurückziehen, hätte das beträchtliche Auswirkungen. Im Vergleich zu Truppenstellern aus der Region sind Soldaten aus Europa gut
ausgerüstet. Blauhelm-Soldaten aus Afrika und Asien sind schlechter geschützt, weshalb ihr Einsatz riskanter ist. Das aktuelle Bundestagsmandat für Mali gilt bis Ende Mai 2023. Nach Angaben von Militärexperten ist ein kompletter Abzug aber bis dann nicht zu schaffen, sodass eine Verlängerung für einige Monate wahrscheinlich ist.
Lambrecht will mit dem Abzugsbeschluss auch ein Desaster wie in Afghanistan vermeiden, wo der Zeitpunkt
für einen rechtzeitigen und geordneten Rückzug verpasst wurde.
Außenministerin Baerbock galt lange Zeit als ausgesprochene Befürworterin des Einsatzes. Es sei schwer zu erklären, dass Deutschland einerseits international mehr Verantwortung übernehmen wolle, sich andererseits aber aus einem Stabilisierungseinsatz der Vereinten Nationen zurückziehe, hieß es aus ihrem Umfeld. Man müsse an die Verlässlichkeit Deutschlands in der Welt denken.
Dennoch wuchsen zuletzt auch im Auswärtigen Amt die Zweifel am Sinn des Einsatzes.
Auch der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid sieht die Probleme. „Wir müssen schauen, welchen sinnvollen Beitrag die Bundeswehr beim Minusma-Einsatz noch leisten kann“, sagte er der „Schwäbischen Zeitung“: „Natürlich bleiben wir selbst im Falle eines Rückzugs in der Sahelregion präsent, sowohl politisch als auch wirtschaftlich und in der Entwicklungszusammenarbeit“, betont Schmid. „Wir dürfen uns nicht von der Region abwenden.“
Nicht nur die Bundesregierung, auch die größte Oppositionsfraktion CDU/CSU ist in der Frage gespalten. Die Ziele des Einsatzes in Mali seien unter den gegebenen Bedingungen seiner Einschätzung nach realistisch nicht mehr erreichbar, sagte der Unions-Sicherheitsexperte Roderich Kiesewetter (CDU). „Deutschland ist zu erforderlichen robusteren Missionen dort weder bereit noch in der Lage, deshalb sollten wir abziehen.“
Die Mali-Mission sei sehr wichtig gewesen, um die Macht der islamistischen Milizen und Gruppen zu beschränken. „Aber es gehört zu einer realistischen und vorausschauenden Sicherheitspolitik, dass das Ziel und die Aufgaben, die wir uns selbst setzen, auch erfüllbar bleiben und die Sicherheit für unsere Soldatinnen und Soldaten vertretbar sind“, betonte Kiesewetter.
Der Unions-Außenpolitiker Jürgen Hardt warnte dagegen vor einem „schweren Rückschlag“für Minusma. Er sprach von einer „kurzsichtigen Sicherheitspolitik“, die auch die Aussichten Deutschlands auf einen Sitz im UN-Sicherheitsrat schmälere.