Für Iraner geht es in Katar um mehr als Fußball
Prominente Ex-Profis boykottieren die WM – Aktivisten rufen Fans zur Solidarität mit Demonstranten auf
- Iran fiebert dem ersten Spiel seiner Fußball-Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Katar entgegen. Bei der Begegnung am Montag gegen England geht es aber weniger um die Frage, ob sich das „Team Melli“, wie die iranische Mannschaft genannt wird, die Chance auf das Weiterkommen über die Gruppenphase hinaus bewahren kann. Diskutiert wird vor allem, ob und wie sich die Spieler zur Protestwelle in ihrem Land äußern werden.
Prominente Ex-Fußballer setzten bereits vor Turnierbeginn ein Zeichen und sagten ihre Besuche in Katar aus Solidarität mit den Demonstranten ab. Bei Protesten in Teheran in den vergangenen Tagen wurden nach Oppositionsangaben Werbeposter für die WM angezündet.
Der innenpolitische Konflikt in Iran dürfte über den Persischen Golf nach Katar überschwappen. Die Regierung in Teheran befürchtet, dass es in Katar öffentliche Unterstützung von Spielern oder Fans für die iranischen Demonstranten geben wird. Präsident Ebrahim Raisi befahl dem Außenministerium, es solle zusammen mit den Behörden in Katar „Probleme“während des Turniers verhindern.
Auf genau diese „Probleme“hoffen regierungskritische Aktivisten. Sie appellieren an die Zuschauer in Katar, sie sollten bei jeder WM-Begegnung in der 22. Spielminute den Namen von Mahsa Amini rufen, der jungen Frau, deren Tod in der Gewalt der iranischen Religionspolizei im September die Proteste auslöste. Amini war 22 Jahre alt, als sie starb.
Die Sprechhöre könnten Amini „unsterblich“machen, schrieb die prominente Regimekritikerin Masi Alinejad auf Twitter. Die Opposition erwartet außerdem, dass zumindest einige Fans Fotos von Amini in den Stadien hochhalten und die Parole der Protestbewegung, „Frauen – Leben – Freiheit“skandieren werden.
Die iranische Führung will der Opposition nicht die Initiative überlassen. Der Exil-Oppositionssender Iran International berichtete, Katar habe seinen WM-Reportern offenbar auf iranischen Druck hin die Visa entzogen. Raisi empfing zudem das „Team Melli“vor der Abreise der Spieler nach Katar und wünschte der Mannschaft viel Erfolg. Die Spieler sollten ihr Bestes geben, um Iran Ehre zu machen, sagte Raisi nach Regierungsangaben. Das Regime dürfte die Gruppen-Begegnung Iran gegen die USA am 29. November als symbolischen Kampf gegen den „Großen
Satan“präsentieren. Ob Raisi oder Minister seiner Regierung zu den Spielen der Mannschaft nach Katar reisen werden, ist nicht bekannt.
Vielen in der Mannschaft wäre das wohl nicht recht. Fast alle Spieler blieben beim letzten Vorbereitungsspiel gegen Nicaragua vorige Woche demonstrativ stumm, als die Nationalhymne erklang.
Bei einem vorherigen Spiel fiel auf, dass die Spieler während der Nationalhymne schwarze Trainingsjacken trugen, die ihre Nationaltrikots verdeckten – das wurde als Zeichen der Trauer um die Opfer des Aufstandes gegen die Islamische Republik gewertet. Der frühere Nationalspieler Hossein Mahini wurde vorübergehend festgenommen, weil er die Demonstranten unterstützte.
Während der WM-Vorbereitung gab es laut Pressemeldungen in der Mannschaft Spannungen über die Haltung zur Protestbewegung. Iranische Fans vermuten, dass die Spieler von der Regierung gedrängt werden, zu politischen Fragen zu schweigen.
Prominente Ex-Kollegen haben sich anders entschieden. Ali Daei, der unter anderem bei Bayern München und Hertha BSC Berlin spielte und Kapitän der iranischen Nationalmannschaft war, erklärte auf
Twitter, er wolle nicht nach Katar reisen, sondern in Iran bleiben und an die Todesopfer und ihre Familie denken.
Inmitten der politischen Auseinandersetzungen versucht Nationaltrainer Carlos Queiroz, den Ball nicht aus den Augen zu verlieren. Jeder habe das Recht, seine Meinung zum Ausdruck zu bringen, sagte der portugiesische Trainer über mögliche Protestaktionen seiner Spieler. „Manche sind dafür, andere nicht. Genau so ist es in Iran.“Seine Spieler seien vollkommen auf das sportliche Ziel bei der WM konzentriert.