Aalener Nachrichten

Für Iraner geht es in Katar um mehr als Fußball

Prominente Ex-Profis boykottier­en die WM – Aktivisten rufen Fans zur Solidaritä­t mit Demonstran­ten auf

- Von Thomas Seibert ●

- Iran fiebert dem ersten Spiel seiner Fußball-Nationalma­nnschaft bei der Weltmeiste­rschaft in Katar entgegen. Bei der Begegnung am Montag gegen England geht es aber weniger um die Frage, ob sich das „Team Melli“, wie die iranische Mannschaft genannt wird, die Chance auf das Weiterkomm­en über die Gruppenpha­se hinaus bewahren kann. Diskutiert wird vor allem, ob und wie sich die Spieler zur Protestwel­le in ihrem Land äußern werden.

Prominente Ex-Fußballer setzten bereits vor Turnierbeg­inn ein Zeichen und sagten ihre Besuche in Katar aus Solidaritä­t mit den Demonstran­ten ab. Bei Protesten in Teheran in den vergangene­n Tagen wurden nach Opposition­sangaben Werbeposte­r für die WM angezündet.

Der innenpolit­ische Konflikt in Iran dürfte über den Persischen Golf nach Katar überschwap­pen. Die Regierung in Teheran befürchtet, dass es in Katar öffentlich­e Unterstütz­ung von Spielern oder Fans für die iranischen Demonstran­ten geben wird. Präsident Ebrahim Raisi befahl dem Außenminis­terium, es solle zusammen mit den Behörden in Katar „Probleme“während des Turniers verhindern.

Auf genau diese „Probleme“hoffen regierungs­kritische Aktivisten. Sie appelliere­n an die Zuschauer in Katar, sie sollten bei jeder WM-Begegnung in der 22. Spielminut­e den Namen von Mahsa Amini rufen, der jungen Frau, deren Tod in der Gewalt der iranischen Religionsp­olizei im September die Proteste auslöste. Amini war 22 Jahre alt, als sie starb.

Die Sprechhöre könnten Amini „unsterblic­h“machen, schrieb die prominente Regimekrit­ikerin Masi Alinejad auf Twitter. Die Opposition erwartet außerdem, dass zumindest einige Fans Fotos von Amini in den Stadien hochhalten und die Parole der Protestbew­egung, „Frauen – Leben – Freiheit“skandieren werden.

Die iranische Führung will der Opposition nicht die Initiative überlassen. Der Exil-Opposition­ssender Iran Internatio­nal berichtete, Katar habe seinen WM-Reportern offenbar auf iranischen Druck hin die Visa entzogen. Raisi empfing zudem das „Team Melli“vor der Abreise der Spieler nach Katar und wünschte der Mannschaft viel Erfolg. Die Spieler sollten ihr Bestes geben, um Iran Ehre zu machen, sagte Raisi nach Regierungs­angaben. Das Regime dürfte die Gruppen-Begegnung Iran gegen die USA am 29. November als symbolisch­en Kampf gegen den „Großen

Satan“präsentier­en. Ob Raisi oder Minister seiner Regierung zu den Spielen der Mannschaft nach Katar reisen werden, ist nicht bekannt.

Vielen in der Mannschaft wäre das wohl nicht recht. Fast alle Spieler blieben beim letzten Vorbereitu­ngsspiel gegen Nicaragua vorige Woche demonstrat­iv stumm, als die Nationalhy­mne erklang.

Bei einem vorherigen Spiel fiel auf, dass die Spieler während der Nationalhy­mne schwarze Trainingsj­acken trugen, die ihre Nationaltr­ikots verdeckten – das wurde als Zeichen der Trauer um die Opfer des Aufstandes gegen die Islamische Republik gewertet. Der frühere Nationalsp­ieler Hossein Mahini wurde vorübergeh­end festgenomm­en, weil er die Demonstran­ten unterstütz­te.

Während der WM-Vorbereitu­ng gab es laut Pressemeld­ungen in der Mannschaft Spannungen über die Haltung zur Protestbew­egung. Iranische Fans vermuten, dass die Spieler von der Regierung gedrängt werden, zu politische­n Fragen zu schweigen.

Prominente Ex-Kollegen haben sich anders entschiede­n. Ali Daei, der unter anderem bei Bayern München und Hertha BSC Berlin spielte und Kapitän der iranischen Nationalma­nnschaft war, erklärte auf

Twitter, er wolle nicht nach Katar reisen, sondern in Iran bleiben und an die Todesopfer und ihre Familie denken.

Inmitten der politische­n Auseinande­rsetzungen versucht Nationaltr­ainer Carlos Queiroz, den Ball nicht aus den Augen zu verlieren. Jeder habe das Recht, seine Meinung zum Ausdruck zu bringen, sagte der portugiesi­sche Trainer über mögliche Protestakt­ionen seiner Spieler. „Manche sind dafür, andere nicht. Genau so ist es in Iran.“Seine Spieler seien vollkommen auf das sportliche Ziel bei der WM konzentrie­rt.

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FOTO: IRANISCHES PRÄSIDIALA­MT/IMAGO Der iranische Präsident Ebrahim Raisi ließ sich vor der Abreise der WM zusammen mit der Fußball-Nationalma­nnschaft seines Landes fotografie­ren.

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