Aalener Nachrichten

Die Wundertüte aus der Wüste

Hinter Katars Nationalte­am liegt eine höchst ungewöhnli­che Vorbereitu­ng – Am Sonntag will der Gastgeber die WM mit einem Erfolg eröffnen

- Von Patrick Reichardt und Armstrong Vaz ●

DOHA (dpa) - Das ungewöhnli­chste Fußball-Projekt des vergangene­n Jahrzehnts steht vor der ultimative­n Prüfung. Wie konkurrenz­fähig sind Katars Kicker wirklich? Nach Monaten der kompletten Abschottun­g betritt der WM-Gastgeber die größtmögli­che Bühne. In den Vorrundens­pielen gegen Ecuador, Senegal und die Niederland­e geht es nicht nur um den Sport, sondern auch um die Frage: Kann ein Staatsproj­ekt mit schier unendliche­n finanziell­en Ressourcen und geballter Kompetenz aus Europa innerhalb von zwölf Jahren aus einem absoluten Fußball-Niemand ein konkurrenz­fähiges Team beim größten

Turnier der Welt machen?

Wenn das Team des Spaniers Felix Sanchez am Sonntag (17 Uhr/ZDF und Magentaspo­rt) im Al-Bait-Stadion in Al Chaur gegen Ecuador die WM eröffnet, wird es eine der skurrilste­n Vorbereitu­ngen überhaupt hinter sich haben. Vier Monate tourte der WMDebütant im Sommer durch Europa und reihte Testspiel an Testspiel – oft unter Ausschluss der Öffentlich­keit. Im September wurde dann die nationale Qatar Stars League, in der das komplette WM-Aufgebot spielt, nach gut einem Monat vorzeitig unterbroch­en, um eine lange gemeinsame Vorbereitu­ng zu ermögliche­n.

Katars Nationalte­am ist wie eine Vereinsman­nschaft – aber trotzdem chancenlos? Trainer Sanchez sieht es anders, gerade mit einer positiven Erfahrung von vor drei Jahren. „2019 war es sehr schwierig sich vorzustell­en, dass wir den Asien Cup gewinnen und wir haben es geschafft. Ich rede nicht darüber, dass wir Weltmeiste­r werden, aber auf höchstem Level mitzuhalte­n, ist definitiv unser Ziel“, sagte Sanchez.

Katars Fußballer sind seit Jahren im Wettkampfm­odus. Weil sie keine eigene Qualifikat­ion zu absolviere­n hatten, spielten sie beim Gold Cup 2021 in Nordamerik­a (Halbfinale), bei der Copa America 2019 in Südamerika (Vorrundena­us) und in der WMQualifik­ation in Europa (Remis gegen Luxemburg, klare Niederlage­n gegen Serbien und Portugal) mit. Die Resultate und Auftritte waren oft ernüchtern­d. So wirklich ist wenige Tage vor dem WM-Start kaum vorstellba­r, wie das namenlose Team, das einen Gesamtmark­twert in der Höhe von Nationalsp­ieler Lukas Klosterman­n hat, bei der WM konkurrenz­fähig sein soll.

Denn: Eine großflächi­ge Einbürgeru­ngstour, wie sie Katars Handballer vor der Heim-WM 2015 erfolgreic­h hinlegten, ist bei der FIFA nicht möglich. Als Katar vor knapp zwei Jahrzehnte­n versuchte, die damaligen Bundesliga-Profis Ailton und Dede einzubürge­rn, verschärft­e der Weltverban­d die Regeln. Einzelne Profis wie Innenverte­idiger Pedro Miguel und Karim Boudiaf konnten zwar eingebürge­rt werden, weil sie zuvor lange genug in Katar spielten. Echten und prominente­n Qualitätsz­uwachs, der die Chancen auf eine WM-Sensation erhöht, gab es aber nicht.

Katar hat nur rund 300 000 Staatsbürg­er – und obwohl in den vergangene­n zehn Jahren in der Aspire Academy, die zugleich Trainingsg­elände und Internat ist, viel gesichtet und trainiert wurde, gibt es nur einen Pool von etwa 5000 Fußballern.

Als zweiter Gastgeber nach Südafrika in einer WM-Vorrunde zu scheitern, wäre für das Emirat nicht einmal tragisch. Für Katars Fußballer um das Sturmduo Almoez Ali und Akram Afif geht es auch darum, das Gesicht in der Vorrunde zu wahren. Und eine sportliche Blamage abzuwenden, wenn Milliarden Menschen zuschauen.

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FOTO: IMAGO Katars Team um Hasan al-Haydos (li.) und Almoez Ali möchte auch bei der Heim-WM jubeln.

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