Die Wundertüte aus der Wüste
Hinter Katars Nationalteam liegt eine höchst ungewöhnliche Vorbereitung – Am Sonntag will der Gastgeber die WM mit einem Erfolg eröffnen
DOHA (dpa) - Das ungewöhnlichste Fußball-Projekt des vergangenen Jahrzehnts steht vor der ultimativen Prüfung. Wie konkurrenzfähig sind Katars Kicker wirklich? Nach Monaten der kompletten Abschottung betritt der WM-Gastgeber die größtmögliche Bühne. In den Vorrundenspielen gegen Ecuador, Senegal und die Niederlande geht es nicht nur um den Sport, sondern auch um die Frage: Kann ein Staatsprojekt mit schier unendlichen finanziellen Ressourcen und geballter Kompetenz aus Europa innerhalb von zwölf Jahren aus einem absoluten Fußball-Niemand ein konkurrenzfähiges Team beim größten
Turnier der Welt machen?
Wenn das Team des Spaniers Felix Sanchez am Sonntag (17 Uhr/ZDF und Magentasport) im Al-Bait-Stadion in Al Chaur gegen Ecuador die WM eröffnet, wird es eine der skurrilsten Vorbereitungen überhaupt hinter sich haben. Vier Monate tourte der WMDebütant im Sommer durch Europa und reihte Testspiel an Testspiel – oft unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Im September wurde dann die nationale Qatar Stars League, in der das komplette WM-Aufgebot spielt, nach gut einem Monat vorzeitig unterbrochen, um eine lange gemeinsame Vorbereitung zu ermöglichen.
Katars Nationalteam ist wie eine Vereinsmannschaft – aber trotzdem chancenlos? Trainer Sanchez sieht es anders, gerade mit einer positiven Erfahrung von vor drei Jahren. „2019 war es sehr schwierig sich vorzustellen, dass wir den Asien Cup gewinnen und wir haben es geschafft. Ich rede nicht darüber, dass wir Weltmeister werden, aber auf höchstem Level mitzuhalten, ist definitiv unser Ziel“, sagte Sanchez.
Katars Fußballer sind seit Jahren im Wettkampfmodus. Weil sie keine eigene Qualifikation zu absolvieren hatten, spielten sie beim Gold Cup 2021 in Nordamerika (Halbfinale), bei der Copa America 2019 in Südamerika (Vorrundenaus) und in der WMQualifikation in Europa (Remis gegen Luxemburg, klare Niederlagen gegen Serbien und Portugal) mit. Die Resultate und Auftritte waren oft ernüchternd. So wirklich ist wenige Tage vor dem WM-Start kaum vorstellbar, wie das namenlose Team, das einen Gesamtmarktwert in der Höhe von Nationalspieler Lukas Klostermann hat, bei der WM konkurrenzfähig sein soll.
Denn: Eine großflächige Einbürgerungstour, wie sie Katars Handballer vor der Heim-WM 2015 erfolgreich hinlegten, ist bei der FIFA nicht möglich. Als Katar vor knapp zwei Jahrzehnten versuchte, die damaligen Bundesliga-Profis Ailton und Dede einzubürgern, verschärfte der Weltverband die Regeln. Einzelne Profis wie Innenverteidiger Pedro Miguel und Karim Boudiaf konnten zwar eingebürgert werden, weil sie zuvor lange genug in Katar spielten. Echten und prominenten Qualitätszuwachs, der die Chancen auf eine WM-Sensation erhöht, gab es aber nicht.
Katar hat nur rund 300 000 Staatsbürger – und obwohl in den vergangenen zehn Jahren in der Aspire Academy, die zugleich Trainingsgelände und Internat ist, viel gesichtet und trainiert wurde, gibt es nur einen Pool von etwa 5000 Fußballern.
Als zweiter Gastgeber nach Südafrika in einer WM-Vorrunde zu scheitern, wäre für das Emirat nicht einmal tragisch. Für Katars Fußballer um das Sturmduo Almoez Ali und Akram Afif geht es auch darum, das Gesicht in der Vorrunde zu wahren. Und eine sportliche Blamage abzuwenden, wenn Milliarden Menschen zuschauen.