Wichtig(er) ist neben dem Platz
DFB-Präsident Neuendorf geht auf Konfrontation mit der Fifa – Vom Team erwartet er einiges
- Und nun zum Sport. Sonst meist die Überleitung zum Fußball, zur schönsten Nebensache der Welt, verhielt es sich bei der ersten Pressekonferenz des DFB im Medienzentrum des Quartiers der Nationalelf in Al Ruwais gänzlich anders. Der WM-Auftakt der Nationalelf gegen Japan am Mittwoch kam nur kurz zur Sprache, als DFB-Präsident Bernd Neuendorf am Freitag um 14 Uhr rund 125 Kilometer nördlich der Hauptstadt Doha das Podium betrat.
„Ich bin fest davon überzeugt, dass wir einen positiven Auftakt erleben und das Spiel sicherlich gewinnen“, sagte Neuendorf. Der 61-Jährige, seit acht Monaten an der Spitze des Deutschen Fußball-Bunds, macht bei seinem ersten Turnier in der Rolle als Delegationsleiter Nationalelf („Zuvor habe ich viele WM-Spiele als Fan geschaut“) auf Optimismus, weil er die Mannschaft von Bundestrainer Hansi Flick als „echte Einheit“wahrnehme und „der Spirit der Mannschaft gut“sei. Man spüre, „dass nach dem Spiel im Oman die Spannung im Kessel allmählich steigt. Es ist eine positive Anspannung, gepaart mit einer gesunden und guten Lockerheit.“Mehr Fußball war nicht.
Bei diesem umstrittenen Turnier in Katar heißt es: Wichtig(er) ist neben dem Platz. Und damit zur Politik und den vielen Brennpunkten, die Thema aller Gedanken und Gespräche Neuendorfs und der insgesamt nur fünfköpfigen DFB-Delegation vor Ort sein werden. Zwei Tage vor dem Turnierstart holte der Verbandspräsident aus zu einer mutigen wie ebenso trotzigen Attacke gegen den Weltverband Fifa und den umstrittenen, weil übermächtigen Präsidenten Gianni Infantino. Im Einzelnen ging es dabei um folgende Themen:
Die „One Love“-Armbinde, die Kapitän Manuel Neuer tragen wird: Mögliche Sanktionen von Seiten der Fifa schrecken Neuendorf nicht ab: „Ich bin durchaus bereit, eine Geldstrafe in Kauf zu nehmen. Das ist keine politische Äußerung, sondern ein Statement für die Menschenrechte.“Damit befindet sich Neuendorf auf Linie mit den Engländern. Neben Neuer und Harry Kane wollen auch weitere Spielführer (Niederlande, Belgien, Schweiz, Wales, Dänemark) die Binde tragen. Ausgeschert per Rückzieher: Frankreichs Hugo Lloris. Einige Kritiker nörgeln, dass die Regenbogenbinde anstelle des Kompromisses mit dem Herz in bunten Farben ein noch deutlicheres Zeichen gegenüber der Situation der Menschen- und Arbeiterrechte in Katar gewesen wäre.
Die Opposition gegen Infantino: Der deutsche Verband verweigert dem Schweizer, seit 2016 an der Macht, demonstrativ die Gefolgschaft und unterstützt den 52-Jährigen auf dem Weg zu seiner Wiederwahl im März 2023 nicht – obwohl an einer dritten Amtszeit Infantinos kein Weg vorbeiführt. Es gibt schlicht keinen Gegenkandidaten, außerdem haben die Kontinentalverbände aus Südamerika, Asien, Afrika und Ozeanien bereits ihre Unterstützung signalisiert. „Ein Kontinentalverband hat Infantino nicht nominiert – die Uefa. Ich fühle mich nicht isoliert“, sagte Neuendorf. Dass kein Infantino-Herausforderer aufgestellt wurde, verteidigte er: „Derjenige wäre in ein chancenloses Rennen gegangen. Das will man niemandem antun.“
Die gute Tat der Spieler: Als Zeichen der Solidarität mit den Wanderarbeitern im WM-Gastgeberland unterstützt die Nationalmannschaft ein
SOS-Kinderdorf in Nepal mit einer Million Euro. „Das Geld kommt direkt von den Spielern. Es war der Mannschaft ein besonderes Anliegen“, erklärte Neuendorf. „Wir wollen die Menschen unterstützen, wo sie herkommen, um den Migrationsdruck zu nehmen. Die Kinder sollen Bildung erfahren.“
Neuendorf nimmt keine Rücksicht auf Befindlichkeiten bestimmter Personen. „Es gibt einige Dinge, die mich in letzter Zeit bei der Fifa irritiert und verstört haben“, sagte der DFB-Boss und nannte das Verbot für die dänischen Trikots mit dem Slogan „Menschenrechte für alle“und den Brief Infantinos an die WM-Starter, mit dem er die Kritik am Gastgeber Katar abwürgen wollte. Entschädigungsfonds für Gastarbeiter? Vonseiten der Fifa kommt nichts. Eine Positionierung zu den Protesten in Iran? Die Fifa schweigt.
„Es geht um die allgemein gültigen Menschenrechte. Dahinter sollten wir uns alle versammeln können – gerade auch die Fifa“, betonte Neuendorf. Nach nur acht Monaten im Amt hat Neuendorf die Scheu vor den Mächtigen im Weltverband abgelegt und positioniert sich als Chef des größten Einzelsportverbands der Welt angemessen couragiert.
1:0 für Neuendorf. Ob die Fifa kontert und dagegenhält?
„Es gibt einige Dinge, die mich in letzter Zeit bei der Fifa irritiert und verstört haben.“DFB-Präsident Bernd Neuendorf