Aalener Nachrichten

Der Tierflüste­rer

Alexander Dreher aus Truilz bei Bad Wurzach trainiert Gänse, Enten und Co. für ihre Fernsehauf­tritte

- Von Hildegard Nagler ●

Ihre Stimmen sind so einzigarti­g wie ihr Dirigent, der regelmäßig das Beste aus ihnen herausholt. Ruft Alexander Dreher „Gänse“, schnattern seine sieben Fränkische­n Landgänse los, dass es eine wahre Freude ist. Das Federvieh stiebt auf sein Herrchen zu, einen schlanken, großgewach­senen jungen Mann. Das Stichwort „Quakquak“nehmen seine 14 Zwergenten wörtlich: Im Entenmarsc­h kommen sie herangewat­schelt und quaken, was das Zeug hält. Auch seine vier Schafe warten auf ihren Einsatz: Sie blöken lautstark, wenn der 21-Jährige „Meckmeck“ruft, und rennen auf ihn zu – wie die junge Border-Collie-Hündin Apple, die freudig bellend antwortet, sobald sie ihren Namen von Dreher hört. Es ist ein tierisches Schauspiel in Truilz, einem kleinen Ort bei Bad Wurzach, das seinesglei­chen sucht: Ein besonders talentiert­er und engagierte­r Trainer macht dort seine Tiere für Vorführung­en und Filmproduk­tionen fit. Die Begeisteru­ng, mit der der junge Mann und seine tierischen Freunde dabei am Werk sind, ist unglaublic­h.

Schon mal einen Gänserich erlebt, der Reißversch­lüsse aufmachen kann? Und das gleich mehrmals hintereina­nder? Gänserich Nils kann’s. Oder einen, der sich auf Kommando dreht? Mal links rum, dann rechts rum? Gänserich Lasse kann’s. Oder ein Schaf, das rückwärts auf einer imaginären Linie gehen kann? Timmy kann’s. Oder einen Hund, der sich links neben sein Herrchen setzt, wenn dieser nur ganz leicht den Kopf nach links neigt? Oder der auf Kommando hinkt oder sich gar totstellt? Border-Collie Apple kann’s. Und wenn wir schon mal bei Gänsen sind:

Schon mal eine Gans erlebt, die ins Hundekörbc­hen steigt? Lasse kann’s.

Nur Tiere halten wäre Dreher zu eintönig. Bei Vorführung­en zeigt er ihr Können – wie jüngst, als er beim Augenarzt warten musste und seine Hündin Apple ihm und den anderen Patienten mit ihren Kunststück­en die Zeit vertrieb. Oder in Fernsehpro­duktionen, beispielsw­eise in der Sendung

„Tiere bis unters Dach“: Gänserich Lasse spielt darin Gänserich Gunther, der traurig ist und nichts mehr fressen will, weil er erst vor Kurzem seine Gans verloren hat. Den Gang zum Tierarzt, eingewicke­lt in ein Tuch, macht Lasse alias Gunther seelenruhi­g mit. Die gründliche Untersuchu­ng selbst lässt der streichelw­eiche Gänserich problemlos über sich ergehen. Und er geht – natürlich auf das im Film unsichtbar­e Kommando seines Herrchens – wild mit den Flügeln schlagend auf einen bösen Mann los, der die Autoreifen der Bürgermeis­terin zerstechen will. Von Vorteil dabei ist: Fremde können die Gänse von Alexander Dreher nicht unterschei­den, sodass Lasse mit seinen drei Söhnen Ikarus, Martin und Nils gleich mehrere Doubles hat. Nicht allerdings fürs Zwicken auf Kommando: Das mag Lasse nicht. Diesen Part übernimmt dafür Nils

gerne. Weitere Beispiele für das tierische Können: In der Sendung „Pia und die Haustiere“berührt Lasse auf Kommando einen Targetstic­k. Oder marschiert völlig entspannt in eine Transportb­ox. Oder, oder, oder. Sieht kinderleic­ht aus, ist es aber nicht. Hinter den Tricks stecken jede Menge Arbeit und Geduld – vor allem bei Enten, Gänsen und Schafen, die gemeinhin nicht dressiert werden.

Wie bringt man Tiere so weit, dass sie nicht nur Tricks x-mal hintereina­nder vorführen, sondern sogar erwartungs­voll dreinschau­en und sofort mit dem Fressen aufhören, sobald das Training beginnt? Dass sie bei jeder Aufführung die Menschen begeistern, gleichgült­ig, ob beispielsw­eise im Kindergart­en, in der Schule oder im Altenheim? Der sympathisc­he junge Mann lacht. „Man braucht Verständni­s für die Tiere, viel Geduld, ein Gespür dafür, welches Tier Tricks lernen will. Und natürlich zur Belohnung Leckerlis.“

Die Liebe zu und die Begeisteru­ng für Tiere ist ihm offenbar in die Wiege gelegt worden. 2006 bekommt Alexander Dreher seine ersten Kaninchen. Denen bringt er mit viel Geduld kleine Tricks bei. Natürlich kennt der Junge die Geschichte von Nils Holgersson, die ihn fasziniert. Auch Dreher baut schnell enge Beziehunge­n zu seinen Tieren auf. Pflegt und hegt sie, widmet ihnen viel Zeit. Sein Engagement wird belohnt: Die Tiere schmiegen sich an ihn, vertrauen ihm blind. Als die Gössel, also die Babygänse von Lasse und seinen beiden Gänsen Trudi und Babsi schlüpfen, darf Alexander Dreher dabei sein. Auf sich prägen wie einst der berühmte Tierforsch­er Konrad Lorenz will er seine Gänse allerdings nicht – vielmehr überlässt er die Aufzucht den richtigen Eltern. „Von ihnen lernen sie einen gesunden Respekt vor Menschen“, weiß der junge Mann. Bei Josy, einem Kamerunsch­af, ging das allerdings nicht: Seine Mutter hatte zwei Lämmer zur Welt gebracht, die kleine Josy nahm sie nicht an. Mit der Folge, dass Dreher Ersatzmama und -papa wurde.

Ist ein Tier für das Erlernen von Tricks reif, spürt und sieht das der junge Mann, der gerade an der Pädagogisc­hen Hochschule in Weingarten studiert und später als Grundschul­lehrer arbeiten will – sehr gerne

Tiere in den Unterricht einbauen würde.

Beim Training geht Dreher ganz sacht vor, setzt bei seinen Tricks auch einen Klicker ein. Macht ein Tier das Gewünschte, drückt der junge Mann den Clicker. Das Tier hört, dass es etwas richtig gemacht hat und bekommt sofort ein Leckerli – davon hat Dreher immer genügend in seiner Tasche. Timmy beispielsw­eise, als Schaf eigentlich ein Herdentier, hat als Erstes gelernt, mit den Vorderhufe­n auf einen kleinen orangen Kreis, eine sogenannte Marke, zu stehen und dort so lange zu bleiben, bis sie das Kommando fürs

Weggehen bekommt. Nach einigem Üben wird die Marke durch einen kleinen Kieselstei­n ausgetausc­ht, der später bei Dreharbeit­en nicht auffallen wird. Als das Schaf das Kommando bekommt, auf die Marke zu gehen, macht es das sofort und blickt voller Stolz und erwartungs­voll in die Runde – ganz so wie ein kommender Filmstar eben, den es auch nicht stört, dass die Entenschar laut quakend ungeplant an ihm vorbeiläuf­t. Wichtig sei es, beim Erlernen von Tricks sehr penibel zu arbeiten, verrät der Tiertraine­r. „Sonst schleifen sich schnell Ungenauigk­eiten ein, die man dann nur sehr schwer wieder weg bekommt.“Wichtig sei zudem: Aufs Wohl der Tiere achten und sie nicht überforder­n. „Sonst haben sie keinen Spaß mehr. Ein Tier zwingen – das geht gar nicht.“Entscheide­nd sei auch eine artgerecht­e Haltung, um mit ausgeglich­enen und gleichzeit­ig neugierige­n Tieren arbeiten zu können. So hat bei Dreher eine Gans 500 Quadratmet­er Wiese auf dem großzügige­n elterliche­n Grundstück. Geht er mit seiner Gänseschar für Dreharbeit­en auf Reise, packt der Tierfreund neben Futter, Leckerlis und Stroh auch einen Swimmingpo­ol ein, damit sich seine gefiederte­n Freunde im Wasser entspannen können.

Mehrere Monate, manchmal aber auch nur drei Wochen hat der Tiertraine­r, um mit seinen Schützling­en Tricks für Fernsehpro­duktionen einzuüben. „Hin und wieder muss ich aber auch sagen, dass diese oder jene Szene so nicht geht. Die Regisseure kennen ja meine Tiere nicht“, sagt er. Überhaupt müsse bei jedem Dreh mit Tieren ein Tiertraine­r dabei sein, der wie Dreher vor dem Veterinära­mt eine mündliche und eine praktische Prüfung abgelegt hat. Ohnehin tut der junge Mann, der für die Wildtierhi­lfe ehrenamtli­ch tätig ist und allein in diesem Jahr 39 Rehkitze vorübergeh­end aufgenomme­n hat, alles für seine Tiere: Rund um die Uhr für sie da zu sein, ist für ihn selbstvers­tändlich. Und auch, dass er arbeiten geht, damit er das Futter für sie bezahlen kann. Denn mit den Drehs ist kein großes Geld zu verdienen. „Das mache ich, weil es mir und meinen Tieren Spaß macht.“

Klar ist: Die Tiere des jungen Mannes können viel mehr als bisher alle Drehbücher abverlangt haben. So gibt es bisher keines, in dem der Dirigent mit seinem Chor auftreten könnte. Vielleicht schreibt er ja selbst mal Drehbücher für seine Tiere, die er liebt. Und sie ihn.

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Man braucht ein Gespür dafür, welches Tier Tricks lernen will. Alexander Dreher, Student und Tiertraine­r

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FOTOS: HILDEGARD NAGLER Ruft Alexander Dreher „Meckmeck“, kommen die Schafe zu ihm. Fürs Training mit Pauli setzt er dann einen einen sogenannte­n Clicker (in der Hand) und eine Marke (am Boden) ein.
 ?? ?? Keine Martinsgän­se: Alexander Dreher liebt seine Tiere heiß und innig und geht auch mit ihnen spazieren.
Keine Martinsgän­se: Alexander Dreher liebt seine Tiere heiß und innig und geht auch mit ihnen spazieren.

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