Wale bekommen Auftrieb
Beinahe wären die Buckelwale ausgerottet worden – Die Bestände haben sich erholt, aber die Meeresriesen haben mit verschiedenen Problemen zu kämpfen
Fast senkrecht ragt die knapp fünf Meter lange Brustflosse eines Buckelwals aus dem Wasser der Discovery Passage zwischen der kanadischen Pazifikinsel Vancouver Island und dem nordamerikanischen Festland. Da sich diese Meeresriesen oft nachts mit kleinen Krebstieren den Bauch vollschlagen, relaxen sie tagsüber gerne an der Wasseroberfläche und zeigen Whalewatching-Touristen dann ihre weißen, mit schwarzen Flecken gemusterten Flipper. Manchmal heben sie ihren mächtigen und oft stark von Seepocken übersäten Kopf aus dem Wasser, schnellen ihren 13 oder 14 Meter langen Körper ab und zu sogar ganz aus dem Meer. Solche spektakulären Shows zeigen die Buckelwale in der Discovery Passage allerdings erst seit 2010 wieder, weil die Art weltweit schon viele Jahrzehnte vorher fast ausgerottet war. Inzwischen aber erholen sich die Buckelwale nicht nur vor der kanadischen Pazifikküste wieder: Auch östlich von Australien, an der brasilianischen Küste und in anderen Weltregionen lassen die großen Meeressäuger sich in den letzten Jahren viel häufiger als früher sehen.
„Möglich wurde diese Erholung durch das seit 1966 geltende Verbot des Fangs für Buckelwale“, erklärt der wissenschaftliche Leiter der Berliner Wal-Schutzorganisation M.E.E.R. e. V. Fabian Ritter, der seit vielen Jahren Mitglied im Wissenschaftsausschuss der Internationalen Walfangkommission IWC ist, die dieses bis heute geltende Jagd-Moratorium beschlossen hat. Buckelwale waren schon früh ins Visier der Jäger geraten, weil sie leicht zu erlegen waren. Die bis zu 19 Meter langen und 45 Tonnen schweren Tiere halten sich meist sehr zuverlässig an eine bestimmte Wanderroute.
Die Weibchen bringen ihre Jungen im Winter in den Tropen in flachen Küstengewässern wie vor den Kapverdischen Inseln, vor Hawaii, in der Karibik oder bei Australien zur Welt. „Auf der Nordhalbkugel ziehen sie dann im Frühjahr mit den Männchen und dem Nachwuchs in die Gewässer in der Nähe der Pole“, erklärt Michael Dähne, der als Walforscher am Deutschen Meeresmuseum in Stralsund arbeitet. Bei Vancouver Island, vor den Lofoten und der Küste im Norden Norwegens, vor Grönland oder in den Gewässern der Antarktis finden sie große Schwärme kleiner Fische und Krebse, die sie mit
einem raffinierten „Sieb“aus dem Wasser holen: Die Buckelwale schwimmen mit offenem Maul durch einen Schwarm, und wenn sie das Wasser mit der Zunge wieder herauspressen, bleibt die Beute in fein gefiederten Hornplatten hängen, die anstelle von Zähnen aus dem Oberkiefer wachsen.
Aus diesen „Barten“wurden früher die Stangen für Regenschirme oder Korsetts für die modebewusste Frau voriger Jahrhunderte gefertigt. Noch wichtiger war die mächtige Fettschicht, mit der sich Meeressäuger
vor der Kälte der polaren Gewässer schützen. Daraus wurde Waltran gewonnen, der als Öl für Lampen, als Kerzenwachs und als Schmiermittel heiß begehrt war. „Der Erste Weltkrieg wurde quasi mit dem Öl der Wale geschmiert“, sagt Fabian Ritter und weist damit auf die Verwendung in der Rüstungsindustrie hin.
„Von einigen Hunderttausend Buckelwale waren weltweit nur noch wenige Tausend übrig“, schildert Fabian Ritter die Situation in den 1960er-Jahren. Immerhin fanden die Weitwanderer in ihren Futtergründen
noch reichlich Nahrung. Trotzdem dauerte es rund ein halbes Jahrhundert, bis sie sich von ihrer Beinahe-Ausrottung erholten. „Ähnlich wie andere große Wal-Arten werden Buckelwale mit vielleicht fünf Jahren geschlechtsreif“, erklärt Fabian Ritter den Hintergrund dieser Verzögerung. „Und dann bekommen sie nur alle paar Jahre ein Junges“, sagt der Meeresbiologe weiter. Da nur noch wenige Tiere durch die Meere schwammen, dauerte es daher lange, bis die Zahl der Buckelwale deutlich zulegte.
Aber auch dann wuchsen viele Populationen nur langsam oder gar nicht. „Das liegt auch an der Sozialstruktur, junge Buckelwal-Männchen bleiben oft erst einmal in ihrer Gruppe und helfen bei der Verteidigung der Kälber gegen angreifende Orcas“, nennt Michael Dähne eine mögliche Ursache für diese Verzögerung: Weil zwischen den Populationen nur die älteren Männchen wandern, die aber bevorzugte Beute der Walfänger waren, erreichte lange kaum frisches Blut die verschiedenen Gruppen der Buckelwale.
Bis wieder genug ältere Männchen wandern, können anscheinend Jahrzehnte vergehen. Dann aber kann es ganz schnell gehen. „Einige Bestände wachsen inzwischen jedes Jahr um neun Prozent“, berichtet Michael Dähne vom Deutschen Meeresmuseum. Besonders gut vermehren sich die Buckelwale zurzeit vor Australien und Hawaii. In den Gewässern der Antarktis, aber auch vor Island und vor den Inseln der Färöer schlagen sich heute wieder viele Buckelwale die Bäuche voll. „Weltweit dürften inzwischen 130 000 bis 140 000 Buckelwale durch die Meere wandern“, sagt Michael Dähne.
Das Ende der Jagd war für die Buckelwale also eine Erfolgsgeschichte mit einem halben Jahrhundert Verzögerung. Und das auch nicht für alle Populationen. So sind die Buckelwale im Arabischen Meer zwischen Indien und der Arabischen Halbinsel mit wohl nur noch achtzig oder weniger Tieren unmittelbar vom Aussterben bedroht. Woran das liegt, ist unbekannt. Da es wie bei anderen bedrohten Wal-Arten auch eine ganze Reihe Risiken gibt, steht selbst bei den Buckelwalen die Erholung auf einer eher wackligen Basis.
So lösen sich im Meerwasser schwimmende Schadstoffe häufig gut in Fetten und reichern sich daher im Laufe eines langen Wal-Lebens in seiner Fettschicht immer mehr an. Diese Entwicklung gefährdet Arten wie den Pazifischen und Atlantischen Nordkaper, die obendrein auch noch relativ oft von Schiffen überfahren werden oder sich in den Netzen der Fisch-Trawler verheddern. Beide Arten sind daher vom Aussterben bedroht, jeweils gibt es nur noch wenige Hundert Tiere.
Obendrein wird es unter Wasser immer lauter, weil vielerorts Schiffsmotoren dröhnen, mit Schallkanonen nach Öl und Gas gesucht wird, mit gewaltigen Schlägen die Fundamente von Windkraftanlagen dreißig Meter tief in den Meeresgrund gerammt werden oder mit lautstarken Sonaranlagen in Manövern oder Kriegen fremde Militärschiffe aufgestöbert werden. Bei diesem Lärm können sich viele Wal-Arten schlechter verständigen. Das gilt besonders für die Buckelwale, die sich nicht nur mit ihren bekannten Gesängen unterhalten, sondern auch mit Schlägen ihrer superlangen Flipper oder der Schwanzflosse aufs Wasser Geräusche erzeugen, die Artgenossen eine Botschaft übermitteln. Da ein erheblicher Teil dieser Kommunikation bei der Fortpflanzung eine wichtige Rolle spielt, könnte der Krach unter Wasser die Buckelwale in neue Bredouillen bringen.
Auch Whalewatching kann gerade bei beliebten Arten wie den Buckelwalen zu Problemen führen: „Vor allem wenn viele Boote unterwegs sind, können die Meeressäuger nicht nur erheblich gestört werden, sondern atmen auch die Abgase ein“, erklärt Fabian Ritter. Dieser Stress aber schwächt das Immunsystem der Tiere. „Zusammen mit anderen Problemen kann eine solche zusätzliche Belastung das Pendel leicht wieder in die andere Richtung ausschlagen lassen und die Populationen könnten wieder schrumpfen“, sagt Ritter.
Damit aber käme eine Tiergruppe in Schwierigkeiten, die für das Ökosystem Meer immens wichtig ist. Wenn Buckelwale sich in kalten Gewässern den Bauch vollschlagen, sich aber in tropischen Meeren vermehren, tragen sie mit ihren Ausscheidungen Nährstoffe in die warmen Gefilde. „Ähnlich wie andere Arten bilden Buckelwale so eine Art Förderband“, erklärt Fabian Ritter. Diese wichtige Rolle behalten die riesigen Tiere auch nach dem Tod. Der Körper der Wale sinkt dann meist auf den Meeresgrund, wo sich Scharen von Totengräbern an die Arbeit machen, die Fett, Fleisch und Eingeweide verwerten, später auch die Knochen. „An diesen Walkadavern in der Tiefe wurden rund hundert Arten identifiziert, die nur dort vorkommen“, fasst Fabian Ritter neue Forschungsergebnisse zusammen. Da diese Totengräber den Meeresgrund kaum verlassen, bleibt der im Wal gespeicherte Kohlenstoff in der Tiefe und kann so den Klimawandel an der Oberfläche nicht mehr antreiben. „In 60 Lebensjahren lagert ein Buckelwal ähnlich viel Kohlenstoff wie 33 000 Bäume ein“, erklärt Ritter. Der Schutz der großen Wale ist also auch eine lohnende Investition in den Klimaschutz.