„Die Politik hat viel Vertrauen verspielt“
Katrin Schmelz hat in der Corona-Pandemie zur Akzeptanz von Maßnahmen geforscht. Für ihre Arbeit wurde sie mit dem Landespreis für mutige Wissenschaft geehrt. Doch neben Anerkennung gab es auch große Herausforderungen und Beschimpfungen von allen Seiten.
KONSTANZ - Allgemeine Impfpflicht ja oder nein? Kaum ein Thema wurde während der Pandemie politisch so heiß diskutiert wie das Gebot zur Immunisierung. Gemeinwohl und Gesundheit wurden ins Feld geführt gegen individuelle Freiheit und Bedenken zur Wirksamkeit und Sicherheit. Am Ende scheiterte die Pflicht im Bundestag. Doch der wochenlange Streit vorher hat Vertrauen verspielt, glaubt Katrin Schmelz. Die frisch mit dem Landespreis für mutige Wissenschaft geehrte Konstanzer Verhaltensökonomin forscht seit Pandemiebeginn zur Akzeptanz von Maßnahmen – und musste dafür auch so manches erdulden.
Frau Dr. Schmelz, wie haben die Menschen in Deutschland das Hin und Her zur Impfpflicht aufgenommen?
Die Politik hat viel Vertrauen verspielt. Lange wurde ja seitens verschiedener Politikerinnen und Politiker immer wieder bekräftigt, dass es in Deutschland keine Impfpflicht geben würde. Aus meiner Sicht war das in dieser dynamischen Lage ein zu absolutes Statement. Als später die Debatte um eine Pflicht dennoch aufkam, haben sich viele Menschen, die vielleicht ohnehin skeptisch waren, hintergangen gefühlt. Auf der anderen Seite gab es Bürgerinnen und Bürger, die von der Regierung ein entschlossenes Handeln in der Pandemie forderten: Diejenigen, die sich impfen lassen hatten und nicht wollten, dass eine ungeimpfte Minderheit den Kampf gegen die Pandemie erschwert. Es war schwierig, hier richtige Entscheidungen zu treffen. Doch ein Versprechen zu geben, es zu brechen und letztlich doch nicht entschlossen und geschlossen zu handeln, hat am Vertrauen beider Lager gekratzt.
Wie standen und stehen Sie selbst zu einer Impfpflicht?
Im Endeffekt ist das eine politische Entscheidung. Wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können diese Entscheidungen mit Daten unterstützen. In meinem Fall dazu, inwieweit die Akzeptanz sich verändert. Zu Zeiten der ersten Varianten hielt ich selbst eine Impfpflicht für unnötig, da die erforderlichen Impfquoten auch durch Freiwilligkeit hätten erreicht werden können. Die Delta-Variante hat das allerdings verändert, sodass aus meiner Sicht zumindest eine Debatte darum durchaus erforderlich war.
Welche Daten haben Sie bei Ihrer Arbeit verwendet und welche Schlüsse konnten Sie daraus ziehen?
Die Daten kommen aus repräsentativen Erhebungen des Exzellenzclusters „The Politics of Inequality“der Universität Konstanz, die wir während der gesamten Pandemie regelmäßig durchgeführt haben. Sie zeigen, dass die Ablehnung gegenüber einer Impfung eher dann steigt, wenn über eine Pflicht gesprochen wird. Die Daten machen allerdings auch deutlich, dass viele Menschen in ihren Entscheidungen beweglich sind. Im Falle der freiwilligen Impfung waren nur drei Prozent hartnäckig dagegen, alle anderen haben ihre Haltung im Laufe der Zeit geändert. Da spielt vor allem das Vertrauen in die Regierung eine Rolle – aber auch, ob man überzeugt ist, dass die Impfung die Pandemie beenden kann. Diese Überzeugungen verändern sich je nach politischen Entscheidungen, aber auch mit den Virusvarianten. Allerdings haben wir auch in den Daten gesehen, dass Druck und Pflicht den Widerstand verhärten und den harten Kern der Impfgegner auf 17 Prozent gebracht hätten.
Wie passt das zu den häufig kolportierten Narrativen einer gespaltenen Gesellschaft?
Eine tatsächliche Spaltung in Impfgegner und Impfbefürworter gab es aus meiner Sicht nie, eher einen Splitter von Impfgegnern. Man muss immer beachten, dass auch kleine Minderheiten sehr laut sein können. Auch in medialen Debatten entsteht oft ein falscher Eindruck, wenn beispielsweise zu einer These, die von 90 Prozent aller Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vertreten wird, ein Gast eingeladen wird und für eine wissenschaftlich kaum haltbare Gegenthese ebenfalls einer. Das suggeriert eine Ausgeglichenheit, die tatsächlich nicht vorhanden ist.
Mit Ihrer Arbeit haben Sie sich in die Öffentlichkeit begeben. Für eine Wissenschaftlerin vor der Pandemie ein eher ungewöhnlicher Schritt. Wie kam es dazu?
Es ist einfach passiert. Ich habe vorher nicht darüber nachgedacht, was das bedeuten würde. Wissenschaftskommunikation wurde zuvor gerade in unserem Bereich eher skeptisch beäugt. Aber ich hatte wichtige Informationen und habe mich verpflichtet gefühlt, diese zu teilen. Als die erste Studie publiziert war, hat dann plötzlich das Telefon geglüht. Daraus wurden über 300 Medienauftritte in Zeitungen, Radio und Fernsehen in Deutschland über Indien bis hin zur „Washington Post“. Die Resonanz war unglaublich, aber damit auch das Kreuzfeuer.
Wie Ihnen erging es vielen Ihrer
Kolleginnen und Kollegen. Manche, wie Christian Drosten, erreichten einen richtigen Prominentenstatus. Wie stehen Sie dazu? Zuerst einmal bin ich Herrn Drosten unheimlich dankbar, dass er diese wichtige Aufgabe übernommen hat. Unsere Daten zeigen auch, dass die Überzeugung von der Wirksamkeit der Maßnahmen zu einer deutlich höheren Akzeptanz führt. Er hat Großartiges geleistet. Wer informiert ist, kann eine bessere Entscheidung fällen und ist eher bereit, entsprechende Maßnahmen zu akzeptieren. Gleichzeitig führt die Öffentlichkeit natürlich auch zu Stress und Belastung. Gerade Drosten wurde für manche zum Feindbild, weil es um emotionale Themen ging. Was wir brauchen – auch ganz aktuell in der Klimakrise –, ist die Bereitschaft zur Kommunikation seitens der Wissenschaft
und guter Wissenschaftsjournalismus, wie ihn beispielsweise Mai Thi Nguyen-Kim oder der Österreicher Martin Moder anbieten.
Apropos Stress und Belastung: Sie haben nicht nur positive Resonanz erfahren?
Nein, leider gab es zahlreiche Beschimpfungen und Beleidigungen. Eine Pressemitteilung zu einer meiner Studien wurde in einem „Querdenken“-Medium falsch wiedergegeben und über Telegram 20 000mal geteilt. Daraufhin hat mich eine ganze Flut von solchen Nachrichten erreicht. Aber auch von anderer Seite gab es teilweise Beschimpfungen. Zudem wurde ich auf der Straße erkannt und an einer Ampel aus einem Auto heraus angesprochen, als ich mit meiner damals vierjährigen Tochter mit dem Fahrrad unterwegs war. Ich bin mir bis heute nicht sicher, ob der Mann mir wohlgesonnen war oder nicht. Es blieb ein mulmiges Gefühl.
Sind überzeugte Impfgegner, die drei Prozent, von denen Sie gesprochen haben, überhaupt noch zu erreichen?
Da geht es in der Regel nicht mehr um die Bewertung von Fakten, sondern die Impfgegnerschaft ist oft ein politisches Statement – zum Beispiel getrieben durch ein Gefühl des Abgehängt-Seins besonders in den neuen Bundesländern. Deshalb finden sich aktuell auch viele personelle Überschneidungen zu denjenigen, die jetzt als Anhänger des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf den Straßen demonstrieren. Um die Impfung selbst geht es da nur am Rande, mehr um einen allgemeinen
Protest. Deshalb müsste man in diesen Fällen wahrscheinlich die Wurzeln dieser Probleme angehen, die stark mit Misstrauen in die Regierung zu tun haben. Aber das sind politische Aufgaben.
Und diejenigen, die schwanken?
Bei Unentschlossenen ist es wichtig, schnell aufzuklären, da wir alle bei Entscheidungen zu Anfang oft unschlüssig sind. Gehen wir aber einmal in eine Richtung, neigen wir dazu, uns nur noch aus dieser Richtung zu informieren. Deshalb halte ich auch Medienbildung für sehr wichtig. Die Menschen müssen wissen, wie man Informationen und Quellen bewerten kann. Und auch, wie man seriöse wissenschaftliche Arbeit erkennt. Es gab beispielsweise in der Pandemie in „Querdenken“-Kreisen durchaus den ein oder anderen Wissenschaftler in Rente, der sich plötzlich meinungsstark zu fachfremden Themen geäußert hat. Da sollte man skeptisch sein.
Gab es auch Vereinnahmungsversuche?
Die gab es tatsächlich. Der österreichische Fernsehsender Servus TV etwa war sehr hartnäckig. Man wollte mich gewinnen, um eine maßnahmenkritische Position zu vertreten. Meine Daten haben aber keine klare Position hergegeben – ich wollte einfach sachlich über das Für und Wider informieren.
Genau dafür hat die Landesregierung Ihnen den Preis für mutige Wissenschaft verliehen. Was bedeutet er Ihnen?
Ja, das hat mich natürlich riesig gefreut. Es ist eine große Wertschätzung der ganzen nervenaufreibenden Arbeit und schlaflosen Nächte. In dieser Zeit gesellschaftlicher Krisen finde ich es toll, dass auch Wissenschaftskommunikation anerkannt wird. Und natürlich bin ich all denjenigen sehr dankbar, die mich auf diesem steinigen Weg ermutigt haben.
Auf einem Foto der Preisverleihung sind Sie gemeinsam mit Ihrer heute fünfjährigen Tochter zu sehen. Ein Statement für die Vereinbarkeit von wissenschaftlichen Berufen mit der Mutterrolle?
Als meine Arbeit während der Pandemie besonders anspruchsvoll war und die Öffentlichkeit mit voller Wucht auf mich einprasselte, war zusätzlich die Kita meiner Tochter geschlossen. Entsprechend war das für uns auch eine schwierige Zeit und sie hat viel von meiner Arbeit mitbekommen. Als ich zur Preisverleihung auf die Bühne sollte, war meine Tochter mit der Situation überfordert und begann verzweifelt zu weinen. In dem Moment ging es nur noch um Vereinbarkeit und mir blieb nichts anderes übrig, als sie mitzunehmen und das Interview mit ihr zu führen. Obwohl sie im Scheinwerferlicht heiße Füße bekam und ihre Socken auszog, habe ich später dafür viel positives Feedback bekommen. Wissenschaftler, das sind eben auch Mütter mit kleinen Kindern.