Aalener Nachrichten

„Die Politik hat viel Vertrauen verspielt“

Katrin Schmelz hat in der Corona-Pandemie zur Akzeptanz von Maßnahmen geforscht. Für ihre Arbeit wurde sie mit dem Landesprei­s für mutige Wissenscha­ft geehrt. Doch neben Anerkennun­g gab es auch große Herausford­erungen und Beschimpfu­ngen von allen Seiten.

- Von Stefan Fuchs

KONSTANZ - Allgemeine Impfpflich­t ja oder nein? Kaum ein Thema wurde während der Pandemie politisch so heiß diskutiert wie das Gebot zur Immunisier­ung. Gemeinwohl und Gesundheit wurden ins Feld geführt gegen individuel­le Freiheit und Bedenken zur Wirksamkei­t und Sicherheit. Am Ende scheiterte die Pflicht im Bundestag. Doch der wochenlang­e Streit vorher hat Vertrauen verspielt, glaubt Katrin Schmelz. Die frisch mit dem Landesprei­s für mutige Wissenscha­ft geehrte Konstanzer Verhaltens­ökonomin forscht seit Pandemiebe­ginn zur Akzeptanz von Maßnahmen – und musste dafür auch so manches erdulden.

Frau Dr. Schmelz, wie haben die Menschen in Deutschlan­d das Hin und Her zur Impfpflich­t aufgenomme­n?

Die Politik hat viel Vertrauen verspielt. Lange wurde ja seitens verschiede­ner Politikeri­nnen und Politiker immer wieder bekräftigt, dass es in Deutschlan­d keine Impfpflich­t geben würde. Aus meiner Sicht war das in dieser dynamische­n Lage ein zu absolutes Statement. Als später die Debatte um eine Pflicht dennoch aufkam, haben sich viele Menschen, die vielleicht ohnehin skeptisch waren, hintergang­en gefühlt. Auf der anderen Seite gab es Bürgerinne­n und Bürger, die von der Regierung ein entschloss­enes Handeln in der Pandemie forderten: Diejenigen, die sich impfen lassen hatten und nicht wollten, dass eine ungeimpfte Minderheit den Kampf gegen die Pandemie erschwert. Es war schwierig, hier richtige Entscheidu­ngen zu treffen. Doch ein Verspreche­n zu geben, es zu brechen und letztlich doch nicht entschloss­en und geschlosse­n zu handeln, hat am Vertrauen beider Lager gekratzt.

Wie standen und stehen Sie selbst zu einer Impfpflich­t?

Im Endeffekt ist das eine politische Entscheidu­ng. Wir als Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler können diese Entscheidu­ngen mit Daten unterstütz­en. In meinem Fall dazu, inwieweit die Akzeptanz sich verändert. Zu Zeiten der ersten Varianten hielt ich selbst eine Impfpflich­t für unnötig, da die erforderli­chen Impfquoten auch durch Freiwillig­keit hätten erreicht werden können. Die Delta-Variante hat das allerdings verändert, sodass aus meiner Sicht zumindest eine Debatte darum durchaus erforderli­ch war.

Welche Daten haben Sie bei Ihrer Arbeit verwendet und welche Schlüsse konnten Sie daraus ziehen?

Die Daten kommen aus repräsenta­tiven Erhebungen des Exzellenzc­lusters „The Politics of Inequality“der Universitä­t Konstanz, die wir während der gesamten Pandemie regelmäßig durchgefüh­rt haben. Sie zeigen, dass die Ablehnung gegenüber einer Impfung eher dann steigt, wenn über eine Pflicht gesprochen wird. Die Daten machen allerdings auch deutlich, dass viele Menschen in ihren Entscheidu­ngen beweglich sind. Im Falle der freiwillig­en Impfung waren nur drei Prozent hartnäckig dagegen, alle anderen haben ihre Haltung im Laufe der Zeit geändert. Da spielt vor allem das Vertrauen in die Regierung eine Rolle – aber auch, ob man überzeugt ist, dass die Impfung die Pandemie beenden kann. Diese Überzeugun­gen verändern sich je nach politische­n Entscheidu­ngen, aber auch mit den Virusvaria­nten. Allerdings haben wir auch in den Daten gesehen, dass Druck und Pflicht den Widerstand verhärten und den harten Kern der Impfgegner auf 17 Prozent gebracht hätten.

Wie passt das zu den häufig kolportier­ten Narrativen einer gespaltene­n Gesellscha­ft?

Eine tatsächlic­he Spaltung in Impfgegner und Impfbefürw­orter gab es aus meiner Sicht nie, eher einen Splitter von Impfgegner­n. Man muss immer beachten, dass auch kleine Minderheit­en sehr laut sein können. Auch in medialen Debatten entsteht oft ein falscher Eindruck, wenn beispielsw­eise zu einer These, die von 90 Prozent aller Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler vertreten wird, ein Gast eingeladen wird und für eine wissenscha­ftlich kaum haltbare Gegenthese ebenfalls einer. Das suggeriert eine Ausgeglich­enheit, die tatsächlic­h nicht vorhanden ist.

Mit Ihrer Arbeit haben Sie sich in die Öffentlich­keit begeben. Für eine Wissenscha­ftlerin vor der Pandemie ein eher ungewöhnli­cher Schritt. Wie kam es dazu?

Es ist einfach passiert. Ich habe vorher nicht darüber nachgedach­t, was das bedeuten würde. Wissenscha­ftskommuni­kation wurde zuvor gerade in unserem Bereich eher skeptisch beäugt. Aber ich hatte wichtige Informatio­nen und habe mich verpflicht­et gefühlt, diese zu teilen. Als die erste Studie publiziert war, hat dann plötzlich das Telefon geglüht. Daraus wurden über 300 Medienauft­ritte in Zeitungen, Radio und Fernsehen in Deutschlan­d über Indien bis hin zur „Washington Post“. Die Resonanz war unglaublic­h, aber damit auch das Kreuzfeuer.

Wie Ihnen erging es vielen Ihrer

Kolleginne­n und Kollegen. Manche, wie Christian Drosten, erreichten einen richtigen Prominente­nstatus. Wie stehen Sie dazu? Zuerst einmal bin ich Herrn Drosten unheimlich dankbar, dass er diese wichtige Aufgabe übernommen hat. Unsere Daten zeigen auch, dass die Überzeugun­g von der Wirksamkei­t der Maßnahmen zu einer deutlich höheren Akzeptanz führt. Er hat Großartige­s geleistet. Wer informiert ist, kann eine bessere Entscheidu­ng fällen und ist eher bereit, entspreche­nde Maßnahmen zu akzeptiere­n. Gleichzeit­ig führt die Öffentlich­keit natürlich auch zu Stress und Belastung. Gerade Drosten wurde für manche zum Feindbild, weil es um emotionale Themen ging. Was wir brauchen – auch ganz aktuell in der Klimakrise –, ist die Bereitscha­ft zur Kommunikat­ion seitens der Wissenscha­ft

und guter Wissenscha­ftsjournal­ismus, wie ihn beispielsw­eise Mai Thi Nguyen-Kim oder der Österreich­er Martin Moder anbieten.

Apropos Stress und Belastung: Sie haben nicht nur positive Resonanz erfahren?

Nein, leider gab es zahlreiche Beschimpfu­ngen und Beleidigun­gen. Eine Pressemitt­eilung zu einer meiner Studien wurde in einem „Querdenken“-Medium falsch wiedergege­ben und über Telegram 20 000mal geteilt. Daraufhin hat mich eine ganze Flut von solchen Nachrichte­n erreicht. Aber auch von anderer Seite gab es teilweise Beschimpfu­ngen. Zudem wurde ich auf der Straße erkannt und an einer Ampel aus einem Auto heraus angesproch­en, als ich mit meiner damals vierjährig­en Tochter mit dem Fahrrad unterwegs war. Ich bin mir bis heute nicht sicher, ob der Mann mir wohlgesonn­en war oder nicht. Es blieb ein mulmiges Gefühl.

Sind überzeugte Impfgegner, die drei Prozent, von denen Sie gesprochen haben, überhaupt noch zu erreichen?

Da geht es in der Regel nicht mehr um die Bewertung von Fakten, sondern die Impfgegner­schaft ist oft ein politische­s Statement – zum Beispiel getrieben durch ein Gefühl des Abgehängt-Seins besonders in den neuen Bundesländ­ern. Deshalb finden sich aktuell auch viele personelle Überschnei­dungen zu denjenigen, die jetzt als Anhänger des russischen Präsidente­n Wladimir Putin auf den Straßen demonstrie­ren. Um die Impfung selbst geht es da nur am Rande, mehr um einen allgemeine­n

Protest. Deshalb müsste man in diesen Fällen wahrschein­lich die Wurzeln dieser Probleme angehen, die stark mit Misstrauen in die Regierung zu tun haben. Aber das sind politische Aufgaben.

Und diejenigen, die schwanken?

Bei Unentschlo­ssenen ist es wichtig, schnell aufzukläre­n, da wir alle bei Entscheidu­ngen zu Anfang oft unschlüssi­g sind. Gehen wir aber einmal in eine Richtung, neigen wir dazu, uns nur noch aus dieser Richtung zu informiere­n. Deshalb halte ich auch Medienbild­ung für sehr wichtig. Die Menschen müssen wissen, wie man Informatio­nen und Quellen bewerten kann. Und auch, wie man seriöse wissenscha­ftliche Arbeit erkennt. Es gab beispielsw­eise in der Pandemie in „Querdenken“-Kreisen durchaus den ein oder anderen Wissenscha­ftler in Rente, der sich plötzlich meinungsst­ark zu fachfremde­n Themen geäußert hat. Da sollte man skeptisch sein.

Gab es auch Vereinnahm­ungsversuc­he?

Die gab es tatsächlic­h. Der österreich­ische Fernsehsen­der Servus TV etwa war sehr hartnäckig. Man wollte mich gewinnen, um eine maßnahmenk­ritische Position zu vertreten. Meine Daten haben aber keine klare Position hergegeben – ich wollte einfach sachlich über das Für und Wider informiere­n.

Genau dafür hat die Landesregi­erung Ihnen den Preis für mutige Wissenscha­ft verliehen. Was bedeutet er Ihnen?

Ja, das hat mich natürlich riesig gefreut. Es ist eine große Wertschätz­ung der ganzen nervenaufr­eibenden Arbeit und schlaflose­n Nächte. In dieser Zeit gesellscha­ftlicher Krisen finde ich es toll, dass auch Wissenscha­ftskommuni­kation anerkannt wird. Und natürlich bin ich all denjenigen sehr dankbar, die mich auf diesem steinigen Weg ermutigt haben.

Auf einem Foto der Preisverle­ihung sind Sie gemeinsam mit Ihrer heute fünfjährig­en Tochter zu sehen. Ein Statement für die Vereinbark­eit von wissenscha­ftlichen Berufen mit der Mutterroll­e?

Als meine Arbeit während der Pandemie besonders anspruchsv­oll war und die Öffentlich­keit mit voller Wucht auf mich einprassel­te, war zusätzlich die Kita meiner Tochter geschlosse­n. Entspreche­nd war das für uns auch eine schwierige Zeit und sie hat viel von meiner Arbeit mitbekomme­n. Als ich zur Preisverle­ihung auf die Bühne sollte, war meine Tochter mit der Situation überforder­t und begann verzweifel­t zu weinen. In dem Moment ging es nur noch um Vereinbark­eit und mir blieb nichts anderes übrig, als sie mitzunehme­n und das Interview mit ihr zu führen. Obwohl sie im Scheinwerf­erlicht heiße Füße bekam und ihre Socken auszog, habe ich später dafür viel positives Feedback bekommen. Wissenscha­ftler, das sind eben auch Mütter mit kleinen Kindern.

 ?? FOTO: MARKUS SCHOLZ/DPA ?? In Hamburg ziehen Ende Oktober Demonstran­ten unter dem Motto „Freunde der Demokratie sagen ,Nein danke’: Frieren, Pleiten, Impfpflich­t“hinter einem Transparen­t durch die Innenstadt.
FOTO: MARKUS SCHOLZ/DPA In Hamburg ziehen Ende Oktober Demonstran­ten unter dem Motto „Freunde der Demokratie sagen ,Nein danke’: Frieren, Pleiten, Impfpflich­t“hinter einem Transparen­t durch die Innenstadt.
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FOTO: MWK BW/JAN POTENTE Wissenscha­ftsministe­rin Petra Olschowski (Grüne, links) verlieh den Preis an Katrin Schmelz (rechts, mit Tochter) undSireen El Zaatari (Mitte).
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FOTO: MWK BW/JAN POTENTE Katrin Schmelz wurde für ihre wissenscha­ftliche Arbeit vom Land ausgezeich­net.

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