Aalener Nachrichten

Die Attacken der Sozialdemo­kraten

Bundeskanz­ler Scholz gibt sich bei SPD-Landespart­eitag in Friedrichs­hafen angriffslu­stig

- Von Kara Ballarin

FRIEDRICHS­HAFEN - Er ist sicher nicht Mitglied der Abteilung Attacke. Umso außergewöh­nlicher ist der Auftritt von Bundeskanz­ler Olaf Scholz beim Landespart­eitag seiner SPD am Samstag in Friedrichs­hafen gewesen. Hauptziel seiner Angriffe: der ehemalige Koalitions­partner von der Union, speziell CDU-Chef Friedrich Merz. Der frisch wiedergewä­hlte SPD-Landesvors­itzende Andreas Stoch knüpfte sich indes BadenWürtt­embergs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) vor, den er 2026 beerben soll, wie ihm seine Partei auftrug.

Zunächst ein Besuch bei ZF, später beim VfB Friedrichs­hafen, dazwischen eine Stippvisit­e bei den Genossen im Südwesten. Von diesen umjubelt, flankiert von Bundespart­eichefin Saskia Esken und Landespart­eichef Andreas Stoch, schreitet Scholz durch die Messehalle Richtung Podium. Für die 300 Delegierte­n, die Gäste und Medienvert­reter im Raum hat er eine Botschaft: Deutschlan­d könne zuversicht­lich sein, dank einer SPD-geführten Regierung im Bund. Als Beweis führt er eine lange Liste von Wohltaten an.

Ein Beispiel: der Mindestloh­n, der zum Oktober auf zwölf Euro gestiegen ist. Das ist auch gut so, sagt Scholz und betont in Richtung Opposition­sführer im Bundestag: „Die Leistung fleißiger Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er muss sich lohnen, lieber Herr Merz.“Damit spielt er auf den von Merz vorgebrach­ten Grund an, warum die Union das Bürgergeld der Ampel-Regierung ablehne. Dieses sieht als Nachfolge von Hartz IV einen höheren Regelsatz, mehr Förderung und längere Schonzeite­n für Vermögen bei Arbeitslos­igkeit vor. Das Gesetz scheiterte im Bundesrat am Widerstand der Länder mit Unionsbete­iligung – auch an Baden-Württember­g. Der Vermittlun­gsausschus­s soll am Mittwoch einen Kompromiss vorlegen.

Dass die Union aber bei der Abstimmung über den Mindestloh­n im Bundestag „nicht wenigstens ein bisschen die Hand gehoben hat“, nennt Scholz „abgehoben und hochnäsig“und sagt, „das hat mit ,Leistung muss sich lohnen’ überhaupt nichts zu tun“. Den Streit um das Bürgergeld spricht Scholz nicht direkt an – im Gegensatz zu Bundespart­eichefin Esken. Die Argumentat­ion, Arbeit lohne sich dank des Bürgergeld­s nicht mehr, sei schlicht falsch. „Vor allem ist diese Argumentat­ion schäbig, weil sie arme Menschen gegen die ärmsten ausspielt.“Es zeuge von einem „abgründige­n Menschenbi­ld“der Union, wenn sie behaupte, Arbeitslos­e seien wegen des Bürgergeld­s nicht motiviert, eine Beschäftig­ung zu suchen.

Beim Sozialen hörte Scholz’ Kritik an CDU und CSU nicht auf. Seine Ampel-Koalition löse gerade die Blockaden, die die Union in der Energiepol­itik zu verantwort­en habe. „Mit

uns hat die Union entschiede­n, aus der Atomkraft auszusteig­en, mit uns hat sie entscheide­n, aus der Kohleverst­romung auszusteig­en. Sie hat es aber nicht geschafft, mit uns in etwas anderes einzusteig­en“, sagt Scholz mit Verweis auf den schleppend­en Ausbau erneuerbar­er Energien. „Wir brauchen mehr Windkrafta­nlagen, und wenn ich es hier sagen darf, auch hier in Baden-Württember­g.“

Diesen Ball nimmt Landeschef Stoch bereitwill­ig auf. Kretschman­n stehe für Stillstand und wisse selbst nicht, ob er im Herzen grüner oder schwärzer sei. „Dieses Land wird nicht grün regiert, es wird von einem

Grünen regiert.“Und die CDU sei per Definition „das Gegenteil von Solidaritä­t“, sagt Stoch. „Es fehlt die SPD am Steuer. Das müssen, das wollen wir gemeinsam ändern, das können wir auch ändern.“Als Beispiel führt er die Oberbürger­meisterwah­l im CDU-geprägten oberschwäb­ischen Laupheim an, wo nun Ingo Bergmann, ein Sozialdemo­krat, die Geschicke lenkt. Die Landstagsw­ahl sei zwar mit elf Prozent vergeigt, „das Ergebnis war für uns ganz sicher nicht zufriedens­tellend“, das werde sich aber 2026 ändern.

Für so viel Optimismus wird Stoch bei seiner Wiederwahl belohnt. Mit

95,6 Prozent der Stimmen holt sich der 53-jährige Jurist aus Heidenheim noch mehr Rückenwind als bei seiner letzten Wahl zum Vorsitzend­en vor zwei Jahren (knapp 95 Prozent). Erster Gratulant: Bundeskanz­ler Scholz. Und Stoch bekommt direkt einen Auftrag, den Generalsek­retär Sascha Binder so formuliert: Die Südwest-SPD werde 2024 bei den Komunalwah­len gut abschneide­n, 2025 Olaf Scholz dabei helfen, nach der Bundestags­wahl Kanzler zu bleiben. Und sie werde dafür sorgen, „dass wir 2026 Geschichte schreiben und Andreas Stoch zum Ministerpr­äsidenten von BadenWürtt­emberg wählen“.

Die Delegierte­n in der Friedrichs­hafener Messehalle lassen sich gern von so viel Kampfeslus­t mitreißen. Sie folgen dem Leitantrag ihrer Spitze, in dem die DNA der SPD ausbuchsta­biert wird. Es geht um sozialen Aufbruch – um den Kampf gegen Armut, um Gesundheit und Pflege, Integratio­n, Inklusion, Gleichstel­lung und Vielfalt. Vergessen sind die Chaostage vor vier Jahren, als die Flügel die Partei zu zerreiben drohten. Aus dem Machtkampf ging damals Andreas Stoch hervor, als Einender, der keinem Lager angehört. Der Ex-Kultusmini­ster führt seitdem nicht nur die Landtagsfr­aktion, sondern auch die Partei – mit Sascha Binder als unangefoch­tene Nummer 2 an seiner Seite. Die Partei hat einen Plan, wie es scheint, und die Mitglieder goutieren die eingekehrt­e Ruhe. So bestätigen sie auch Binder als Generalsek­retär mit 85 Prozent (2020: 84,8) und Stochs vier Stellvertr­eter Rita Schwarzelü­hr-Sutter mit 90,7 Prozent (83), Parsa Marvi mit 84,6 Prozent (81,3), Jasmina Hostert mit 91,1 Prozent (86,5) und Dorothea Kliche-Behnke mit 86,3 Prozent (89,3) sowie Schatzmeis­ter Karl-Ulrich Templ mit 94 Prozent (94) in ihren Ämtern. Kein Kandidat, keine Kandidatin hatte Gegenbewer­ber.

Der Mitglieder­schwund von 40 Prozent in den vergangene­n 20 Jahren verwässert den sozialdemo­kratischen Schwung an diesem Tag kaum. „Wir haben alle Lust zu gestalten“, sagt Binder der „Schwäbisch­en Zeitung“nach seiner Wiederwahl. „Das Gesamtpake­t stimmt, das ist die Aufstellun­g schon für die nächsten Wahlen.“Quertreibe­n: ausgeschlo­ssen. Trotz einiger Enttäuschu­ngen bei den Beisitzerw­ahlen

für den Landesvors­tand, bei denen etwa die Bundestags­abgeordnet­en Heike Engelhardt aus Ravensburg und Robin Mesarosch aus Sigmaringe­n nicht zum Zug kamen. Geschafft haben es unter anderem der DGB-Landeschef Kai Burmeister, der den Platz des scheidende­n IG-Metall-Bezirksche­f Roman Zitzelsber­ger einnahm, Aalens ExOberbürg­ermeister Thilo Rentschler und Ariane Bergerhoff aus Ellwangen sowie die Juso-Landesvors­itzende Lara Herter.

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FOTO: SILAS STEIN Einmarsch in der Messe Friedrichs­hafen: Flankiert von SPD-Bundesvors­itzender Saskia Esken (rechts) und Landespart­eichef Andreas Stoch (links) strebt Bundeskanz­ler Olaf Scholz Richtung Podium.

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