Aalener Nachrichten

Neue Konkurrenz für Kuchen und Tee-Gebäck

Eine moderne Tea Time bietet süße und herzhafte Delikatess­en und zudem eine Auszeit vom Alltag

- Von Heidemarie Pütz ●

HAMBURG/MELSUNGEN (dpa) - Auf der Etagere lassen nicht nur Scones und Sandwiches mit Gurken oder Thunfisch genussvoll­e Stunden erahnen. Auch geröstetes Roggenbrot mit Frischkäse, Matjes und Radieschen neben Focaccia mit Pecorino schmecken bei der Tea Time im noblen Hamburger Hotel The Fontenay hervorrage­nd. Die kulinarisc­he Auszeit im oft hektischen Alltag kann aber selbstvers­tändlich auch zu Hause gelingen.

„Ich kenne kaum etwas, das typisch britischer ist als eine Tea Time“, sagt Simone Orlik aus Melsungen. Ihr Food- und Reiseblog „Tea and Scones“beschäftig­t sich mit Themen rund um Großbritan­nien. „Dabei handelt es sich mitnichten nur um eine einfache Tasse Tee, wie man meinen könnte. Vielmehr ist es Nachmittag­stee mit Tee, herzhaften Speisen und Getränken.“

Nicht zuletzt die britische TV-Serie „Downton Abbey“und der gleichnami­ge Film über eine Adelsfamil­ie und ihr Personal in den 1920er-Jahren machte das Zeremoniel­l einem breiten Publikum hierzuland­e bekannt. Viele Szenen zeigen die Bewohner beim Tee.

„Das Ritual gibt es im Vereinigte­n Königreich seit etwa 1840“, sagt Andrea Hetzel vom Tourismusv­erband Visit Britain. Die Herzogin von Bedford, Anna Russell, soll es eingeführt haben, um mit einer herzhaften Zwischenma­hlzeit ihr „flaues Gefühl“bis zum Dinner zu beheben. „Im Laufe der Zeit kamen süße Speisen dazu und langsam entstand daraus der Afternoon Tea, den Königin Victoria vor allem für Damen salonfähig machte“, so Orlik. Man traf sich zwischen 16 und 17 Uhr, debattiert­e über Politik, Gesellscha­ft oder den letzten Tratsch.

Der klassische Afternoon Tea besteht in der Regel aus drei Arten von Snacks: Sandwiches, Scones und kleines Gebäck wie Kuchen und Kekse. Traditione­ll wird schwarzer Tee mit Milch dazu getrunken. „Zunächst werden herzhafte Sandwiches serviert, zum Beispiel mit Kresse und Ei, mit Lachs, mit Gurke oder Thunfisch“, erklärt Orlik. Dann folgen warme Scones, ein weiches Gebäck, das mit Erdbeerkon­fitüre und einem Streichrah­m namens Clotted Cream gereicht wird.

Es gehöre zum guten Ton, das Gebäck per Hand auseinande­rzubrechen und nicht mit dem Messer zu zerteilen, sagt Andrea Hetzel. Jede Hälfte werde separat gegessen und nicht wie ein Burger gestapelt. Was den Aufstrich betrifft, hat man die Qual der Wahl. Entweder wie in Südwesteng­land nach Devon-Art die Scones zuerst mit Clotted Cream und dann mit Konfitüre bestreiche­n. Oder man macht es wie in Cornwall: genau umgekehrt.

Chef-Patissier Marco D'Andrea des Hamburger Fontenay-Hotels interpreti­ert den britischen Klassiker erfrischen­d leger. „Unsere Tea Time lässt die klassische­n Kreationen mit modernen Akzenten aufblühen“, so sein Konzept. Im Fontenay passt er Snacks und Gebäck den Jahreszeit­en an, im Frühjahr und Sommer leichte Aromen, zum Jahresende mehr Schokoladi­ges. Sein Buch „Modern Tea Time“inspiriert, diese Art der Geselligke­it zu Hause auszuprobi­eren.

Der Patissier mit italienisc­hen Wurzeln liebt den Wechsel von „Süßkram“und Herzhaftem. Auf einer Etagere liegen feine Brötchen wie Focaccia, dann gehts weiter mit Gurken- und Thunfisch-Sandwichs. Danach folgt die süßliche Richtung mit Scones, Konfitüren und Clotted

Cream. Leichtigke­it bringt als pikanter Zwischenga­ng ein Kabeljau-Ceviche in einem Sud aus Kokosmilch, Zitronengr­as und Gewürzen mit einem Mango-Sorbet.

Als süßer Abgang folgt ein gefülltes Tartelette mit Baiser-Haube und ein „Cube“, ein filigraner Würfel mit Basilikum und Erdbeere, getoppt von Oliven-Sorbet. Oder ein RoibuschSc­hokoladen-Eis und eine Granité vom roten Früchtetee. So lassen sich gut drei Stunden verbringen.

Scones und Clotted Cream gehören für Marco D'Andrea zur Tea Time wie der Hut zur einstigen Queen. „Das eine sieht ohne das andere irgendwie unvollstän­dig aus“, heißt es in seinem Buch. Selbst gemachte Scones seien „echte Seelentrös­ter“. Für den Hausgebrau­ch rät er zu einem Vorrat: „Letztendli­ch sind die Zutaten banal, man hat sie immer zu Hause und die Herstellun­g ist supereinfa­ch. Man macht einfach 20 und packt zehn davon in den Froster“. Zum Aufbacken für den nächsten Tee.

Schwierige­r wird es bei der Clotted Cream, die in Deutschlan­d nur im Feinkost oder im Versandhan­del zu haben ist. Alternativ rät D'Andrea zu Mascarpone oder Crème double. Clotted Cream ist für ihn nichts anderes als die Fettschich­t vom Fett, also von Milch oder Sahne. Wenn man sie selbst machen will, rät der Profi zu Konditorsa­hne.

„Die gibt man in eine nicht zu hohe Auflauffor­m. Und macht es so wie ich, man heizt den Backofen auf 200 Grad vor, schiebt die Form rein, lässt das Ganze zwei Minuten laufen und macht dann den Ofen aus. Dann

hat man die ganze Restwärme drin“, erklärt er. Nach etwa zehn Stunden herausnehm­en und kühlstelle­n. Danach die obere Schicht abnehmen und vorsichtig mit einem Löffel kurz aufrühren. Den Klümpchen, englisch clots, verdankt der Aufstrich seinen Namen.

„Dann kommt das Ding auf den Scone, und das ist schon Endstufe“, schwärmt D'Andrea. Sein Favorit dazu ist selbst gemachte Zitrusmarm­elade. Ein herzhaftes Highlight zur Teezeit sind für ihn Chicorée-Schiffchen mit Orangen-Vinaigrett­e, gerösteten Walnüssen, Brot-Croûtons und Parmesan.

Beim süßen Ende ist alles erlaubt, was schmeckt. Das können kleine Kuchenstüc­ke, Pies, Muffins, Cupcakes oder Brownies sein. Ein Klassiker ist der Victoria-Sponge-Cake mit einer Füllung aus Buttercrem­e und Erdbeermar­melade zwischen zwei Schichten Biskuitbod­en. Im Herbst mag Simone Orlik Walnuss-KaffeeKuch­en, im Winter Mince Pies oder Weihnachts­kuchen mit Früchten.

„Der elegante, nostalgisc­he Blick auf den Afternoon Tea ist sehr rückwärtsg­ewandt. Privat ist es viel lockerer“, sagt Simone Orlik, die mit einem Briten verheirate­t ist. „Ich bin mehr für die einfache Sache. Der zweite Gang mit Scones und Clotted Cream ist sehr unkomplizi­ert. Das könnte mein Mann immer haben“, sagt sie.

Und welcher Tee gehört dazu? Nationalge­tränk der Briten ist der Schwarztee, der mit Milch getrunken wird. Manche schwören darauf, dass erst Milch, dann Tee in die Tasse gehört, andere machen es andersheru­m. Am liebsten trinkt man eine kräftige Sorte wie Earl Grey oder Assam. Wer keinen Tee mag, kann Schokolade oder Kaffee trinken.

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FOTO: MIKE HOFSTETTER/DPA Selbst gemachte Zitrusmarm­elade macht die Scones unwiderste­hlich lecker.
 ?? FOTO: JOHN KERNICK/DPA ?? Ein Victoria-Sponge-Cake: Biskuitbod­en mit Buttercrem­e und Erdbeermar­melade gefüllt.
FOTO: JOHN KERNICK/DPA Ein Victoria-Sponge-Cake: Biskuitbod­en mit Buttercrem­e und Erdbeermar­melade gefüllt.
 ?? FOTO: JOHN KERNICK/DPA ?? Herzhafte Sandwich-Häppchen mit Gurke, Kresse und Ei oder Lachs und Dill.
FOTO: JOHN KERNICK/DPA Herzhafte Sandwich-Häppchen mit Gurke, Kresse und Ei oder Lachs und Dill.
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FOTO: MIKE HOFSTETTER/DPA Die Chicorée-Schiffchen zum Zugreifen lockern jede Tea Time auf.

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