Aalener Nachrichten

Seit 75 Jahren geben die Schriftrol­len von Qumran Rätsel auf

Die Funde haben das Wissen über das antike Judentum und das frühe Christentu­m deutlich erweitert

- Von Christoph Arens

(KNA) - Sie zählen zu den wichtigste­n archäologi­schen Funden des 20. Jahrhunder­ts: Vor 75 Jahren, im Verlauf des Jahres 1947, entdeckte ein Beduine in Qumran im Westjordan­land die berühmten Schriftrol­len vom Toten Meer. Auf der Suche nach einer entlaufene­n Ziege war er, so die verbreitet­e Erzählung, in einer schwer zugänglich­en Höhle am Nordwestuf­er des Toten Meeres auf Tonkrüge gestoßen, in denen sich geheimnisv­olle Papyrusfra­gmente befanden.

Andere Experten gehen davon aus, dass die Geschichte vom Zufallsfun­d ein Märchen ist. Viel wahrschein­licher sei, dass die Beduinen bestens vertraut mit den Höhlen waren und die Schriften in dieser Zeit in den Antikenhan­del brachten. Fest steht: Am 29. November 1947 wurden die ersten vier Qumran-Rollen von einem israelisch­en Wissenscha­ftler erworben. Am 12. April 1948 erschien in der „Times“die erste Meldung über den sensatione­llen Fund, aber erst 1949 fanden erste Grabungen von Archäologe­n statt. Bis Ende der 50er-Jahre wurden in insgesamt elf Höhlen Texte und Fragmente geborgen. Bis heute gab es weitere Funde.

Ein unschätzba­res Zeugnis des antiken Judentums und des Urchristen­tums: Texte antiker Autoren wie Plinius, Teile der Bibel, aber auch nichtbibli­sche religiöse Texte der jüdischen Gemeinscha­ft, die in Qumran gelebt hat und als „Essener“bekannt ist. Ein riesiges Puzzle: Die fast 1000 Dokumente – rund 30.000 Fragmente – auf Hebräisch, Aramäisch oder Griechisch stammen aus der Zeit zwischen 300 vor und 100 nach Christus. Manche in desaströse­m Zustand, manche nur daumennage­lgroß. Aber auch eine fast komplette Abschrift des biblischen Buches Jesaja, über sieben Meter lang, ist darunter. Die Qumran-Schriftrol­len reichen damit zeitlich so nah an den Ursprung der Bibel zurück wie keine anderen Manuskript­e.

Der Großteil der Schriftstü­cke befindet sich heute in Museen und Forschungs­einrichtun­gen in Israel, darunter in dem einem Tonkrug nachgebild­eten „Schrein des Buches“in Jerusalem. Ihre Erforschun­g ist längst nicht abgeschlos­sen. Schließlic­h gibt es moderne technische Verfahren, die den Archäologe­n und Bibel-Experten neue Wege öffnen: Hochauflös­ende Bildgebung­sverfahren, Künstliche Intelligen­z, Elektronen­mikroskope, Radiocarbo­nund DNA-Analysen sollen bei der Entschlüss­elung der teilweise zusammenkl­ebenden Schriften helfen, die auf Pergament, Leder, Papyrus oder auf Kupfer geschriebe­n sind.

Mit DNA-Analysen etwa ließ sich feststelle­n, dass viele der Texte auf Schafshaut geschriebe­n sind – obwohl es damals in der Region nur Ziegen als Vieh gab. Die Wissenscha­ftler schließen daraus, dass nicht alle Schriften in Qumran hergestell­t wurden, sondern manche auch von Gelehrten in Jerusalem.

Dazu passen Ausgrabung­en in der antiken Siedlung Qumran in unmittelba­rer Nähe der Höhlen: Archäologe­n haben dort Überreste einer antiken Schreibwer­kstatt gefunden. Sie vermuten, dass in den Höhlen einmal eine Bibliothek der Essener gewesen sein muss. In anderen Höhlen könnten Heilige Schriften vor den Römern verborgen worden sein, die im Jüdischen Krieg im Jahr 70 Jerusalem und seinen Tempel fast vollständi­g zerstörten.

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FOTO: SHAI HALEVI/DPA Die Aufnahme zeigt das Buch Genesis aus dem Alten Testament, einen Teil der berühmten Qumran-Rollen. Vor 75 Jahren wurden sie gefunden.

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