Köpfe als Spielbälle
Das Kunstmuseum Ravensburg gibt erstmals Einblick in das Frühwerk des kaum bekannten Expressionisten Carl Lohse
RAVENSBURG - Künstlerisch begabtes Kind und kriegstraumatisierter junger Mann, entfesselter Künstler und pflichtbewusster Straßenbahnfahrer, enttäuschter Maler und asketisches Sektenmitglied, Diffamierter im Nationalsozialismus und von der Stasi Drangsalierter in der DDR: Carl Lohses Leben war reich an inneren Brüchen und äußeren Widerständen. Der aus Hamburg stammende Künstler gilt im Deutschland der 1920er-Jahre als einer der erstaunlichsten Querköpfe. Bis heute beeindruckend ist vor allem sein farbintensives Frühwerk. Das Kunstmuseum Ravensburg gibt nun erstmals in Süddeutschland einen Einblick in dieses emotionale OEuvre. Museumsleiterin Ute Stuffer ist es gelungen, 40 Werke zu versammeln, die aus öffentlichen Sammlungen in Dresden, Bautzen, Rostock und Brandenburg stammen.
Köpfe sind Spielbälle, mit denen Carl Lohse (1895-1965) bevorzugt jonglierte. In seinen Porträts sprengt er Stilgrenzen und schlägt neue Wege ein, in denen sich großzügig abstrahierte Formen und koloristischer Wagemut verbinden. Seine nah an den Betrachtenden herangerückten Gesichter werden zu Kaleidoskopen aus schwingenden oder gezackten Linien. Lohse, der traumatisiert aus dem Ersten Weltkrieg nach Deutschland zurückkehrt, malt mit einem ausgeprägtem Sinn für das Plakative. Und er scheut keine Übertreibung. Gewagte Farbkontraste wie etwa Lila auf Orange oder Giftgrün auf Gelb sowie zugespitzte Gesichtszüge offenbaren sein Interesse an der Karikatur. Man kann sie aber auch als Psychogramme sehen, die die innere Zerrissenheit des 24-jährigen Malers und Bildhauers widerspiegeln.
Dank einer Einladung 1919 zu einem 18-monatigen Arbeitsaufenthalt
in Bischofswerda gerät der junge Lohse in einen wahren Schaffensrausch. Rund 130 Bilder entstehen in dieser Zeit. Ein Großteil davon sind Porträts von Mäzenen, Freunden, Dichtern, Nachbarn sowie von sich selbst. Einem älteren Herrn sieht man schon von der Ferne seinen Jähzorn an, einem Jungen aus ärmlichen Verhältnissen, den täglichen Überlebenskampf, seiner Verlobten das Zartbesaitete.
In seinen überdimensionalen Gipsköpfen, von denen zwei in der Schau gezeigt werden, findet Carl Lohse parallel dazu eine adäquate
räumliche Übersetzung seiner Malerei. Und zwar, indem er den Schädel entkernt und zerklüftet. Lohse war hier Autodidakt, was seinen Arbeiten aber nicht anzusehen ist.
Nur in seinen Landschaften scheint der Künstler noch auf der Suche nach einem eigenen Stil zu sein. Mal lehnt er sich an Vincent van Gogh an, mal an Oskar Schlemmer und dann wieder an George Braque. Auch seine Farbpalette ist hier deutlich düsterer als sonst. Außergewöhnlich sind dafür seine farblich gestalteten Bilderrahmen, von denen einige noch im Original erhalten sind.
Carl Lohse war sehr talentiert. Bereits als 15-Jähriger malte er eine Straßenszene im Regen, wo das Licht auf der nassen Straße in den Farben des Regenbogens schimmert. Zwei Jahre lang hielt er es an der Hochschule für Bildende Künste in Weimar aus, dann machte er sich mit seinem Freund Otto Pankok auf ins Oldenburgische und weiter nach Holland. Doch statt sich künstlerisch weiterzuentwickeln, musste er 1914 an die Front nach Nordfrankreich. Lohse überlebte bei einer dramatischen Schlacht als Einziger seiner Kompanie. Später geriet er in Kriegsgefangenschaft und kehrte erst 1919 nach Deutschland zurück.
Seine erste Einzelausstellung hatte der Künstler zwei Jahre später in Dresden. Trotz begeisterter Rezensionen blieb die Schau wirtschaftlich erfolglos. Enttäuscht kehrte er zur Mutter nach Hamburg zurück und gab die Malerei auf. Lohse schloss sich den Zeugen Jehovas an und lebte von Gelegenheitsarbeiten. Erst acht Jahre später, 1929, begann Lohse wieder zu malen. Inzwischen war er mit seiner Frau und den beiden Töchtern nach Bischofswerda gezogen. Dort hatten seine Schwiegereltern einen Kolonialwarengroßhandel.
Von dem einstigen Feuer ist in seiner Kunst aber nicht mehr viel zu spüren. Statt wie früher im Expressiven zu schwelgen, wird sein Stil nun realistisch und fast schon akademisch. Beispiele dafür gibt es in der Ausstellung im Erdgeschoss. Dort werden Zeichnungen auch aus seiner reifen Phase gezeigt. Im Vergleich dazu ist sein Frühwerk wahrlich eine Wucht.
Die Carl-Lohse-Schau dauert bis 5. März, der Einblick in die Sammlung bis 25. Juni. Öffnungszeiten: Di. 14-18 Uhr, Mi.-So. 11-18 Uhr, Do. 11-19 Uhr. Katalog: 10 Euro.