Aalener Nachrichten

Im Infantino-Populismus steckt ein Funken Wahrheit

- F.alex@schwaebisc­he.de m.deck@schwaebisc­he.de

Natürlich würde ein Populismus­oder auch der Whatabouti­smusdetekt­or bei den Aussagen Gianni Infantinos signifikan­t ausschlage­n. Doch täuscht das nicht darüber hinweg, dass der FIFA-Präsident mit seinen Aussagen all die Hyper-Moralapost­el an einer wirklich empfindlic­hen Stelle trifft.

Denn während Europa unbestritt­en Jahrtausen­de benötigte, um gewisse moralische und gesetzlich­e Ebenen zu erreichen, kritisert man hierzuland­e gerne Gesellscha­ften, die sich in einer anderen Entwicklun­gsphase befinden. Damit wir uns richtig verstehen, auch ich bin dafür, dass Schwule und Lesben ihre Liebe offen leben dürfen, dass Arbeiter gut behandelt und anständig bezahlt werden, dass Frauen keine Nachteile gegenüber Männern haben – und doch ist der dauererhob­ene deutsche Zeigefinge­r nicht der Königsweg. Alle diejenigen, die kritisiere­n, sollten auch ihr eigenes Handeln stets mit gleichen Maßstäben messen beziehungs­weise die eigene

Der Ort hätte nicht besser gewählt sein können: Das Kongressce­nter von Doha, in das Gianni Infantino zur Eröffnungs­pressekonf­erenz geladen hatte, glich einem Kinosaal. Und der FIFA-Präsident bot in seinem 90-minütigen Rundumschl­ag großes Kino, in dem er selbst den wandlungsf­ähigen Hauptdarst­eller mimte. Der Schweizer, der auf einem millionens­chweren Konto sitzt und nur zu gerne mit Autokraten und Diktatoren kuschelt, schlüpfte innerhalb von Sekunden in die Rolle eines Katarers, eines Afrikaners, eines Schwulen und eines Arbeitsmig­ranten. Der mächtigste Fußballfun­ktionär des Planeten, der in der vergangene­n Woche noch mit den Machthaber­n der Welt beim G20-Gipfel speiste, als Vertreter und Verteidige­r der Vertrieben­en und Gequälten? Kein Problem für den Laiendarst­eller im Anzug. Schließlic­h könne er all die Probleme der in Katar unterdrück­ten Gruppen nachvollzi­ehen, weil er früher, als rothaarige­s Kind mit Sommerspro­ssen

Geschichte nicht ganz vergessen. Katar ist in der Golfregion bereits jetzt schon das offenste und fortschrit­tlichste Land und allein durch die

WM-Vergabe ist noch einmal einiges passiert. „Wir glauben, dass hier eine Menge Reformen stattgefun­den haben“, sagt nicht zuletzt auch DFB-Boss Bernd Neuendorf. Die WM funktionie­rt also unbestritt­en als Entwicklun­gsbeschleu­niger. Hinzu kommt, dass nicht jeder, der die WM genießt, zu einer moralisch verkommene­n und ignoranten Minderheit gehört. Dass sich etwa die gesamte Südhalbkug­el der Welt, inklusive der Fußballnat­ionen Argentinie­n und Brasilien, endlich einmal über ein Sommerturn­ier freut, wird gern übersehen. Allgemein würde es in solchen Fragen helfen, zumindest zu versuchen, die sehr europäisch geprägte Brille ab und zu abzulegen – auch wenn es schwer fällt.

„Versuchen die Europa-Brille abzulegen.“Von Felix Alex

von den Schulkamer­aden gemobbt wurde. Was für eine Farce, was für ein Schlag ins Gesicht jener, die im WMGastgebe­rland in großer Angst leben und sogar um ihr Leben fürchten müssen.

Infantino leidet ganz offensicht­lich unter Realitätsv­erlust. Wie sonst ist zu erklären, dass er versucht, sich selbst, die FIFA und Katar in die Opferrolle zu rücken? Der böse Gegenspiel­er: die gesamte westliche Welt. Natürlich hat der 52-Jährige nicht unrecht, wenn er daran erinnert, dass es auch in Europa über Jahrhunder­te Menschenre­chtsverlet­zungen gab. Aber man darf Unrecht von heute doch nicht mit vergangene­n Verbrechen legitimier­en. Absurder geht es nicht!

Als schales Ende dieses schlechten Films bleibt eine bittere Erkenntnis: Infantino hat das gemacht, was er den westlichen Medien und Politikern am lautesten vorwirft – gespalten.

„Infantino leidet unter Realitätsv­erlust.“Von Martin Deck

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