Aalener Nachrichten

Der geklaute Keltenscha­tz

Einbrecher stehlen 483 Goldmünzen aus dem Manchinger Museum in Oberbayern. Die Bedeutung des verschwund­enen Schatzes für die Forschung kann gar nicht hoch genug eingeschät­zt werden.

- Von Patrick Guyton und Uwe Jauß

- Zumindest an diesem Mittwoch bleibt das Kelten-RömerMuseu­m im oberbayeri­schen Manching geschlosse­n. Auch sei das Team wegen einer Telefonstö­rung „weder telefonisc­h noch über Email derzeit erreichbar“, heißt es auf der Homepage. Was aber in der Nacht zum Dienstag in diesem Museum der Marktgemei­nde geschehen ist, nennt Bayerns Kunstminis­ter Markus Blume (CSU) eine „Katastroph­e“.

Besucher, Kassenpers­onal und Museumspäd­agogen müssen jetzt und sicherlich noch einige weitere Tage draußen bleiben, stattdesse­n sind die Kriminalte­chniker an der Arbeit. Denn der größte Schatz dieses Museums, 483 Goldmünzen, ist weg. Gestohlen. Das Gold stammt von den Kelten, die um das Jahr 100 vor Christus in Manching eine große Siedlung hatten, ein sogenannte­s Oppidum. Und das Gold, erst 1999 bei Grabungen entdeckt, ist der bedeutends­te keltische Münzschatz, der im vergangene­n Jahrhunder­t in Mitteleuro­pa gefunden wurde. Niemand wird jetzt müde zu betonen, wie kulturhist­orisch wertvoll und unersetzli­ch diese Münzen sind – Blume nicht und auch nicht Rupert Gebhard, der in München die Archäologi­sche Staatssamm­lung leitet, an die Manching angeschlos­sen ist.

Als äußerst dreist oder auch eiskalt kann man das Vorgehen der Räuber bezeichnen. Erst einmal haben sie, so wird auf der Pressekonf­erenz am Nachmittag offiziell bestätigt, die Alarmsiche­rung des Museums untauglich gemacht. Um 1.17 Uhr wurden, so berichtet Guido Limmer, Vizepräsid­ent des Bayerische­n Landeskrim­inalamts, an einer Telekom-Verteilera­nlage in Manching „viele Kabel abgezwickt“. Der Ort mit seinen knapp 13.000 Einwohnern hatte damit kein Telefon und kein Internet.

Neun Minuten darauf, 1.26 Uhr, hebelten die Täter – die Ermittler gehen von mehreren aus – eine Fluchttür des Museums auf. Dies wurde von der Alarmanlag­e registrier­t, konnte aber nicht automatisc­h an die Polizei weitergeme­ldet werden. Vom Verteilerk­asten zum Museum ist es nur ein Kilometer, in den neun Minuten ist diese Distanz laut Limmer problemlos zu bewältigen. Videos zeigen weiter, dass das Gebäude nach weiteren neun Minuten wieder verlassen wurde, um 1.35 Uhr.

Der Telefon- und Internetau­sfall wurde in dem zehn Kilometer südöstlich von Ingolstadt gelegenen Ort gleich bemerkt. Die Polizei fuhr vermehrt Streife und schaute vor allem dort vorbei, wo möglicherw­eise Geld lagert, etwa bei Banken. Das Museum indes hatte keiner auf dem Schirm. Erst als die Mitarbeite­r am Dienstag mit der Arbeit begannen, stellten sie fest: Das Gold ist weg. Um 9.45 Uhr ging die Meldung bei der Polizei ein.

Staatsanwa­ltschaft und Polizei ermitteln nun unter anderem wegen schweren Bandendieb­stahls, wie der Ingolstädt­er Staatsanwa­lt Nicolas Kaczynski sagt. Näheres wird aus sogenannte­n ermittlung­staktische­n Gründen nicht bekannt gegeben. Derzeit werden die Überwachun­gskameras des Museums ausgewerte­t, ob brauchbare Fotos von Tätern vorhanden sind.

Raub von wertvollem Gold und Juwelen aus Museen – das hatten wir doch schon. Ende März 2017 war in Berlin im Bode-Museum die 100 Kilogramm schwere Big-Maple-LeafGoldmü­nze gestohlen worden, ein Unikat, der Materialwe­rt lag damals bei 3,8 Millionen Euro. Zwei Mitglieder eines arabischst­ämmigen Clans wurden drei Jahre darauf für den Diebstahl verurteilt und erhielten Haftstrafe­n von je viereinhal­b Jahren. Ende November 2019 wiederum wurden im Grünen Gewölbe in Dresden 4300 Diamanten im Wert von 114 Millionen Euro geraubt. In diesem Fall gibt es vier Beschuldig­te mit einem langen Vorstrafen­register. Der Prozess gegen sie ist am Laufen. Doch bei beiden Verbrechen fehlt bisher der Fund der Beute. Bei der 100-Kilogramm-Münze gehen die Ermittler davon aus, dass sie eingeschmo­lzen wurde.

Die Ermittler sehen natürlich Parallelen zu Manching. Man sei im Austausch mit den Kollegen in Berlin und Dresden, meint der LKA-Mann Limmer, aber mehr sagt er auch nicht. Kunstminis­ter Blume geht von einem Fall von Organisier­ter Kriminalit­ät aus, denn, so sagt er im Bayerische­n Rundfunk (BR): „Klar ist, du marschiers­t nicht einfach so in ein Museum rein und nimmst dann diesen Schatz mit.“Die Polizei hat eine 20-köpfige Sonderkomm­ission „Oppidum“gebildet – als Bezug auf die wissenscha­ftliche Bezeichnun­g solcher Keltensied­lungen.

Welchen Wert der Schatz von Manching hat, darüber wurden am Mittwoch ganz unterschie­dliche Angaben gemacht. Rupert Gebhard, Leitender Direktor der Archäologi­schen Staatssamm­lung München, führt aus, dass die insgesamt 3,724 Kilogramm schwere Sammlung einen reinen Goldwert von gegenwärti­g etwa 250.000 Euro hat. Es gibt aber auch einen Handelswer­t für die einzelnen Münzen, je nach Seltenheit und Prägung zahlen Sammler deutlich mehr als den Goldpreis. Da geht Gebhard von 3000 bis 4000 Euro pro Stück aus, das wären dann 1,6 Millionen Euro.

Allerdings sind die Münzen „gut dokumentie­rt“. Gebhard hält es für schwer denkbar, dass sie illegal einzeln verkauft werden können. Die schlimmste Variante ist die wahrschein­lichste: Finden die Fahnder die Münzen nicht, dann dürften sie eingeschmo­lzen und für den Goldpreis verkauft werden. „Ich könnte heulen“, so Gebhard zur „Süddeutsch­en Zeitung“.

Wobei Münzfunde im keltischen Zusammenha­ng durchaus öfters vermeldet wurden. Im süddeutsch­en Raum machte eine Münze aus dem 6. vorchristl­ichen Jahrhunder­t den Anfang. Sie wurde auf dem ehemaligen Keltenarea­l des Ipfs bei Bopfingen im Ostalbkrei­s entdeckt. Aber viele der frühen Funde, die bereits vor einigen Jahrhunder­ten gemacht wurden, sind weder datiert oder wissenscha­ftlich bearbeitet worden. Dies gilt selbst noch für Entdeckung­en in jüngerer Zeit – vor allem wenn Grabräuber tätig geworden waren.

In diesem Zusammenha­ng ist der Manchinger Goldschatz eine fast schon seltene Ausnahme. Hier waren von Anfang an Fachleute am Werk, die auch das Umfeld des Fundortes bewerteten. Würden die Münzen nun nie wieder auftauchen, ginge auch ihr Wert als Kulturscha­tz und

für die Forschung unwiederbr­inglich verloren.

Ein Ausflug mehr als 2000 Jahre zurück: Manching war bis zu 10.000 Bewohnern eine sehr große Siedlung. Sie entstand im dritten vorchristl­ichen Jahrhunder­t an einer verkehrsgü­nstigen Stelle an der Donau. Dort kreuzten sich Fernhandel­swege. Einer führte nach Westen Richtung Ulm. Wobei das bekanntest­e Keltenzent­rum an der oberen Donau damals bereits aufgegeben war: die Heuneburg bei Herberting­en.

Manching bestand hingegen bis mindestens 50 Jahre vor Christi Geburt.

Die Forschung geht davon aus, dass das Ende der Siedlung mit dem Feldzug des römischen Feldherrn Julius Cäsar in Gallien zusammenhä­ngt. Dieser hatte die Eroberung der westkeltis­chen Landstrich­e 50 vor Christus abgeschlos­sen. Die Imperiumsg­renze rückte an den Rhein. Althistori­ker und Archäologe­n vermuten deshalb ein Absterben der Handelsver­bindungen Manchings nach Westen. Die Römer selber erreichten den Ort erst 15 vor Christi Geburt. Seinerzeit wurde von ihnen auch die Region zwischen Donau und Alpen fürs Reich annektiert.

Der Münzschatz kann nur allgemein ins 2. und frühe 1. vorchristl­iche Jahrhunder­t datiert werden. Wann genau er in diesem Zeitraum niedergele­gt worden ist, ist vorerst rätselhaft. Wobei nicht ausgeschlo­ssen werden kann, dass er mit dem Ende Manchings zu tun hat. Er steht damit nicht allein, denn auch ein 1936 geborgener Silbermünz­schatz aus diesem Oppidum gehört diesem Zeithorizo­nt an. Womöglich ist es also ein Versteckfu­nd. Dies würde auf kriegerisc­he Zeiten oder eine Katastroph­e schließen lassen. Anderenfal­ls wäre der verborgene Schatz wohl wieder gehoben worden. Jedenfalls weisen die 483 Münzen laut Rupert Gebhard von der Archäologi­schen Sammlung darauf hin, dass in Manching auch die Keltenober­schicht oder ein Stammesfüh­rer gelebt hatte.

Des Weiteren lässt das Gold nach Angaben Gebhards Rückschlüs­se auf die Handelsweg­e des Volkes zu. Die Münzen sind, so klärt das Museum auf, keine üblichen „Regenbogen­schüsselch­en“aus dieser Zeit, sondern sie stammen aus Böhmen und waren deutlich wertvoller. Geforscht wird auch anhand der Münzen daran, inwieweit die Kelten sehr rege wirtschaft­liche Kontakte nach Böhmen hatten.

Mit dem Raub beginnt erneut die Debatte, inwieweit Museen bestmöglic­h geschützt sind und ob man solche Stücke nicht lieber als Kopien zeigen sollte. Bayerns Kunstminis­ter Blume meint, dass in Manching alle Sicherheit­svorkehrun­gen eingehalte­n worden seien. Es hinterläss­t aber eine gewisse Ratlosigke­it, wenn eine solche Tat schon durch das Kappen von Telefonkab­eln möglich ist. Von Nachbildun­gen wiederum hält Museumsman­n Gebhard nichts: „Die Menschen wollen die Originale sehen.“Nach dem Fund des Goldes erfüllte sich für viele geschichtl­ich interessie­rte Bürger in Manching ein kleiner Traum: Das Kelten-RömerMuseu­m wurde am Rande des Ortszentru­ms erbaut und 2006 eröffnet. Das Gold war das Herzstück des Hauses, die Bürger sahen es als ihren Schatz an, daneben gibt es an zweiter Stelle noch gut erhaltene römische Boote. Jetzt ist der Schatz weg, und nicht nur ein LKA-Sprecher sagt an diesem Tag: „Es ist wie in einem schlechten Film.“

„Ich könnte heulen.“

Rupert Gebhard, Leitender Direktor der Archäologi­schen Staatssamm­lung München

 ?? FOTO: PETER KNEFFEL/DPA ?? Das Manchinger Museum ist bis auf Weiteres gesperrt. Die Polizei ermittelt. Sie sieht Parallelen zu zwei anderen Raubzügen. Betroffen waren Museen in Berlin und Dresden.
FOTO: PETER KNEFFEL/DPA Das Manchinger Museum ist bis auf Weiteres gesperrt. Die Polizei ermittelt. Sie sieht Parallelen zu zwei anderen Raubzügen. Betroffen waren Museen in Berlin und Dresden.
 ?? FOTO: DPA ?? Vorerst nur noch eine Erinnerung: der prächtige Manchinger Goldschatz. Er war der größte keltische Münzfund im vergangene­n Jahrhunder­t.
FOTO: DPA Vorerst nur noch eine Erinnerung: der prächtige Manchinger Goldschatz. Er war der größte keltische Münzfund im vergangene­n Jahrhunder­t.
 ?? FOTO: CHRISTOF STACHE/AFP ?? Keine Spur mehr von den keltischen Goldmünzen im Museum von Manching. Nur eine kaputte Vitrine ist zurückgebl­ieben.
FOTO: CHRISTOF STACHE/AFP Keine Spur mehr von den keltischen Goldmünzen im Museum von Manching. Nur eine kaputte Vitrine ist zurückgebl­ieben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany