Aalener Nachrichten

Eine Stunde ohne Widerspruc­h

Bei einer Buchvorste­llung in Berlin sind Friedrich Merz und Sigmar Gabriel ganz nah beieinande­r

- Von Claudia Kling

- Für Friedrich Merz läuft es in dieser Woche wie geschmiert. Der Kompromiss beim Bürgergeld, ein Erfolg für den CDU-Chef und Unionsfrak­tionsvorsi­tzenden. Merz bemüht sich zwar, den Triumph nicht verbal auszukoste­n, doch für seine Verhältnis­se wiederholt er nahezu genüsslich, wie sehr es ihn überrascht habe, dass SPD und Grüne so schnell zu Abstrichen beim Bürgergeld bereit waren. Das sagt er zuerst mittags im Bundestag und noch einmal am Dienstagab­end, als Sigmar Gabriel neben ihm sitzt. In einem Hotel in Berlin wird ein Buch über Merz vorgestell­t – „Der Unbeugsame“heißt es.

Die Autoren, Jutta Falke-Ischinger, frühere Politikche­fin des „Rheinische­n Merkur“, und Daniel Goffart, Chefreport­er der „Wirtschaft­swoche“, erzählen darin mit sehr viel Wohlwollen über Merz‘ Weg in die Politik, seine Zeit in der Welt der Wirtschaft sowie sein politische­s Comeback. Bei so viel Zuspruch dürfte die Zufriedenh­eitskurve des CDU-Vorsitzend­en an dem Abend noch einmal steil angestiege­n sein.

Auch Gabriel, sonst nicht um offene Worte verlegen, erfüllt seine Rolle bei diesem Anlass vollständi­g. Kein Wort der Kritik an seinem Freund „Friedrich“, ganz im Gegenteil. Wenn Merz über Bürgergeld, Klimapolit­ik und die deutsch-amerikanis­chen Beziehunge­n spricht, ist er ganz bei ihm.

„Gelegentli­ch ist es so, dass man in der anderen Partei schneller Freunde findet als in der eigenen“, sagt Gabriel. So wirklich überrasche­nd ist diese Aussage nicht, der frühere Außenminis­ter und Vizekanzle­r hat es den Sozialdemo­kraten ja auch nicht immer leicht gemacht. Ein Alphatier halt – da funktionie­ren Freundscha­ften eher über Parteigren­zen hinweg. Aber nicht nur der Wille, Führung zu übernehmen, verbindet die beiden, Gabriel sieht in Merz wohl auch ein wenig sich selbst. „Der Friedrich“sei immer mit offenem Visier in Auseinande­rsetzungen gegangen, habe keine Kompromiss­e gemacht. Das wird der eine oder andere Sozialdemo­krat wohl auch so über Gabriel sagen.

Merz tut derweil so, als wäre ihm das Buch und die damit verbundene­n freundlich­en Worte fast ein wenig unangenehm. Er hadere etwas „mit solchen Selbstbetr­achtungen“, räumt er ein. Gelesen hat er es natürlich dennoch – und für gut befunden. Aber viel lieber spricht er darüber, was die Christdemo­kraten tun müssen, um bei der nächsten Wahl keine solche Schmach zu erleben wie im vergangene­n Jahr. Zwei große Themen

hat er als entscheide­nd identifizi­ert: die sozialen Sicherungs­systeme und den Klimawande­l. „Wir müssen, ich sage es mal vorsichtig, die latente Technikske­psis überwinden“, sagt er. Nur dann werde es möglich, den Klimaschut­z voranzutre­iben, ohne Wohlstands­verluste zu riskieren. Die Vereinbark­eit von Klimaschut­z und Ökonomie sei eine Leerstelle in der Politik, betont auch Gabriel. Vielleicht sei es Friedrich Merz auf den Leib geschriebe­n, diese Herausford­erung zu lösen. Denn dieser habe ja, wie er selbst, „Erfahrunge­n in der Ökonomie“.

Eine Stunde, in der niemand widerspric­ht. Für den Opposition­sführer und Fraktionsc­hef Merz muss das erholsam sein. Da kann er doch ein wenig über sich selbst sprechen, über sein Selbstvers­tändnis als „Teamplayer“, der beständig versuche, andere Politiker aus der Fraktion, auch die Frauen, „nach vorne zu bringen“. Über sein Ziel, die CDU so stark zu machen, dass nach der nächsten Bundestags­wahl nicht ohne sie regiert werden könne. Ihm sei auch bewusst, dass er „an der einen oder anderen Stelle freundlich­er sein könnte“, räumt Merz ein. Für seinen Freund Sigmar Gabriel reicht es aber auch so. Friedrich Merz sei „nicht so abgebrüht“, wie er häufig dargestell­t werde. Sonst wäre er bei seiner ersten Bewerbungs­rede für den CDU-Vorsitz im Dezember 2018 souveräner gewesen, ist Gabriel überzeugt.

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FOTO: CARSTEN KOALL/DPA Zwei, die sich verstehen: Ex-Minister Sigmar Gabriel (SPD) und der CDU-Vorsitzend­e Friedrich Merz. Gabriel stellte in Berlin ein neues Buch über Merz vor – mit dem Titel „Der Unbeugsame“.

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