Aalener Nachrichten

Licht aus! Spot an!

Ilja Richter wird heute 70 – Bekannt wurde er als Moderator der Sendung „Disco“

- Von Lena Lachnit und Gerd Roth

(dpa) - Er verdreht nicht die Augen. Nach einem Austausch über Theater, Film, Humor, sein Leben als Jude in Deutschlan­d oder sein Buch lässt sich Ilja Richter scheinbar widerstand­slos auch Fragen über „Disco“gefallen. Die mit Trash-Elementen zum Kult gewordene Musiksendu­ng hat ihren Moderator in den 1970er-Jahren berühmt gemacht. Das ist allerdings ein halbes Jahrhunder­t her. Am Donnerstag wird der scheinbar ewige Sunnyboy 70 Jahre alt. Es ist einiges passiert in der Zeit, Richter hat viel gemacht. Und doch wird über „Disco“zu reden sein – dann halt etwas später.

Richter schlägt für das Gespräch einen Friedhofsp­ark in Ostberlin vor. Geboren ist er 1952 in Karlshorst, damals noch Stadtteil der Hauptstadt der DDR. Wenig später zieht die Familie in den Westen der Stadt, zwischenze­itlich geht es nach Köln. Richter wohnt wieder in Ostberlin, er nennt es so. „Die Bezeichnun­gen Ostberlin und Westberlin sind natürlich ein Anachronis­mus, weil wir Gott sei Dank nicht mehr in vier Sektoren leben. Anderersei­ts ist es von der Topografie her richtig.“

Er sagt auch: „Man sollte nicht mitmachen beim Verwischen von

Spuren.“Etwa beim Palast der Republik, nach der Einheit asbestbedi­ngt abgerissen­er Vorzeigeba­u der DDR. Im Herzen Berlins steht nun das Humboldt Forum hinter nachgemach­ter Barockfass­ade. „Die Rekonstruk­tion eines Schlosses ist für mich die Disneyisie­rung von Geschichte.“

Verwischen von Spuren kennt Richter aus der Familie. „Ich habe bestimmte Dinge gelebt, nur nach draußen sollte ich das nicht sagen. Das wollten die Eltern nicht. Weder über Judentum noch darüber, dass der Papa Kommunist war. Das alles war tabu“, erzählt Richter. Es gibt einen Grund. „Damit es mir gut geht und nichts passiert.“Antisemiti­smus ist nach seiner Beobachtun­g in Deutschlan­d schamloser geworden. „Vorher war er versteckt, jetzt ist er schamlos.“

Richter nennt sich einen Fünf-Minuten-Juden. „Ich finde den Begriff immer noch gut. Ich bin eben kein Vertreter der Jüdischen Gemeinde, aber ich habe jüdische Wurzeln. Die jüdischen Menschen sind mir näher als die anderen, weil es in dem Moment ja familiär wird.“

Seine Mutter bringt Ilja mit acht Jahren zum Radio. Er ist das Mäuschen Kukuruz im Hörspiel „Schwarz auf weiß“, die Verfilmung des Märchensto­ffes von Ephraim Kishon macht ihn zum Kinderstar. Es folgen Theaterrol­len, das ZDF holt ihn für eine Serie. Dort übernimmt Richter mit 16 zunächst als Co-Moderator, später allein die Musiksendu­ng „4-32-1 Hot & Sweet“.

Daraus wird 1971 „Disco“. Richters Markenzeic­hen steht nicht für seinen Musikgesch­mack. „Die ,Disco’ war ein musikalisc­her Gemischtwa­renladen“, sagt er. „Die Redaktion streute so breit, dass vom deutschen Schlager über Country und Rock und Pop alles drin war, weil es eine hohe Zuschauerq­uote bekommen sollte.“Das klappte.

Als „Anachronis­mus“habe er Klassik, Jazz und Musical eingebrach­t. Richters von ihm gedichtete, gespielte, gesungene Sketche reichen bis zu banalem Klamauk. Zu seinem Stempel auf der Sendung gehören Rituale. Etwa auch die Präsentati­on eines besonderen Studiogast­es: Richter: „Licht aus!“Alle: „Whomm!“Richter: „Spot an!“Alle: „Jaaa!“Den bis heute bekannten Spruch nutzt damals auch die niederländ­ische Moderatori­n Mies Bouwman in ihrer Sendung „Eén van de acht“.

Zwischen seinen meist leger gekleidete­n Studiogäst­en der auch von Hippietum geprägten 1970er-Jahre sticht Richter in Anzug, Hemd und Krawatte hervor. „Der Anzug war mein Kampfanzug“, sagt Richter. „Ich habe ja gelitten darunter, dass viele Linke glaubten, ich wäre rechts, weil ich da Anzug trug.“Ein Grund: „Meine Jugend fand im Fernsehstu­dio statt und nicht auf Demos.“

Richter zählt 143 „Disco“-Sendungen bis 1982. Seitdem steht er vor TVund Filmkamera­s oder auf Theaterbüh­nen. Er spielt und singt. Mitunter schreibt er die Stücke selbst oder führt Regie. Oder beides. Richter synchronis­iert Filme, spricht Hörspiele und Hörbücher. Er schreibt auch Bücher, zuletzt den Band „Nehmen Sie’s persönlich“mit Porträts. „Es geht um mich. Warum mich diese Menschen beschäftig­t haben oder noch immer beschäftig­en.“

Wie bezeichnet er sich selbst bei dieser Bandbreite? „Ich bin ein schreibend­er Schauspiel­er und nenne mich heute auch Chansonnie­r. Das ist meine jüngste Karriere.“Mit 70 ergeben sich auch Gedanken an ein Ende. „Der Tod ist ein Mitarbeite­r Gottes. Der Tod ist nichts Bösartiges.“Schnell schickt er sein RichterLäc­heln hinterher: „Ich bin nicht begeistert davon, wenn er kommt.“

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FOTOS: ZDFTHEATER­KANAL/GEORG MEYER-HANN/DPA Ilja Richter moderierte 143 „Disco“-Sendungen.
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