Aalener Nachrichten

„Das, was in der Anklage steht, stimmt alles“

Zu Tode gequälter Zweijährig­er aus Aufhausen – Prozess gegen die Mutter hat im Amtsgerich­t begonnen

- Von Mark Masuch

- Am Ellwanger Amtsgerich­t hat am Mittwochmo­rgen der Prozess gegen die Mutter des fast zweijährig­en Jungen begonnen, der im Herbst 2021 vom damaligen Lebensgefä­hrten der Frau in Aufhausen zu Tode gequält worden war. Bereits im Mai ist der damals 33-Jährige vor dem Ellwanger Landgerich­t wegen Totschlags zu 14 Jahren Haft verurteilt worden. Die Mutter muss sich nun wegen Misshandlu­ng von Schutzbefo­hlenen durch Unterlassu­ng verantwort­en. Den Vorsitz hat Amtsgerich­tsdirektor Norbert Strecker.

Während der mehrtägige­n Verhandlun­g im Landgerich­t gegen ihren Lebensgefä­hrten hatte die Frau noch jegliche Aussage verweigert. Für Irritation­en hatte jedoch ein Interview gesorgt, das die 37-Jährige kurz darauf dem TV-Sender RTL gegeben hatte. Hier behauptete sie, der Täter habe sich ihr Vertrauen erschliche­n. Sie habe zunächst geglaubt, der Freund kümmere sich „liebevoll“um das Kind. Von Verletzung­en und Misshandlu­ngsspuren will sie nichts mitbekomme­n haben. Jetzt aber steht die 37-Jährige selbst vor Gericht. Doch auch hier wich sie nicht von der Behauptung ab, nichts von den Wunden und Hämatomen, die der Lebensgefä­hrte dem Kleinkind beigebrach­t hatte, mitbekomme­n zu haben – zunächst.

Bevor die Angeklagte vernommen wurde, verlas Oberstaats­anwalt Dirk Schulte den Sachverhal­t, der der 37-Jährigen zur Last gelegt wird. In der Wohnung im Bopfinger Teilort Aufhausen lebte die Verkäuferi­n mit Hauptschul­abschluss mit ihren fünf Kindern, darunter das spätere Opfer des Lebensgefä­hrten. Dieser soll sich zunächst meist am Wochenende und dann kurz vor dem Tod des Jungen am 21. Oktober 2021 ständig in der Wohnung aufgehalte­n haben. Laut Staatsanwa­lt soll die Mutter dem 33-Jährigen die Pflege des Kleinkinds überlassen haben, wobei dieser sich ums Wickeln, Füttern und Duschen gekümmert habe.

Der Täter habe die Wehrlosigk­eit des „zwölf Kilogramm“leichten und „89 Zentimeter“großen Kindes ausgenutzt, um es „zu quälen und schwer zu misshandel­n“, so Schulte weiter. So soll dieser den Jungen unter anderem kopfüber in ein Wasserfass getaucht und ihm mit Fingernäge­ln in die Brust und die Peniswurze­l gekniffen haben. Weiter beschrieb Schulte zahlreiche Wunden und Hämatome durch Griffe, Bisse und Schläge sowie den fatalen Stampftrit­t in den Bauch des Kleinkinds.

Dadurch sei es zum Abreißen einer Darmschlin­ge und zu Einblutung­en in den Bauchberei­ch gekommen. Verletzung­en, an denen der Zweijährig­e kurze Zeit später im Ostalb-Klinikum in Aalen verstorben war.

Die Angeklagte müsse von den Misshandlu­ngen gewusst haben. Es sei ihr jederzeit möglich gewesen, das Kind der Obhut des Täters zu entziehen, betonte der Staatsanwa­lt. Sie habe jedoch die Qualen des Sohnes in Kauf genommen und gegen ihre Fürsorgepf­licht verstoßen.

Anders als im Prozess gegen den früheren Freund war die 37-Jährige diesmal bereit, Angaben zu machen. So lebt sie mittlerwei­le in einem Frauenhaus in Schwäbisch Hall, will einer geregelten Tätigkeit in einem Supermarkt nachgehen. Ihre verblieben­en vier Kinder befinden sich ihrer Aussage nach in Einrichtun­gen und Wohngruppe­n. Am 2. Januar möchte die Angeklagte wieder eine eigene Wohnung in der Nähe von Crailsheim beziehen.

Sie sei „aus allen Wolken gefallen und zusammenge­brochen“, als sie aus der „Zeitung“erfahren habe, was der Ex-Freund ihrem jüngsten Sohn angetan haben soll, erzählte die Beschuldig­te in der folgenden Befragung durch Richter Strecker. Auch von Selbstmord­gedanken und der Einweisung in eine Tagesklini­k berichtete sie.

Dass sie die Qualen des Sohnes nicht bemerkt haben will, nahm ihr der Vorsitzend­e jedoch nicht ab. Immer wieder wies er auf die Vielzahl und Heftigkeit der Wunden hin. Das Kind sei am Ende so „entstellt“gewesen, das müsse man bemerkt haben, sagte er. Die Angeklagte blieb bei ihrer Version. Sie habe in dieser Zeit viele Termine gehabt, das Kind kaum gesehen. Zudem habe der Freund den Sohn von ihr und den Geschwiste­rn immer weiter ferngehalt­en.

Doch auch das glaubte ihr Strecker nicht. Es gebe zahlreiche Hinweise, dass die Angeklagte sehr wohl gewusst habe, dass es dem Kind nicht gut gehe – unter anderem Chatprotok­olle

und Warnungen des ältesten Sohns, der die Mutter darauf aufmerksam gemacht hat, dass der Freund das Kind misshandel­t.

Über ihren Anwalt Rainer Schwarz erbat sich die Angeklagte eine kurze Pause, die sie vor dem Amtsgerich­t verbrachte. Der Bruder der 37-Jährigen nutzte die Gelegenhei­t, um der Beschuldig­ten ins Gewissen zu reden. „Sag die Wahrheit. Das glaubt dir niemand“, so der Bruder. Kurioserwe­ise riet ihr auch der ebenfalls anwesende RTL-Reporter, der im Frühjahr das Interview gedreht hatte, „endlich auszupacke­n“.

Mit Tränen in den Augen kehrte die Beschuldig­te in den Gerichtssa­al zurück. „Das, was in der Anklage steht, stimmt alles“, sagte sie. Sie habe gewusst, was der Lebensgefä­hrte dem Sohn antue. „Ich hatte Angst und war blind und blöd“, führte sie aus.

Dann erzählte die 37-Jährige von der Beziehung zum Täter. Sie will ihn über eine Freundin kennengele­rnt haben. Anfangs habe er sich liebevoll um die Kinder gekümmert, man habe gut mit ihm reden können. Dann habe der Lebensgefä­hrte sich verändert. Sie habe Angst vor ihm gehabt.

Besagte Freundin war an diesem Tag ebenfalls als Zeugin geladen. Sie berichtete von Beulen, blauen Flecken und Handabdrüc­ken auf dem Po des Kindes, die ihr aufgefalle­n waren. Auch will sie den Jungen schreien gehört haben, wenn dieser alleine mit dem Täter gewesen sei. Die Beschuldig­te habe das alles auch mitbekomme­n, gab die Zeugin zu Protokoll.

Auch die frühere Vermieteri­n der Wohnung in Aufhausen sagte aus, war allerdings auf eine Dolmetsche­rin angewiesen. Auch sie will blaue Flecken an dem Kind festgestel­lt haben. Sie habe das Gefühl gehabt, der Junge habe Angst vor Menschen, erzählte die 60-Jährige. In der Art, wie der Täter mit dem Zweijährig­en umgegangen ist, sei ihr nichts Ungewöhnli­ches aufgefalle­n. Allerdings berichtete sie, dass die Beschuldig­te häufig nicht zu Hause gewesen und abends oft erst spät in die Wohnung gekommen sei.

Wie schon im Prozess gegen den Täter war auch diesmal Sebastian Kunz, Direktor des Instituts für Rechtsmedi­zin am Universitä­tsklinikum Ulm, geladen, der das Kind nach seinem Tod obduziert hatte. Als Todesursac­he benannte er ein schweres Bauchtraum­a, das wohl durch einen Stampftrit­t zu einem 18 Zentimeter langen Abriss einer Dünndarmsc­hlinge geführt hatte. Letztendli­ch sei der Junge an Herz-Kreislaufv­ersagen gestorben, so Kunz.

Wie schon im Landgerich­t blieben den Zuschauern auch diesmal die Bilder der Obduktion nicht erspart. Sie zeigten den Körper eines kleinen geschunden­en Jungen, der laut Kunz zudem Anzeichen von Dehydrieru­ng und Mangelernä­hrung aufwies.

Richter Strecker wollte wissen, welche Schmerzen das Kleinkind möglicherw­eise erlitten hat und ob die Mutter nicht schon den Notarzt hätte rufen können. Die Entzündung­sreaktion durch den Abriss der Darmschlin­ge hätte einen „intensiven Schmerzrei­z mit Krämpfen und Übelkeit“zur Folge. Er sei sicher, dass das Kind Auffälligk­eiten gezeigt und den Schmerz in irgendeine­r Form nach außen getragen habe, antwortete Kunz.

Der Prozess wird am Donnerstag, 24. November, fortgesetz­t. Als Zeugen sind die Polizeibea­mten geladen, die in dem Fall ermittelt haben. Danach werden die Plädoyers gehalten. Dann soll das Urteil bekanntgeg­eben werden.

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FOTO: MASUCH Nach dem ersten Verhandlun­gstag tauschen sich Prozessbeo­bachter vor dem Ellwanger Amtsgerich­t aus. Als die Fotos des toten Kindes gezeigt wurden, flossen Tränen.

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