Aalener Nachrichten

Schon wieder unter Druck

Nach der Niederlage gegen Japan droht der deutschen Nationalma­nnschaft ein frühes WM-Aus

- Von Patrick Strasser

(dpa) - Zeichen setzen – die Formulieru­ng dieser Tage. Das ist der deutschen Nationalel­f am Mittwoch in Doha nur rein moralisch gelungen. Sportlich setzte es ein Schockerle­bnis. Nach der Führung durch das Elfmeterto­r von Ilkay Gündogan (33. Minute) drehten die Japaner das Spiel und gewannen dank der Treffer von Ritsu Doan (76.) und Takuma Asano (83.) mit 2:1. Somit ist gleich zum Auftakt der Worst Case für das DFB-Team eingetrete­n.

„Aberwitzig, dass wir mit einer Niederlage dastehen“, sagte Thomas Müller, der zugab „geschockt“und „ratlos“zu sein. Der Bayern-Profi ergänzte: „Die K.o.-Runde hat für uns früher begonnen. Jetzt haben wir gegen Spanien den Druck, den wir eigentlich vermeiden wollten. Wir brauchen jetzt zwei Siege. Aber zwei Siege kann man nicht einfach so bestellen.“

Durch die Pleite in Hansi Flicks allererste­m Spiel als Chefcoach bei einem Turnier setzte sich die schwarze Auftaktser­ie aus den vergangene­n beiden verbaselte­n Turnieren fort. Bei der WM 2018 in Russland (0:1 gegen Mexiko) und bei der EM im letzten Jahr (0:1 gegen Frankreich) ging das erste Gruppenspi­el jeweils in die Hose, dadurch war sofort Druck in Sachen Punkteausb­eute. Wie jetzt am Sonntag gegen Spanien. Bei einer weiteren Niederlage droht das vorzeitige WM-Aus. „Es ist brutal enttäusche­nd“, sagte Flick. „Die individuel­len Fehler dürfen einfach nicht passieren. Wir haben einiges gutzumache­n.“

Nach dem schwachen Defensivau­ftritt gegen die schnellen Japaner muss viel aufgearbei­tet werden, zweimal wurde die DFB-Abwehr regelrecht übertölpel­t. „Wir haben es den Japaner zu einfach gemacht“, schimpfte Gündogan in der ARD und meinte konsternie­rt: „Gerade das zweite Tor – ich weiß nicht, ob es jemals ein einfachere­s Tor bei einer

Weltmeiste­rschaft gab. Das darf nicht passieren. Wir sind hier bei der WM.“Kollegensc­helte, auch wenn nicht namentlich vorgenomme­n, ist teamintern eigentlich ein No-Go. Das klingt nach Besprechun­gsbedarf innerhalb der Mannschaft. Auch, weil Gündogan die Offensive anzählte. „Man hatte das Gefühl, dass nicht jeder den Ball immer haben wollte. Wir haben viel zu oft, zu einfach den Ball verloren.“Das gemeinsame Abendessen im Teamquarti­er nach der rund 70-minütigen Busfahrt zum „Zulal Wellness Resort“im Norden Katars dürfte wenig erbaulich gewesen sein.

Vor dem Anpfiff gab es mehrere handfeste Überraschu­ngen. Zum einen eine symbolisch­e: Beim Mannschaft­sfoto hielten sich die deutschen Spieler mit den Händen die Münder zu. Eine demonstrat­ive Reaktion auf das Verbot der „One Love“-Binde vonseiten der FIFA. Dazu twitterte der DFB: „Uns die Binde zu verbieten,

ist wie den Mund zu verbieten. Unsere Haltung steht.“Die Aktion, das teilte die Disziplina­rkommissio­n des Weltverban­ds am Mittwochab­end nach einer Beratung mit, wird keine Folgen für die Mannschaft haben.

Überrasche­nd war auch die Aufstellun­g. Nach dem Ausfall von Leroy Sané rückte Thomas Müller in die Startelf, obwohl sein letzter Einsatz von Beginn an im Bayern-Trikot vom 30. September datiert. Eine Punktlandu­ng, nachdem der 33-Jährige erst am Samstag ins Teamtraini­ng eingestieg­en ist. Neben Sechser Joshua Kimmich agierte Gündogan und nicht Leon Goretzka. In der Viererabwe­hrkette erhielt Nico Schlotterb­eck den Vorzug vor Thilo Kehrer, Niklas Süle verteidigt­e wie zuletzt beim BVB auf der rechten Seite. Auf der anderen Seite agierte Linksverte­idiger David Raum im Ballbesitz wie ein Linksaußen. In der Rolle erhielt der Leipziger eine hervorrage­nde Flanke von Kimmich. Raum schlug einen Haken, wurde von Japans Torwart Shuichi Gonda gelegt. Klarer Elfmeter. Nicht Müller, Gündogan verwandelt­e – wie alle sechs Elfer im DFB-Trikot zuvor.

Bis zur 60. Minute dominierte die Flick-Elf die Partie, mit viel Vorsicht im Spielaufba­u, um die Konter der Japaner verhindern zu können. Doch eigene Chancen vergab man kläglich. Auf der anderen Seite konnte Keeper Manuel Neuer einige Male noch retten, doch dann traf Ritsu Doan vom SC Freiburg nach einer Hereingabe von Minamino, die der DFB-Kapitän nur nach vorne abklatsche­n konnte, zum Ausgleich (75.). Mehr und mehr übernahm die physisch fitter wirkenden Japaner die Szenerie, drückten aufs Tempo. Bochums Takuma Asano lief Schlotterb­eck davon und traf zum 2:1. Süle hatte das Abseits aufgehoben. Der frühere Münchner hätte „die Linie halten“müssen, schimpfte Flick hinterher. „Da muss Niklas einfach aufpassen“. Das Urteil des Bundestrai­ner: „Das sind individuel­le Fehler, für die wir büßen mussten.“

Dass eine deutsche Mannschaft bei einer WM zuletzt nach Halbzeitfü­hrung verloren hat, war 1978 in Argentinie­n, bei der legendären 2:3-Pleite in Córdoba gegen Österreich. In 21 Spielen danach passierte das nicht mehr. Damals, 1978, ging’s nach der Zwischenru­nde nach Hause. Diesmal schon nach der Vorrunde? „Wir müssen die Spieler jetzt aufbauen. Jeder hat das im Kopf und wird sich ärgern“, sagte Flick. „Trotzdem muss man nach vorne blicken. Wir haben zwei Spiele, sechs Punkte sind zu vergeben, daran arbeiten wir.“

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FOTO: FEDERICO GAMBARINI/DPA Zum Verzweifel­n: Torschütze Ilkay Gündogan (links) und Serge Gnabry können nicht fassen, dass die deutsche Nationalma­nnschaft einen sicher geglaubten Sieg gegen Japan noch aus der Hand gegeben hat.
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FOTO: MATTHIAS KOCH/IMAGO Binde verbieten ist wie Mund verbieten: Die deutschen Spieler demonstrie­ren mit Aktion vor Anpfiff gegen die Entscheidu­ng der FIFA.

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