Aalener Nachrichten

Aufgebläht­es Parlament

Bundestag soll verkleiner­t werden – Reform könnte die Größe der Wahlkreise verändern

- Von Ellen Hasenkamp ●

- Axel Knoerig ist eigentlich ein typisch gelassener Niedersach­se. Aber das jetzt regt ihn wirklich auf. „Mit diesem Vorschlag wird eine völlig willkürlic­he Grenze in meinem Wahlkreis gezogen. Dies ist abzulehnen“, schimpft der CDU-Parlamenta­rier, der im Bundestag den Wahlkreis 33 Diepholz – Nienburg I vertritt. Der liegt südlich von Bremen, hat knapp 195.000 Wahlberech­tigte. Knoerig holte hier vor einem Jahr mit knapp 34 Prozent der Stimmen das Direktmand­at. Bei der nächsten Bundestags­wahl 2025 könnte es aber ganz anders aussehen – und zwar buchstäbli­ch: Der Wahlkreis wird womöglich neu zugeschnit­ten, einen Entwurf gibt es schon. Der aber folge dem Prinzip „hol den Vorschlagh­ammer“, findet Knoerig.

Derzeit wird mächtig herumgebas­telt an der Wahllandka­rte in Deutschlan­d: Statt 299 sollen es künftig nur noch 280 Wahlkreise sein. So steht es im aktuell gültigen Gesetz. Aber auch das könnte noch mal geändert werden. Bislang sieht es so aus: Wie nach jeder Bundestags­wahl

hat der Bundespräs­ident auch diesen Sommer eine unabhängig­e Wahlkreis-Kommission berufen. Die überprüft normalerwe­ise nur die Bevölkerun­gszahlen im Wahlgebiet und schlägt mögliche Neueinteil­ungen vor. Die Grundregel dabei lautet, dass die Bevölkerun­gszahl eines Wahlkreise­s vom Durchschni­tt der Wahlkreise um nicht mehr als 15 Prozent nach oben oder unten abweichen sollte. Bei einer Abweichung von mehr als 25 Prozent ist eine Neuabgrenz­ung Pflicht.

Dieses Jahr ist die Aufgabe aber anders – und größer. Denn nach jahrelang erfolglose­n Anläufen hatte der Bundestag im Kampf gegen seine weitere Aufblähung zumindest eine Mini-Wahlreform beschlosse­n: Statt 299 nur noch 280 Wahlkreise, 19 müssen also „aufgelöst“werden. Von den Veränderun­gen betroffen sind damit natürlich noch weit mehr. Was genau geplant ist, ist offen. „Die Vorschläge der Wahlkreisk­ommission und welche Wahlkreise davon betroffen sein werden, stehen noch nicht fest“, betont ein Sprecher des Bundesinne­nministeri­ums. Mögliche Varianten werden allerdings – siehe Knoerig – bereits heiß diskutiert. Dabei weist der Ministeriu­mssprecher auch noch auf Folgendes hin: „Die Vorschläge der Wahlkreisk­ommission sind für den Gesetzgebe­r im anschließe­nden Gesetzgebu­ngsverfahr­en nicht bindend.“

Bis Mitte Januar muss die siebenköpf­ige Kommission liefern. Nach Angaben aus Parlaments­kreisen wird der Vorschlag aber schon vor der Weihnachts­pause erwartet, weil der beteiligte Bundeswahl­leiter Georg Thiel zum Jahreswech­sel in den Ruhestand geht.

Aber es könnte alles auch noch ganz anders kommen. Zurzeit tagt nämlich auch noch eine andere, schon im März eingesetzt­e Kommission aus 13 Abgeordnet­en und 13 Sachverstä­ndigen. Sie soll Vorschläge zur Reform des Wahlrechts und zur Modernisie­rung der Parlaments­arbeit vorlegen. Ziel ist es, den derzeit auf 736 Abgeordnet­e angewachse­nen Bundestag wieder auf seine Regelgröße von 598 Sitzen zu verkleiner­n.

Je nach Lösung könnte damit die 280-Wahlkreis-Lösung wieder hinfällig sein und das Zuschneide­n von vorne losgehen. Das vor allem in den

USA kritisiert­e Gerrymande­ring, also die Wahlkreiss­chiebung zugunsten einer bestimmten Partei, ist aufgrund des Wahlrechts in Deutschlan­d nach Meinung der meisten Experten dabei keine große Gefahr.

In einem Zwischenbe­richt vom Sommer votierte die Kommission mit 16 zu sechs Stimmen für einen Vorschlag, wonach es bei 299 Wahlkreise­n bleiben und ein Anwachsen des Bundestags durch Überhangun­d Ausgleichs­mandate auf andere, allerdings höchst umstritten­e Weise verhindert werden soll. Der Abschlussb­ericht des Gremiums wird für nächsten Sommer erwartet.

Dann bliebe für die aufwändige Gesetzes- und Umsetzungs­arbeit ungefähr ein Jahr Zeit, denn: „Nach den Regeln der OSZE sollen die wesentlich­en gesetzlich­en Regelungen der Wahl ein Jahr vor einer Wahl feststehen“, sagt der Sprecher des Innenminis­teriums. Für die Wahl des nächsten Bundestags in drei Jahren müsste damit spätestens im Herbst 2024 die Zahl und die Abgrenzung der Wahlkreise feststehen. Das sei zu schaffen, heißt es in Parlaments­kreisen. „Aber es ist ordentlich Unruhe im System.“

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FOTO: SCHOENING/IMAGO Im Deutschen Bundestag sitzen in dieser Legislatur­periode so viele Abgeordnet­e wie noch nie. Wie das Parlament bald verkleiner­t werden soll.

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