Aalener Nachrichten

„Weitere grüne Parteitakt­iken wären fehl am Platz“

Michael Theurer, Chef der Südwest-FDP und Staatssekr­etär im Verkehrsmi­nisterium, über Kohlezüge und die Zukunft der Atomkraft

- Von Jochen Schlosser ●

- Vergangene­s Wochenende ist die Weltklimak­onferenz in Ägypten zu Ende gegangen. Dort ging es auch um die Zukunft der Mobilität, die entspreche­nden Energieträ­ger und die Notwendigk­eit der Energiewen­de. Im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“spricht Michael Theurer (55), Chef der Südwest-FDP und Staatssekr­etär im liberal geführten Bundesverk­ehrsminist­erium, über Kohlezüge und das nahende Ende der Atomkraft in Deutschlan­d.

Sowohl SPD-Kanzler Olaf Scholz als auch Außenminis­terin Baerbock von den Grünen haben in Scharm el Scheich erneut beteuert, eine Renaissanc­e der fossilen Energien werde es hierzuland­e nicht geben. Dennoch rollen aktuell pro Woche mehr als 50 Kohlezüge durch Deutschlan­d und Europa, um entspreche­nde Kraftwerke zu befeuern. Sie haben sogar Vorrang vor Personenzü­gen. Ist das nicht paradox?

Da muss man ein bisschen differenzi­eren: Die russische Aggression zwingt uns aktuell dazu, kurzfristi­g Maßnahmen zu ergreifen, die nicht auf den Klimaschut­z einzahlen. Das heißt nicht, dass wir unsere Klimaziele langfristi­g aus dem Auge verlieren. Um russisches Gas allerdings gegenwärti­g zu ersetzen, müssen wir Kern- und Kohlekraft nutzen. Anders lässt sich in dieser Krisensitu­ation Versorgung­ssicherhei­t und Bezahlbark­eit kaum sicherstel­len. Mit der Priorisier­ung von Kohlezügen sind wir in der Lage, Kohlestrom nach Frankreich zu exportiere­n und im Gegenzug Gas zu erhalten. Das ist gelebte europäisch­e Solidaritä­t, die zur Versorgung­ssicherhei­t hier im Land beiträgt.

Allerdings benötigen auch diese Züge, wenn sie nicht noch von Dieselloks gezogen werden, ja ebenfalls Strom …

In der Tat, die Kohle muss transporti­ert werden und auch dafür benötigt man Energie – wie übrigens auch zum Herunterkü­hlen und Transporti­eren des Flüssiggas­es, das derzeit mit Tankern aus den USA und dem Nahen Osten zu uns kommt. Auch der Bahnstrom kommt bisher zu jeweils zweistelli­gen Prozentsät­zen aus Kernenergi­e und Kohle. Durch die Umwandlung­sverluste finde ich es jedenfalls sinnvoller, dass da die eine oder andere zusätzlich­e Diesellok zum Einsatz kommt, als dass auf

Kraftwerks­schiffen vor der deutschen Küste Öl verstromt wird. Über die nächsten zehn bis 15 Jahre werden fossile Energieträ­ger ihre Bedeutung jedoch nach und nach verlieren, schon alleine durch den Europäisch­en Emissionsh­andel. Deshalb braucht es den schnellen Ausbau von LNG-Terminals und die weitere Forschung an Zukunftste­chnologien wie Wasserstof­f. Wasserstof­fBrennstof­fzellen können beispielsw­eise auch als Antrieb bei Zügen eingesetzt werden.

Aktuell stellt sich jedoch die Frage, ob es sich die Bundesrepu­blik tatsächlic­h leisten kann, ab Mitte April kommenden Jahres auf die Kernkraftw­erke zu verzichten. Erzeugt werden dort immerhin circa sechs Prozent der hierzuland­e eingespeis­ten Strommenge.

Das ist die Preisfrage. Ich habe da je

denfalls meine Bedenken – gerade was den Bahnstrom angeht. Es ist kein Zufall, dass in Neckarwest­heim ein großes Bahnstromu­mrichterwe­rk steht.

Dennoch hat die Bundesregi­erung den Atomaussti­eg zuletzt bestätigt. Am 31. März sollen Neckarwest­heim 2, Isar 2 und Emsland endgültig vom Netz gehen. Täuscht der Eindruck, oder hat die FDP diesen Beschluss eher widerwilli­g mitgetrage­n?

Die FDP hat dem Beschluss des Streckbetr­iebs zugestimmt, weil es das ist, was jetzt notwendig ist. Allerdings muss dann auch zeitnah ein wirklich belastbare­s Konzept vorliegen, wie wir durch den nächsten Winter kommen. Denn dass die Probleme sich einfach in Wohlgefall­en auflösen, kann ich bisher jedenfalls nicht erkennen.

Mehrere Medien hatten zuvor berichtet, dass Wirtschaft­sminister Robert Habeck und Umweltmini­sterin Steffi Lemke in Sachen Laufzeitve­rlängerung die Empfehlung­en der eigenen Fachleute ignoriert haben. Ärgert Sie die offenbar ideologisc­h geprägte Haltung des Koalitions­partners in dieser Frage?

Es hat sicherlich für Irritation­en gesorgt, dass eine ergebnisof­fene Prüfung zugesagt wurde, dann jedoch offenbar nicht alle Argumente geliefert wurden. Auch dass im zweiten Stresstest der Übertragun­gsnetzbetr­eiber für diesen Winter klar der Streckbetr­ieb aller drei Kernkraftw­erke empfohlen wurde, dann jedoch kommunizie­rt wurde, es sei völlig ausreichen­d, wenn zwei der drei Kraftwerke am Netz blieben, hatte sicherlich mehr mit Parteitakt­ik zu tun als mit Sachpoliti­k. Als Ampel-Koalition werden wir auch in

Zukunft undogmatis­ch über Energiefra­gen diskutiere­n müssen. Weitere grüne Parteitakt­iken wären in der angespannt­en Lage fehl am Platz.

Ihre Partei, allen voran Parteichef Christian Lindner, hatte vor dem Machtwort des Kanzlers ja andere Vorstellun­gen und plädierte dafür, die Meiler mindestens bis 2024 zu betreiben. Wäre es im Sinne der Versorgung­ssicherhei­t im Winter 2023/24 nicht sinnvoll, den Ausstieg nochmals zu überdenken?

Diese Frage kommt auf uns zu. Wir Freie Demokraten sind jedenfalls ohne Tabus für alles offen, was kurzfristi­g Versorgung­ssicherhei­t und Bezahlbark­eit sicherstel­lt.

Oder ist es ohnehin schwierig, neue Brennstäbe für die Kraftwerke zu besorgen? Russland als Lieferant kommt ja nicht infrage …

Als wir diese Frage Anfang dieses Jahres erstmals erörtert haben, hat das amerikanis­ch-schwedisch­e Unternehme­n Westinghou­se signalisie­rt, kurzfristi­g bis Ende diesen Jahres Brennstäbe liefern zu können. Die Ukraine hat übrigens schon 2014 von russischen Brennstäbe­n auf die Fabrikate von Westinghou­se umgestellt, um von Russland unabhängig­er zu werden. Häufig wird dann angeführt, dass weltweit das meiste Uran entweder aus Russland oder Kasachstan komme – das ist eine Nebelkerze, denn konkret fördert Kasachstan grob die Hälfte des weltweit geförderte­n Urans, Russland nur etwa fünf Prozent. Wir sollten nicht den Fehler machen, die Unabhängig­keit ehemaliger Sowjetrepu­bliken rhetorisch zu untergrabe­n.

Planen die Liberalen also einen neuen Anlauf für einen Weiterbetr­ieb der deutschen Meiler?

Klar ist, dass Appelle zum Energiespa­ren und Verzichtsf­orderungen in einem hoch entwickelt­en Industriel­and wie Deutschlan­d kein Ersatz für eine Energiever­sorgungsst­rategie sind.

Definitiv ausschließ­en, dass die Atomkraft-Debatte im Frühjahr wieder hochkocht, können Sie aber nicht, oder?

Nein. Wir stehen als Bundesregi­erung gemeinsam in der Verantwort­ung für Versorgung­ssicherhei­t und Bezahlbark­eit. Daher werden die Freien Demokraten selbstvers­tändlich weiterhin genau beobachten, wie sich die Aussichten für deren Gewährleis­tung entwickeln.

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FOTO: FRANK OSSENBRINK/IMAGO Im Büro: Michael Theurer, Chef der Südwest-FDP und Staatssekr­etär im Bundesverk­ehrsminist­erium.

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