Kult auf die rasante Tour
Dass mit dem Fahrrad ein spannendes Kapitel Designgeschichte begonnen hat, zeigt eine famose Schau in der Pinakothek der Moderne in München
- Wahrscheinlich ist das Fahrrad einfach zu klein, um damit im großen Stil Eindruck zu schinden. Man muss sich schon gut auskennen, um dem eher schmalen Gestell anzusehen, wenn tatsächlich viel Geld drinsteckt. Selbst in unseren ökobewussten Zeiten wird es – trotz der Eurobike in Frankfurt – weder einen Pariser Fahrradsalon noch eine Tokyo Pedal Show geben, auf der die neuesten Edel- und Hightechräder wie goldene Kälber umtanzt werden. Und das ist gut so! Denn Fahrräder entwickeln viel raffiniertere Reize. Das betrifft zum einen die technische Seite und mindestens genauso die Gestaltung. Und damit sind längst nicht nur die Carbongazellen aus den Nobeldesignschmieden gemeint. Das ist die erste Überraschung der neuen Fahrradausstellung in der Pinakothek der Moderne in München.
Die optische Attraktivität beginnt bereits mit Karl Friedrich von Drais‘ Laufmaschine. Man muss sie nur genauer betrachten, dann geht es einem wie Josef Straßer von der Neuen Sammlung. Der Kurator und professionelle Liebhaber gelungener Formen wollte partout keine Geschichte des Fahrrads erzählen. Dafür gibt es Technikmuseen. Allerdings hat die Erfindung des badischen Forstbeamten durch ihre Schlichtheit und die klar ablesbaren funktionalen Details überzeugt. Vom ledernen Sattelsitz und den gepolsterten Brettchen für die Arme bis hin zu den langen Schrauben, mit denen man das Gefährt der Körpergröße anpassen kann.
Todschick wurde es in den 1870erJahren mit den mechanisch äußerst präzisen Hochrädern von Eugène Meyer. Damit konnte man in Paris „bella figura“machen, so kunstvoll waren die Kurbeln und Stahlzüge gestaltet, dazu gab es fein gedrechselte Holzgriffe. Und dann geht es Schlag auf Schlag, vom Sicherheitsniederrad des Kärntner Schlossers Josef Erlach (1880) – das große Rad wechselte nach hinten – zum Kreuzrahmenrad der Neckarsulmer Strickmaschinenfabrik mit Kettenspannmechanismus (1888). Das kommt dem heutigen Velo schon sehr nahe –die Variationen sind bei zwei Rädern, zwischen denen man irgendwie sitzend treten soll, ja doch begrenzt. Gleichwohl gibt es immer wieder Sonderfälle, die ins Auge stechen.
Ausgerechnet in der französischen Waffenfabrik Manufrance hat man sich um 1889 von Kreisen und Halbkreisen inspirieren lassen. Beginnend an der Nabe des Hinterrads schwingt sich eine markante Mondsichel nach oben und läuft beim „Hirondelle Superbe“in einen lässigen Sattel aus. Die Sitze sind Ende des 19. Jahrhunderts zwar gefedert, aber nicht wirklich komfortabel. Dass der dänische Schmied Mikael Pedersen stattdessen 1893 eine kleine Hängematte spannt, ist allzu verständlich. Vor allem hat der 1888 von John Boyd Dunlop erfundene Luftreifen das Holpern auf der Straße extrem reduziert.
Damit war die Marsch- oder besser die Rollrichtung für das 20. Jahrhundert ausgemacht: Bequem sollten die Fahrräder sein, leicht und stabil. Das bringt mit der Zeit Aluminium, Kunststoff, sogar Titan und schließlich das angesagte Carbon mit seinen schier grenzenlosen Möglichkeiten ins Spiel – und endet mit ganz aktuellen 3-D-gedruckten Rahmen, die momentan noch etwas für Fahrradfreaks sind.
Nur die Optik gerät bei Tüftlern gerne in den Hintergrund und wird manchmal doch wieder durch die Anforderungen befördert. Zum Beispiel, wenn Aerodynamik gefragt ist und die Tests im Windkanal für wohltuende Reduktionen sorgen. Denn freilich beflügelt gerade auch der Rennsport die Entwicklung toller Bikes. Gustav Linds Anker-Sichelrad von 1933 besticht bis heute durch seine rasante Eleganz und hat 1936 für einen Rekord gesorgt: In 31 Tagen legte der Dortmunder Ewald Kaufhof damit phänomenale 7363 Kilometer zurück. Der Rennradhype der 1970er und 80er hat also ein schönes Vorspiel. Denn wer die Tour de France oder den Giro d’Italia verfolgte, wollte auf Vergleichbarem die Freizeit flott verbringen.
Apropos Tour de France: Ottavio Bottecchia war 1924 der erste Italiener, der diesen Wettbewerb gewann und kurz darauf die gleichnamige Fahrradfabrik gegründet hat. Deren Renn- und Tourenräder sind zur begehrten Ware geworden und die ausgestellte Zeitfahrmaschine „Bottecchia Air“von 1987 der Höhepunkt des windschnittigen Designs aus Stahlrohr – mit tropfenförmigem Profil und Aerozwickeln in den Verbindungen.
Mehr ging nicht mit diesem Material, aber dann schlug auch schon die Stunde des Carbons. Beim japanischen Motorradhersteller Togashi war man zudem klug genug, dem neuen Rahmen ein futuristisches Design zu verpassen und das Ganze 1989 gleich noch feuerrot zu präsentieren. Alles wirkt wie aus einem Guss, Dreiecksund Kreisformen sind perfekt ausbalanciert. Ein Höllending, das die faden und radlfeindlichen (Zwischen)Phasen sofort vergessen lässt. Wobei Bonanzaräder mit Wimpeln und Fuchsschwanz im Rückblick schon wieder etwas Rührendes haben. Womöglich, weil einem die Vokuhila-Nachbarsbuben bereits damals nicht sonderlich cool vorgekommen sind und man das jetzt vor der „Super de Luxe“-NeckermannVersion von 1972 endgültig realisiert.
Die Moden ändern sich. Auch wenn sie immer wieder kommen wie zum Beispiel in Form von Holzrädern. Oder mit dem ungemein praktischen Klapprad, das in der Bahn ein Segen ist, aber erst durch den britischen Designer-Ingenieur Mark Sanders Klasse erhalten hat. In gefaltetem Zustand ist es so angenehm wie ein Reisetrolley zu rollen.
Wer diese oft erstaunlichen Fundstücke aus sehr speziellen Sammlerkreisen sieht und unter den Leihgaben aus dem Deutschen Fahrradmuseum Bad Brückenau Raritäten wie ein Nachkriegsmodell aus gebrauchten Flugzeugteilen entdeckt, vermisst weder Lastenräder noch EBikes. Bis auf zwei, drei Exemplare mussten die gewichtigen Stromfresser draußen bleiben. Die Gestaltung lässt meistens zu wünschen übrig, aber das zeigt ja auch wieder, dass der Stoff für Raddesigner so schnell nicht ausgeht.
„Das Fahrrad. Kultobjekt – Designobjekt“bis 24. September 2023 in der Pinakothek der Moderne, geöffnet: Di.-So. 10-18 Uhr, Do. 10-20 Uhr.