Aalener Nachrichten

Kräftemess­en in Ellwangen

Stadt und Land streiten weiter um LEA-Betrieb – Ein Enddatum könnte Konflikt lösen

- Von Kara Ballarin

- Rund 167.000 Geflüchtet­e sind aktuell in Baden-Württember­g. Ein knappes Prozent dieser Menschen sind in der Landeserst­aufnahmeei­nrichtung (LEA) in Ellwangen untergebra­cht – und dort sollen sie bitte auch bleiben, sagt die Landesregi­erung. Die Stadt, allen voran Oberbürger­meister Michael Dambacher, wehrt sich dagegen und pocht auf eine Schließung zum Jahreswech­sel. Am Mittwoch geht der Streit im Gemeindera­t der Stadt in die nächste Runde. Was den Konflikt befrieden und einen Kompromiss möglich machen könnte? Vielleicht ein Datum.

Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) wirkt zunehmend angespannt­er, wenn er über Flüchtling­szahlen spricht. Laut dem für Migration zuständige­n Justizmini­sterium hat der Südwesten aktuell allein 140.000 Menschen aus der Ukraine aufgenomme­n. „Die Unterbring­ungssituat­ion im Land ist auf allen Ebenen äußerst angespannt“, sagt eine Sprecherin von Justizmini­sterin Marion Gentges. „Die Städte in der Ukraine werden systematis­ch niedergebo­mbt, sodass wir für den Fall vorbereite­t sein müssen, dass in den nächsten Wochen noch einmal mehr Menschen fliehen.“Hinzu komme, dass auch die Zahl der Asylbewerb­er aus anderen Ländern mit 24.000 so hoch sei wie seit Jahren nicht. Überall im Land werden Hallen zu Notunterkü­nften. „Natürlich kommt es in einer solchen Situation auf jedes Bett an, das man irgendwo organisier­en kann“, so Gentges’ Sprecherin.

Ausgerechn­et in dieser Situation will Ellwangen die Landeserst­aufnahmeei­nrichtung schließen, heißt es in Regierungs­kreisen, verbunden mit Kopfschütt­eln. Für kommende Woche hat Kretschman­n zum Flüchtling­sgipfel eingeladen. Am Dienstag: sagt er zu Ellwangen: „Wir sind noch in den Verhandlun­gen, da ist noch kein Knopf dran.“Laut einem geschlosse­nen Vertrag müssen Stadt und Land ein Einvernehm­en herstellen, wenn die LEA über den Jahreswech­sel hinaus erhalten bleiben soll. „Ich hoffe, dass es zustande kommt“, so Kretschman­n, um gleich darauf zu betonen: „Der Zwang der Verhältnis­se ist enorm und spricht für eine Einigung. Wir können faktisch aus dieser Einrichtun­g nicht raus bei den Zugangszah­len, die wir haben. Ich kann nur dringend an die Stadt Ellwangen appelliere­n, dass wir zu einer Einigung kommen.“

Und was, wenn nicht? Über ein Worst-Case-Szenarien will Kretschman­n

nicht sprechen. Tatsächlic­h gäbe es einige Optionen. Fakt ist, dass die LEA nicht am 1. Januar zwangsgerä­umt werden wird. Bliebe der Stadt also, gegen das Land zu klagen. Allerdings sind Rechtsexpe­rten äußert gespalten in der Frage, wie erfolgreic­h eine solche Klage wäre. Das Gelände, auf dem die LEA betrieben wird, die ehemalige Reinhardt-Kaserne, gehört dem Bund: Könnte sich das Land also einfach über den Wunsch der Stadt hinwegsetz­en?

Dazu soll es gar nicht kommen, betonen alle Seiten. Auch Ellwangens Oberbürger­meister Michael Dambacher. „Was mir morgen machen, hätte ich mir vor einem halben Jahr gewünscht“, sagt er am Dienstag hörbar gereizt. In einer öffentlich­en Gemeindera­tssitzung wird der für Migration zuständige Abteilungs­leiter Stefan Lehr aus dem Justizmini­sterium als Vertreter des Landes den Fraktionen Rede und Antwort stehen. Tatsächlic­h habe man sich zu spät und zu wenig um Ellwangen gekümmert, heißt es mitunter auch selbstkrit­isch aus Koalitions­kreisen in Stuttgart. Entschiede­n werde am Mittwoch aber noch nichts, betont Dambacher. Das CDU-Mitglied konnte bislang auch kein Einwirken seiner Parteifreu­ndin Gentges beschwicht­igen. Die hatte der Stadt vorgeschla­gen, die LEA perspektiv­isch in ein aufgegeben­es Kreiskrank­enhaus in Böblingen zu verlegen. Dambacher sieht darin kein echtes Angebot. „Das ist weder sicher, noch können wir unsere Entscheidu­ng nur

von anderen Standorten abhängig machen“, sagt er.

Dambacher wehrt sich gegen die Darstellun­g, dass sich an Ellwangen das Flüchtling­sproblem des Landes entscheide. „Man könnte grad meinen, dass Ellwangen das Problem löst oder nicht, weil es den Standort gibt oder nicht gibt.“Für ihn ist klar: Das Land hat sich viel zu spät darum bemüht, mit der Stadt über einen Weiterbetr­ieb der LEA zu sprechen. „Wir haben sieben Jahre unseren Dienst getan, haben unsere Verträge erfüllt, aber es muss einer Stadt möglich sein, einen Konversion­sprozess zu gehen, der im Moment gestoppt ist.“Die beiden größten Fraktionen im Gemeindera­t, CDU und Freie Bürger, teilen Dambachers Meinung.

Nicht so Berthold Weiß. Als Leiter der LEA sagt er: „Wir sind nach wie vor optimistis­ch, dass Stadt und Land einen Kompromiss finden werden.“Als Fraktionsc­hef der Grünen im Gemeindera­t klingt er weniger optimistis­ch. „Die Fronten sind verhärtet“, betont er. „Unsere Fraktion und auch die SPD sind wirklich daran interessie­rt, dass man eine faire Lösung für Stadt und Land findet. Das Land jetzt zum Jahresende rauszuwerf­en macht keinen Sinn und bringt der Stadt überhaupt nichts.“Bis das Gelände von der Stadt entwickelt und genutzt werden könne, vergingen ohnehin noch Jahre. Für den Kauf eines Teils des Geländes, des sogenannte­n Technische­n Bereichs, seien Mittel im Haushalt für das kommende Jahr eingestell­t. Das war

bereits in den Jahren 2021 und 2022 so. „Das heißt, wir haben es in zwei Jahren nicht geschafft, den Technische­n Bereich vom Bund zu kaufen. Der hat über zehn Hektar.“Weiß schwebt vor, zunächst für das gesamte Kasernenge­lände „einen sauberen städtebaul­ichen Prozess“abzuarbeit­en und solange die LEA offen zu halten. „Es ist aberwitzig zu glauben, dass das schnell bebaut wird. Einem Weiterbetr­ieb der LEA steht überhaupt kein Ziel der Stadtentwi­cklung entgegen“, sagt er.

Dambacher sieht das anders. Am Dienstagab­end hat seine Stadtverwa­ltung zur Bürgerinfo­rmation eingeladen, um die Planungen für die Zukunft des Geländes vorzustell­en. Für 20 Millionen Euro wolle die Stadt den Technische­n Bereich der Kaserne kaufen und entwickeln. Eine solche Investitio­n müsse sich aber lohnen, und das werde sie wohl nicht mit einer LEA nebenan. „Wenn Sie nicht wissen, ob in ihrer Nachbarsch­aft eine LEA betrieben wird oder nicht, würden Sie ein Bauprojekt starten?“, fragt er.

Was Dambacher fehlt, ist eine verlässlic­he Basis, wie er sagt. Was also, wenn das Land mit der Stadt einen verbindlic­hen Vertrag mit einem fixen Ende der LEA Ellwangen schlösse? „Wenn das Land dazu bereit wäre, wäre eine Grundlage geschaffen für mögliche Gespräche“, sagt der Oberbürger­meister. „Erst dann kommen wir an den Punkt, dass die Fraktionen sich nochmal drüber austausche­n können.“

 ?? FOTO: STEFAN PUCHNER/DPA ?? Gut 1100 Menschen sind aktuell in der LEA in Ellwangen untergebra­cht. Seit Wochen nun ringen Stadt und Land um einen Weiterbetr­ieb. Eigentlich sollte sie zum Jahresende schließen. Am Mittwoch nun berät der Ellwanger Gemeindera­t darüber – auch mit einem Vertreter des Landes.
FOTO: STEFAN PUCHNER/DPA Gut 1100 Menschen sind aktuell in der LEA in Ellwangen untergebra­cht. Seit Wochen nun ringen Stadt und Land um einen Weiterbetr­ieb. Eigentlich sollte sie zum Jahresende schließen. Am Mittwoch nun berät der Ellwanger Gemeindera­t darüber – auch mit einem Vertreter des Landes.

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