„Fällt ein Tor, bricht der Wahnsinn aus“
So erlebt die Costa-Ricanerin Luz Amador die WM in ihrem Land
- Für Deutschland steht es am Donnerstag spitz auf Knopf: Eine Chance aufs Achtelfinale hat die deutsche Mannschaft nur noch, wenn sie gegen Costa Rica gewinnt. Der Überraschungssieg Costa Ricas gegen Japan hat die Deutschen am Sonntag vorerst vor dem Ausscheiden bewahrt. Nun gilt der Sieg gegen die mittelamerikanische Mannschaft als Pflichtaufgabe. Auch mit steigender Spannung nimmt das Fanfieber in Deutschland aber nicht zu – anders als in Costa Rica. Die Teilnahme an der WM selbst ist für die Zentralamerikaner schon ein Erfolg, wie uns eine Einheimische erzählt. Redakteurin Larissa Hamann hat im Mai dieses Jahres Costa Rica bereist und dort Luz Amador kennengelernt, die an der Universidad de Costa Rica in San José unter anderem Biologie studiert und zusammen mit der britischen Umweltjournalistin Gaia Vince zum Klimawandel forscht. Privat interessieren sich die junge Frau und ihr Freund Pablo Mora Morales aber nicht nur für die Natur Costa Ricas, sondern auch für den Fußball. Was sie von der diesjährigen Weltmeisterschaft und Katar als Austragungsort hält, berichtet Amador im Gespräch.
Die Deutsche Fußballnationalmannschaft spielt am Donnerstag um 20 Uhr ihr letztes Vorrundenspiel gegen Costa Rica. Hierzulande ist Fußball ein sehr beliebter und weit verbreiteter Sport. Was für eine Rolle spielt Fußball bei euch? Luz Amador: Wir „Ticos“sind sehr begeistert vom Fußball. In Costa Rica spielen wir schon ab Kindesbeinen, wann- und wo immer es geht, ob zuhause oder in der Schule. Wir halten sehr treu zu unserer Nationalmannschaft. Ob wir gewinnen oder verlieren – wir unterstützen unser „La Sele“(Anm. der Redaktion: Kurzform für „La Selección de Costa Rica – Die Auswahl von Costa Rica), wie wir unser Team nennen, weiterhin.
Weltweite Erfolge kann Costa Rica zwar noch nicht verzeichnen, allerdings zählt die Mannschaft zu den erfolgreichsten Mittelamerikas: Mit acht Siegen ist die costa-ricanische Nationalelf Rekordmeister der Zentralamerikameisterschaft und hat schon dreimal das nordamerikanische Kontinentalturnier Concacaf-Nations Cup gewonnen. Mit der WM in Katar nimmt Costa Rica zum sechsten Mal an einem Weltcup-Turnier teil, erst einmal hat die Mannschaft den Einzug ins Viertelfinale geschafft. Wie groß ist das Fußballfieber in Costa Rica?
Es ist richtig, dass wir in den vergangenen Jahren das eine oder andere Spiel gewonnen haben. Das haben wir jedes Mal mit einer tollen Party gefeiert. Vor Spielbeginn sieht man schon Leute mit ihren Trikots auf der Straße des Teams laufen, sie fahren mit Flaggen an den Autos durch die Straßen, Familien und Freunde versammeln sich und warten auf den Beginn des Spiels. Fällt ein Tor, bricht der Wahnsinn aus: Alle springen herum, schreien, umarmen sich und feiern. Nach dem Spiel singen die Leute auf den
Straßen und gehen zu einem Platz im Zentrum der Hauptstadt, wo sie mit anderen feiern können.
In Costa Rica gibt es, abgesehen von Regen- und Trockenphasen, keine Jahreszeiten. In Katar ist es aktuell trotz des Winters sehr heiß, in Deutschland dagegen schon recht kalt. Glauben Sie, dass die costa-ricanischen Spieler durch das tropische Klima in ihrer Heimat einen Vorteil gegenüber Deutschland haben?
Die Spieler aus Costa Rica mögen gut an das Klima angepasst sein, aber es ist Teil der Vorbereitung eines jedes Teams, strategisch der Erschöpfung entgegenzuwirken. Das kann eine ziemliche Herausforderung sein.
Die Weltmeisterschaft in Katar war mit Bekanntgabe des Emirats als Austragungsort umstritten, zum Beispiel in Sachen Menschenrechte, Korruption, Frauenrechte, Homosexualität. Viele Städte und Kneipen in Deutschland haben daher vor Beginn der Weltmeisterschaft angekündigt, dieses Jahr auf Public Viewings zu verzichten. Wie ist die Situation in Costa Rica? Schaut ihr gemeinsam Fußball? Auf jeden Fall! In jeder Stadt und jedem Dorf wird ein öffentlicher Ort zum gemeinsamen Anschauen des Spiels, beispielsweise in Restaurants oder Bars, eingerichtet.
Auch privat haben sich einige Menschen entschieden, die FußballWM aus politischen Gründen zu
boykottieren. Gibt es das auch bei euch?
Meiner Meinung nach ist Fußball seit jeher mit Politik verbunden, schon allein, weil der Sport weltweit so beliebt ist und wir viel Zeit mit dem Anschauen der Spiele verbringen. Das ist nicht erst seit der WM in Katar so. Was man dabei nicht unterschätzen darf: Das gemeinsame Interesse am Sport verbindet uns trotz unterschiedlicher politischer Ansichten. Darüber lässt sich viel erreichen. Die Leute hier in Costa Rica boykottieren die WM eher nicht. Wir treffen uns, haben eine tolle Zeit zusammen und verlängern manchmal auch die Party über das Spiel hinaus. In Costa Rica ist es sogar so, dass die Arbeitgeber ihren Mitarbeitern während der WM Räume zur Verfügung stellen, in denen sie das Spiel verfolgen können.
Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation persönlich als Costa-Ricanerin?
Auch wenn wir ein Land sind, das sich für die Rechte des Einzelnen einsetzt, kämpfen wir immer noch um mehr Gerechtigkeit – bessere ökologische Bedingungen, soziale Maßnahmen wie Frauenrechte. Ein Teil dieses Prozesses besteht darin, sich des Problems bewusst zu sein und sich zu fragen, was wir dagegen tun können. Warum gibt es in diesen Fragen des freien Willens keine Akzeptanz? Was brauchen sie, um diese Freiheit zu erlangen? Die Beantwortung dieser Fragen müssen über die Weltmeisterschaft hinausgehen.