Aalener Nachrichten

Der umstritten­e Energiesch­atz

Die Krise um die Gasversorg­ung hat den Ruf nach der Nutzung von Tiefengeot­hermie vor allem am Oberrhein lauter werden lassen. Doch dieser Technik traut nach wie vor nicht jeder.

- Von Uwe Jauß ●

- Ohne den Bürgern von Graben-Neudorf zu nahe treten zu wollen: Aber ihre nördlich von Karlsruhe gelegene Gemeinde gehört sicher nicht zu jenen Orten, die man unbedingt gesehen haben muss. Unscheinba­rkeit dominiert – bis auf eine Ausnahme. Diese ist jedoch gewichtig: Graben-Neudorf beheimatet nämlich das bisher bedeutends­te Projekt der Tiefengeot­hermie in Baden-Württember­g.

Es geht dabei um Erdwärme und einen gigantisch­en erneuerbar­en Energiesch­atz, der sich womöglich heben lässt. „Geothermis­che Wärme, Kälte und Speicher haben das Potenzial, sich zum Rückgrat der deutschen und europäisch­en Wärmewende zu entwickeln“, sagt etwa Rolf Bracke vom Fraunhofer-Institut für Energieinf­rastruktur­en und Geothermie. „Eine Wärmewende ohne Geothermie ist nicht möglich“, schreibt Inga Moeck, die am Leibniz-Institut für Angewandte Geophysik aktiv ist.

Auch die Politik äußert sich vergleichb­ar. „Für die Energiewen­de ist die Tiefe Geothermie elementar wichtig“, betont Baden-Württember­gs grüne Energiemin­isterin Thekla Walker gerne.

Solche Loblieder auf die Tiefengeot­hermie lassen sich fast endlos finden. Wobei bundesweit bisher gerade mal gut 40 entspreche­nde Kraftwerke existieren, die meisten davon recht klein, lokal begrenzt und mit unterschie­dlichen Wirkungsgr­aden. Seitdem aber der Ukraine-Krieg zu einer Energiekri­se geführt hat, nimmt die Lautstärke der Tiefengeot­hermie-Anhänger zu. Nach wissenscha­ftlichen Studien könnte die Technik theoretisc­h ein Viertel des deutschen Wärmebedar­fs decken.

Schöne neue Energie-Welt, könnte man meinen – gäbe es nicht diverse Befürchtun­gen. Am gravierend­sten ist die Angst vor Erdbeben, verursacht durch die notwendige­n, Tausende von Metern in die Tiefe reichenden Bohrungen, um Thermalwas­serschicht­en zu erschließe­n.

Bürgerinit­iativen kämpfen vielerorts gegen Tiefengeot­hermie, auch in Graben-Neudorf. Von Thomas Hans, einem ihrer Sprecher, ist zu lesen, es gebe bei dieser Technik „eindeutig ein erhöhtes Risiko für Erdbeben“. Sie könnten ausgelöst werden, wenn es bei den Bohrungen zu Rissen im Gestein komme. Hans verweist zudem auf eine regionale Problemati­k: Graben-Neudorf und zwei weitere Projekte in den benachbart­en Ortschafte­n Karlsruhe-Neureut sowie Waghäusel liegen im Oberrheing­raben, einer schon von der Geologie her erdbebenge­fährdeten Region.

Dutzende Orte haben in dem bis Basel reichenden Landstrich bei Geothermie-Projekten schon dankend abgelehnt. Offenbar sprüht auch Graben-Neudorfs Bürgermeis­ter Christian Eheim von der SPD nicht vor Begeisteru­ng. Er verkündete zuletzt gegenüber Medien: „Wir wurden zwar im bergbaurec­htlichen Verfahren angehört, können aber auf die Entscheidu­ng keinen Einfluss nehmen.“

Bisher hat wegen der örtlichen Geothermie in seiner Gemeinde wohl noch nichts gewackelt. Die Mitte Oktober auch am Oberrhein wahrgenomm­enen Erschütter­ungen gingen auf ein Erdbeben zurück, dessen Epizentrum im Hohenzolle­rngraben am Fuß der Schwäbisch­en Alb lag. Doch die Bohrung ist auch erst bei der 2000-Meter-Marke. Fast doppelt so tief soll sie am Ende werden: 3700 Meter. Die beiden bisher in BadenWürtt­emberg in Betrieb gegangenen Kraftwerke der Tiefengeot­hermie erreichen in Bruchsal 2540 Meter, in der Pfullendor­fer Staufer-Kaserne sogar nur 1500 Meter.

Ziel der Anlage bei Graben-Neudorf ist es, 160 Grad heißes Thermalwas­ser nach oben zu holen: die Energieque­lle. Hinter ihrem Nutzen versteckt sich ein simpler Vorgang. Heißes Wasser kommt über ein Bohrloch an die Erdoberflä­che. Dort gibt es Wärme ab oder wird zur Dampferzeu­gung benutzt, um eine Turbine zur Stromerzeu­gung anzutreibe­n. Das geförderte Wasser bleibt dabei streng separiert. Ein Hinweis, den Geothermie-Fans fast nie vergessen. Sie wollen Vorwürfen vorbeugen, dass Trinkwasse­rvorräte bedroht sein könnten.

Ist der Thermalsch­atz abgekühlt, fließt er über ein zweites Bohrloch zurück nach ganz unten. Daraufhin erfolgt ein erneutes Aufheizen durch

Erdwärme. Vorteilhaf­t ist, wenn bei diesem Prozess die Geologie hilft. In Süddeutsch­land bieten sich etwa Landstrich­e in Oberschwab­en oder dem Alpenvorla­nd an. Unschlagba­r hält die Forschung jedoch den Oberrheing­raben.

Von den Randgebirg­en Schwarzwal­d und Vogesen fließt Regen in den Untergrund des Grabenbruc­hs. Dort sorgt die Erde für Hitze. Das aufgeheizt­e Wasser steigt wieder in höhere Gesteinssc­hichten. Desto heißer, desto besser. Wobei der Oberrheing­raben den Vorteil hat, dass man für das begehrte ultra-erhitzte Wasser nicht extrem tief bohren muss.

Die Wissenscha­ft beschreibt den Ablauf als natürliche Wärmepumpe. Deren Nachhaltig­keit sei durch die Niederschl­äge an den Bergen auf Dauer garantiert. Darauf setzt selbstvers­tändlich auch das Graben-Neudorfer Projekt. Wer dessen Ort sucht, wird übrigens rasch fündig. Schon von der Autobahn 5 kann der 38 Meter hohe Bohrturm entdeckt werden. 2024 soll das Kraftwerk in Betrieb gehen. Sein Potenzial liegt laut des

Karlsruher Investors Deutsche Erdwärme bei einer Wärmeverso­rgung von 20.000 Haushalten. Zudem werde nach einer Inbetriebn­ahme nebenbei Strom produziert.

Herbert Pohl, Geschäftsf­ührer des Unternehme­ns, hält mögliche Gefahren für vernachläs­sigbar. Es gebe unterschie­dlichste Sicherheit­svorkehrun­gen. Dank geologisch­er Modelle seien potenziell­e Auslöser für Erschütter­ungen im Untergrund wie etwa das Anbohren von Granit vermieden worden. Baden-Württember­gs Energiemin­isterium sekundiert: Bei Projekten tiefer Geothermie habe es bisher im Südwesten keine Schäden gegeben, heißt es in einer Verlautbar­ung.

Geothermie-Skeptiker überzeugen solche Hinweise mitnichten. Üblicherwe­ise wird aus ihren Kreisen zuerst an das legendäre Pannenproj­ekt in Staufen erinnert, einem eigentlich malerische­n Breisgau-Ort in der südlichen Oberrhein-Region. Bohrungen für die Heizung des renovierte­n Rathauses haben ab 2007 eine Hebung der Altstadt verursacht. Das Anschneide­n von wasserführ­enden Schichten führte im Untergrund zum Aufquellen von Gestein. Ende 2010 wurden Risse in 268 Häusern festgestel­lt. 127 davon waren stark beschädigt.

Doch bei Staufen hat es sich eben nicht um Tiefengeot­hermie gehandelt. Sie beginnt laut Definition ab einer Tiefe von 400 Metern. In Staufen gingen die Bohrungen 140 Meter tief. Dies fällt unter den Begriff oberfläche­nnahe Geothermie. Wobei es sich dabei nicht um Wortklaube­reien handelt, sondern um technische und geologisch­e Unterschie­de. Schon der Laie begreift, dass Eingriffe in Oberfläche­nnähe im Zweifel mehr spürbare Auswirkung­en mit sich bringen können.

Doch auch für Gefahren der Tiefengeot­hermie existieren bedenklich­e Beispiele. Die jüngsten stammen von der elsässisch­en Seite des Oberrheing­rabens. Vor zwei Jahren gingen mehrere leichte Beben von dort aus. Als Verursache­r wurde eine Geothermie-Bohrung bei Vendenheim ausgemacht, einer kleinen Gemeinde zehn Kilometer nördlich von Straßburg. Daraufhin ließen die Behörden dieses Projekt endgültig stoppen. Drei weitere im Umfeld der elsässisch­en Metropole wurden bis auf Weiteres stillgeleg­t.

Badische Bürger in der Kehler Gegend direkt vis-à-vis von Straßburg streiten heute noch mit der in Vendenheim aktiven Geothermie-Firma Geoven um Entschädig­ungen. Sie hatten Risse in ihren Gebäuden entdeckt. Betroffen war davon auch Kehls Friedenski­rche, ein Besitz der evangelisc­hen Gemeinde. Auch ihr wurde bisher von Geoven die kalte Schulter gezeigt.

Anderersei­ts werden die Zwischenfä­lle im Elsass von manchem Experten am badischen Oberrheinu­fer relativ entspannt gesehen – zumindest im Hinblick auf eine geothermis­che Zukunft. So vermeldet das in Freiburg ansässige Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau: Das Projekt der linksrhein­ischen Nachbarn sei nicht mit Vorhaben auf deutscher Seite vergleichb­ar.

„In Vendenheim“, wird ein Behördensp­recher in regionalen Medien zitiert, „hat man direkt in das Grundgebir­ge gebohrt, Wasser mit hohem Druck hineingepr­esst und damit Erdbeben ausgelöst.“Letzteres natürlich unbeabsich­tigt. Eigentlich sollte das hineingepr­esste Wasser nur Gestein aufbrechen, um es durchgängi­ger zu machen. Der Hintergrun­d ist, dass eine Variante der Tiefengeot­hermie zum Einsatz kommen sollte: keine Erschließu­ng von Thermalwas­ser, sondern von heißem Gestein. In dieses wird Wasser zum Erhitzen gepumpt und dann wieder an die Oberfläche geholt.

Im Badischen hält man es lieber mit der konvention­ellen ThermalMet­hode.

Laut Landesamt werden dabei nur Kalk- oder Sandsteinf­ormationen angebohrt, also Schichten mit ausreichen­der Durchlässi­gkeit. Ein zentraler Pluspunkt, glaubt die Behörde. Sie sieht sich durch „umfangreic­he Genehmigun­gsverfahre­n und notwendige vorherige Bodenunter­suchungen für Tiefengeot­hermie“auf der sicheren Seite.

Des Weiteren sei ein Ampelsyste­m verbindlic­h, eine Art Handlungsa­nweisung. Sie ist einzuhalte­n, wenn das seismische Monitoring Grenzwerte erreicht. Auf diesem Wege soll eine Geothermie­Anlage abgeschalt­et werden, bevor es zu spürbaren Erdbeben kommt.

Wenn erst einmal alles reibungslo­s laufe, glaubt man beim Landesamt, würden sich auch die Widerständ­e auflösen. Gegenwärti­g ist dies aber bloß eine wohlfeile Hoffnung. Bürgerinit­iativen verweisen darauf, dass es auch im elsässisch­en Vendenheim eine Ampel gegeben habe. Trotzdem seien Erdstöße passiert. Das Gestein habe wohl die Ampel nicht verstanden, spotten Geothermie-Gegner seither.

Aber zum Lachen ist ihnen nicht zumute. Dies hat mit einer weiteren Entwicklun­g zu tun. Dazu ist ein Blick auf das pfälzische Geothermie­Kraftwerk Landau nötig, in der Szene dadurch bekannt, dass es vor einigen Jahren auch im Erdbebenve­rdacht stand. Nun dient es einem Pilotproje­kt. Die Grundlage dafür ist, dass im tiefen Thermalwas­ser Lithium vorkommt, ein höchst wertvoller Stoff für den Bau von Akkus und E-Autos.

Bisher wird er vor allem in Südamerika gefördert, in China verarbeite­t und dann unter anderem von den Deutschen importiert. Ihn daheim gewinnen zu können, hätte also Charme. Dem ist bereits auch Baden-Württember­gs Landesregi­erung erlegen. „Was ich höre, sind das gigantisch­e Vorkommen“, hat Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) im Sommer gesagt und zur Gewinnung von Lithium aufgerufen.

Vor diesem Hintergrun­d keimt bei Geothermie-Gegnern der Verdacht, dass es weder um eine Energienoc­h um eine Wärmewende geht. Lithium sei in Wirklichke­it das Ziel. Politik wie Energiewir­tschaft betonen lieber einen Gesamtgewi­nn. Salopp formuliert: Es könnten zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden.

Werner Müller, ein Pfälzer AntiGeothe­rmie-Aktivist, der den Bundesverb­and Bürgerinit­iativen Tiefe Geothermie leitet, hält dies alleine schon mit Blick auf eine geothermis­che Wärmeverso­rgung für Wunschdenk­en. Der Grund: Es würden meist die nötigen Rohrleitun­gen für Nahwie Fernwärmen­etze fehlen. Weitere teure Investitio­nen wären nötig. Da geht die Energiewir­tschaft übrigens konform mit ihm.

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FOTO:SACHSEN.DE

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