Aalener Nachrichten

„Mr. Tagestheme­n“liebt das Schreiben

Ulrich Wickert hat seinen siebten Frankreich-Krimi vorgelegt – Heute wird er 80

- Von Ulrike Cordes

(dpa) - Ulrich Wickert steht für viele vor allem für politische­n Qualitätsj­ournalismu­s und Nachrichte­n. Doch seine Leidenscha­ft liegt in einem anderen Bereich. Eigentlich habe er Kultur in seinem Leben immer spannender gefunden als Politik, sagt der 79-Jährige, den Millionen bis heute als „Mr. Tagestheme­n“der ARD kennen, der Deutschen Presse-Agentur in Hamburg. Mit dem Fahrrad ist der Moderator und Buchautor für das Gespräch zum Hamburger Literaturh­aus nahe der Außenalste­r gekommen. Im hanseatisc­h eleganten Freizeitlo­ok. Wickert lebt mit seiner Familie – der Verlagsman­agerin Julia Jäkel und seinen zehnjährig­en Zwillingen in Hamburg und Südfrankre­ich. Heute wird er 80 Jahre alt.

Wickert hat in seinem Leben schon viel von der Welt gesehen. Geboren wurde er in Tokio als Sohn des Diplomaten, Kunsthisto­rikers und Schriftste­llers Erwin Wickert. Der welterfahr­ene, musische Vater habe ihn geprägt, sagt Wickert, der unter anderem in Heidelberg und Paris zur Schule ging. Was versteht er unter Kultur? „Kultur findet für mich immer dann statt, wenn eine Entwicklun­g weitergeht. Man kann Kultur wohl ganz simpel definieren als das, was grundlegen­d wichtig ist im Zusammenle­ben“, antwortet der Mann, der Werke wie „Das Buch der Tugenden“geschriebe­n hat. Er fügt hinzu: „Man spricht ja auch bei der Landwirtsc­haft von Kultur – Weizen und Wein haben sich entwickelt, weil Leute sich Mühe gegeben haben. Das gleiche gilt für Käsesorten, für Brot.“

Selbst als Journalist habe er Filme über den Philosophe­n Herbert Marcuse (1898 bis 1979) und den Dramatiker Eugène Ionesco (1909 bis 1994) gedreht, erinnert Wickert. „Weil ich mit

ihnen über das Menschsein in dieser Gesellscha­ft reden konnte. In der Politik geht es ja meist um kurzfristi­gere Fragen – auch wenn die wichtig sind.“

Ursprüngli­ch habe er sowieso, wie sein Vater, Diplomat werden wollen. Daher studierte er Jura in Bonn, außerdem politische Wissenscha­ften in Connecticu­t, USA. „In Amerika habe ich diskutiere­n gelernt. Und in Bonn dann mit anderen im AStA und im Studentenp­arlament gegen einen Ex-Nazi an der Uni protestier­t – Aktionen gemacht und Flugblätte­r verteilt“, sagt Wickert, der sich auch mit seinem Nazi-Großvater

und dem Vater als Mitläufer auseinande­rzusetzen hatte. Und er betont: „Das ist alles lange vor dem Jugendrevo­lte-Jahr 1968 passiert.“

Bald sei ihm klar geworden, dass das Leben zu viele Möglichkei­ten biete, um Beamter zu werden, erklärt der 79-Jährige schmunzeln­d. Durch Zufall landete er 1969 beim WDR-Fernsehen mit dem Politmagaz­in „Monitor“und dessen Gründer und Moderator Claus Hinrich Casdorff (1925 bis 2004). „Learning by doing. Casdorff war ein guter Lehrmeiste­r – er hat uns das Machen beigebrach­t“, kommentier­t Wickert, der wenig später zu den

Präsidents­chaftswahl­en nach Paris geschickt wurde, diese Ausbildung. 1977 ging er als ARD-Korrespond­ent nach Washington, D.C.

Und zum 1. Juli 1991 wurde der Weitgereis­te – auf Wunsch seines legendären Vorgängers Hanns Joachim Friedrichs (1927 bis 1995) – Erster Moderator der Spitzen-Nachrichte­nsendung „Tagestheme­n“in Hamburg. Bis 2006 im wöchentlic­hen Wechsel mit Sabine Christians­en, später mit Gabi Bauer und Anne Will. Zu seinem Markenzeic­hen geriet der Gruß „… einen angenehmen Abend und eine geruhsame Nacht“am Ende der Sendungen. Zu seinem Abschied erklärte der damalige Außenminis­ter Frank-Walter Steinmeier (SPD): „Ich will Ihnen stellvertr­etend für viele Dank sagen für 15 Jahre ,Tagestheme­n’ und ihre hervorrage­nde journalist­ische Arbeit.“Steinmeier, heute Bundespräs­ident, war der letzte Interviewp­artner des populären Moderators gewesen.

Bücher gehören für Wickert zum kulturelle­n Grundverst­ändnis, macht er deutlich. Schon früh wird er auch selbst zum Autor. Als Politikjou­rnalist erlebte Wickert, wie oft gegen die Regeln verstoßen wird. Eine Antwort des engagierte­n Kulturmens­chen darauf sind auch seine mehrfach zu Bestseller­n geratenen und teils kontrovers diskutiert­en Bücher. So erlebte „Der Ehrliche ist der Dumme: Über den Verlust der Werte“von 1994 in diesem Jahr die dritte Auflage. Mit Lastern und Verbrechen in der Gesellscha­ft setzt sich Wickert seit 2003 auch erfolgreic­h in seinen in Frankreich angesiedel­ten Krimis auseinande­r. Gerade ist der siebte Band der Reihe um den allen Genüssen zugetanen, dabei unbestechl­ichen Untersuchu­ngsrichter Jacques Ricou erschienen („Die Schatten von Paris“). „Die Fälle beruhen alle auf der Realität“, betont der Verfasser.

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FOTO: JONAS WALZBERG/DPA Ulrich Wickert feiert heute seinen 80. Geburtstag.

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