Aalener Nachrichten

Ein 60 Zentimeter langes Nationalsy­mbol

Unesco erklärt die Baguette-Kultur zum immateriel­len Kulturerbe – Zunft hofft auf Zulauf

- Von Christine Longin

- Die Liste der Zutaten ist kein Geheimnis: Mehl, Wasser, Hefe und Salz. Doch was dann aus dem Ofen herauskomm­t, ist mit seinen Traditione­n so wertvoll, dass die Unesco es am Dienstag zum immateriel­len Kulturerbe erhob. In Zeiten, in denen immer mehr industriel­l gebackenes Brot angeboten wird, schützt die UN-Kulturorga­nisation damit einen typisch französisc­hen Brauch und ein Handwerk, das im Niedergang begriffen ist.

Der Vorsitzend­e der Vereinigun­g der Bäckereien und Patisserie­n (CNBPF), Dominique Anract, verwies bei der Bewerbung auf die Bedeutung des rund 60 Zentimeter langen Brotes für seine Landsleute. Der erste Einkauf, den ein Kind in seinem Leben mache, sei in der Regel ein Baguette, sagte Anract im Radiosende­r France Info. Und wenn die Menschen im Alter einsam würden, dann sei der Gang zum Bäcker einer der letzten sozialen Kontakte.

Der Bäckermeis­ter hofft, dass die Einstufung als Kulturerbe auch seiner Zunft neuen Zulauf beschert. Denn das Handwerk mit seinen frühen Arbeitszei­ten zieht nur noch wenige Jugendlich­e an. 1970 gab es noch 55.000 Bäckereien, heute sind es nur noch 33.000. Das handgemach­te Baguette, das aufgrund der steigenden Energiepre­ise immer teurer wird, bekommt zunehmend Konkurrenz durch die Billigback­waren in den Supermärkt­en. Erst zu Jahresanfa­ng hatte die Kette Leclerc Schlagzeil­en gemacht, weil sie das Baguette für 29 Cent verkaufte. „Ein Bäcker, der das mehrere Monate macht, ist tot“, kritisiert­e Anract damals die Schleuderp­reise. Beim Bäcker kostet das „Tradi“, das Baguette

in seiner traditione­llen Form, rund 1,30 Euro.

In der Bäckerei Liberté hinter dem Pariser Triumphbog­en gehen täglich rund 200 solcher Stangenbro­te über die Theke. „Wenn man an Frankreich denkt, dann denkt man sofort an das Baguette“, freut sich der Inhaber über die Unesco-Auszeichnu­ng. Allerdings verkauft sich bei ihm inzwischen das dunklere „Pain Liberté“besser als die knusprige Stange. „Aus gesundheit­lichen Gründen ziehen die Kunden zumindest hier im Viertel die dunkleren Brote vor.“

Frankreich hatte die Unesco-Bewerbung des Baguette, neben dem Eiffelturm eines der Nationalsy­mbole, vor fünf Jahren in die Wege geleitet. Präsident Emmanuel Macron, für den das Baguette „250 Gramm Magie und Perfektion“ist, unterstütz­te die Initiative. Der Staatschef bekommt

sein Brot vom besten Bäcker von ganz Paris geliefert, den jedes Jahr eine Jury neu bestimmt. Bei dem vom Pariser Rathaus organisier­ten Wettbewerb beurteilen die Jurorinnen und Juroren, darunter mehrere Spitzenköc­he, mehr als hundert Produkte nach Aussehen, Geruch, Geschmack, Backgrad und Krume. Knetzeit und Ruhephase sind die Geheimniss­e, die über ein gelungenes Baguette entscheide­n. Denn dass das Stangenbro­t außen knusprig und innen schön luftig sein muss, darüber sind sich die Französinn­en und Franzosen einig. In diesem Jahr gewann der Bäcker Damien Dedun, der in einer Bäckerei im Süden von Paris arbeitet, den begehrten Preis. „Ich habe sie aus dem Ofen kommen sehen und dachte mir, dass sie nicht schlecht geworden sind“, sagte der 34-Jährige, der

bereits seit 20 Jahren Bäcker ist, über seine Siegerprod­ukte.

Sechs Milliarden Baguettes werden jedes Jahr in Frankreich verkauft, 320 pro Sekunde. Allerdings geht der Baguette-Konsum seit einigen Jahren zurück. Die Französinn­en und Franzosen essen nur noch durchschni­ttlich eine halbe Stange am Tag. Zu allen drei Mahlzeiten kommt das traditione­lle Stangenwei­ßbrot laut einer Umfrage nur noch bei rund 40 Prozent auf den Tisch. Die internatio­nale Anerkennun­g durch die Unesco ist deshalb eine willkommen­e Geste. 2010 hatte die UN-Organisati­on bereits das gastronomi­sche Mahl der Französinn­en und Franzosen als immateriel­les Kulturerbe anerkannt. Das Baguette gehörte schon damals mit dazu, denn es darf bei einem typisch französisc­hen Essen natürlich nicht fehlen.

 ?? FOTO: MICHEL EULER/AP/DPA ?? Baguettes sind vor allem in Frankreich äußerst beliebt. 1970 gab es dort noch 55.000 Bäckereien, heute sind es nur noch 33.000. Die Einstufung als Kulturerbe soll auch den Niedergang der Bäckereien aufhalten.
FOTO: MICHEL EULER/AP/DPA Baguettes sind vor allem in Frankreich äußerst beliebt. 1970 gab es dort noch 55.000 Bäckereien, heute sind es nur noch 33.000. Die Einstufung als Kulturerbe soll auch den Niedergang der Bäckereien aufhalten.

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