Die Katastrophe von Katar
Deutschland scheidet erneut nach der Vorrunde aus – 4:2-Sieg über Costa Rica reicht nicht
– Im Moment der Blamage winkte Hansi Flick verächtlich ab, seine Spieler wollten weg, nur weg. Sie flohen nach dem erneuten WMDesaster in die Kabine des „Beduinenzeltes“von Al Khor, so schnell es ging. Dieses Debakel war genauso schlimm wie der Russland-Albtraum von 2018 – die Mär von der deutschen „Turniermannschaft“ist ein für allemal dahin.
Der Traum vom fünften WMStern verglühte am Donnerstagabend um 23.53 Uhr Ortszeit am katarischen Wüstenhimmel. Nach der dritten deutschen Turnier-Blamage in Serie gehört der viermalige Weltmeister definitiv nicht mal mehr annähernd zur erweiterten Weltspitze. Vielmehr hat diese Generation einer deutschen Nationalmannschaft nach diesem denkwürdigen Donnerstagabend in der Hafenstadt Al Khor, knapp 50 Kilometer von der Hauptstadt Doha entfernt, für jetzt und vorerst alle Zeiten einen Stempel: Sie hat die zwei schlechtesten Abschneiden eines DFB-Teams bei einer WM zu verantworten.
Die Katastrophe von Katar. Erst 1:2 gegen Japan, dann 1:1 gegen Spanien – und jetzt die „Krönung“im negativen Sinne. Zwar schaffte die Mannschaft von Bundestrainer Hansi Flick nach einem 1:2-Rückstand noch ein 4:2 gegen Costa Rica. Reichte aber nicht, weil Japan im Parallelspiel überraschend mit 2:1 gegen Spanien gewann. „Es ist eine absolute Katastrophe“, sagte ein niedergeschlagener Thomas Müller nach Schlusspfiff am ARD-Mikrofon. „Das ist für uns unglaublich bitter, denn unser Ergebnis hätte ja gereicht. Das ist ein Ohnmachtsgefühl.“Dann hielt der 33-Jährige eine Rede an die Fans, die sehr deutlich nach Abschied aus dem Nationalteam klang.
War diese Partie, die 19. seit seinem Amtsantritt am 1. August 2021, auch schon die letzte von Flick? Im Grunde ist der 57-Jährige kaum zu halten nach diesem erneuten Debakel. Davon wollte Flick direkt nach Schlusspfiff nichts wissen. Er wolle Bundestrainer bleiben, betonte er. Wichtiger ist sowieso zunächst die Analyse. Flick sprach mit versteinerter Miene über seine „riesengroße Enttäuschung“und darüber, wie „sauer“er zur Halbzeit war – das Aus
habe sich bereits in den verheerenden „20 Minuten gegen Japan“entschieden: „Jetzt haben wir keine Chance mehr, es besser zu machen.“
Doch nicht nur die Spieler, sondern auch der Trainer muss sich auf harte Tage einstellen. Wie das so ist, wenn ein Großprojekt zu Staub zerfällt: Vorab gefeierte oder zumindest nicht kritisierte Entscheidungen werden nun hart infrage gestellt. Taktik, Personal, Einstellung – Flick wird in den kommenden Tagen einiges zu erklären haben.
Das war vor Spielbeginn so noch nicht absehbar. Aber trotz des offensiv
vor sich hergetragenen Optimismus, hingen Druck und Anspannung der deutschen Nationalelf im Duell mit Costa Rica bleischwer in den Kleidern. Die Angst vor dem Versagen, dem erneuten Ausscheiden in der Vorrunde einer WM, lähmte spätestens ab der zweiten Halbzeit alle Bewegungen, vergessen waren sämtliche Spielzüge und Ideen. Dabei hatte man durch das Kopfballtor von Serge Gnabry nach Flanke von David Raum noch 1:0 (10. Minute) geführt – das erste Tor eines Bayern-Profis im DFBDress bei dieser WM.
Danach drückte Deutschland, vor allem Jamal Musiala dribbelte und wuselte – alles ohne Ertrag. Gegen Ende der ersten Hälfte häuften sich die Flüchtigkeitsfehler, etwa von Antonio Rüdiger, dessen Patzer Manuel Neuer mit einer Glanzparade des Schusses von Keysher Fuller (42.) ausbügelte. Ein Warnschuss, der wohl weiterhin abgetan wurde als einzelne Chance von Costa Rica. Ein schlimmer Trugschluss.
Denn in der zweiten Halbzeit kam der Schock: Nach einem Raum-Fehlpass traf Tejeda trotz Bedrängung zum 1:1 (58.). Die DFB-Elf, mittlerweile mit dem eingewechselten Mittelstürmer Niclas Füllkrug, riskierte alles. Musiala drehte auf, schoss zwei
Mal an den Pfosten (61./67.), dann schepperte es schon wieder hinten. Konfusion vor und bei Neuer, Vargas stocherte den Ball ins Netz. Kai Havertz, wie Mario Götze eingewechselt, legte denn Ball am hervorragend haltenden Keeper Keylor Navas vorbei zum 2:2 ins Tor (73.) – Hoffnung. Havertz erhöhte auf 3:2, Füllkrug auf 4:2. Half alles nichts, weil Spanien verlor. „Es ist für uns natürlich unglaublich bitter, das es Japan gelungen ist, Spanien zu besiegen“, sagte Müller. „Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht.“
Flick setzte auf einen BayernBlock aus allen sieben Spielern, die er in seinen 26er-Kader berufen hatte. Dafür verzichtete er allerdings auf Havertz und wieder mal auf Füllkrug. Was es im Endeffekt brachte? Nichts. Was passiert nun mit Müller (33) – tritt er aus der Nationalelf zurück wie auch Neuer (36)? Verabschieden sich die letzten Weltmeister von 2014? Die Generation um Kimmich, Goretzka, Süle, Gnabry & Sané, alle im Alter von 26/27, hat in der Nationalelf bisher nichts gerissen.
„Wir werden wie die Stiere kämpfen, um unserem Land viel Glück und Freude zu bereiten“, hatte Navas, der Keeper der „Ticos“angekündigt. Sie können erhobenen Hauptes in die Heimat fliegen. Anders die Deutschen. Für sie geht es deutlich früher nach Hause als gedacht. Um 5 Uhr morgens an diesem Freitag soll ein Airbus A330-300 mit der Kennung DAIKQ von Frankfurt Richtung Doha abheben. Um 14.30 Uhr fliegt das DFB-Team dann zurück nach Deutschland. Zwei Wochen und zwei Tage vor dem WM-Finale am 18. Dezember. Was für ein Debakel.